Literarische Leistungssteigerungen

Auf der diesjährigen Buchmesse wurden vielfältige Verbesserungsvorschläge unterbreitet

Pimp your Buchmesse: Auch in diesem Jahr stand die Messe, was die Besucherzahl anging, unter dem heimlichen Motto „höher, schneller, weiter“. Erneut hat sich die jährlich steigende Zahl der Literaturinteressierten noch einmal erhöht. Rund 9.000 Menschen mehr besuchten 2010 die Bücherschau (2009: 147.000), auch die Zahl der Journalisten hat sich um 100 erhöht. Und der Leipzig-Almanach war wieder mitten drin.

Nun mag man nicht unterstellen, dass die größtmögliche Masse das Ziel der Messe Leipzig ist. Spürbar war die Macht der Masse aber schon, insbesondere am Samstag, als der Publikumsstrom am größten war. Darüber hinaus hat die Zahl an Ratgebern, die Zehn-Punkte-Pläne für ein getuntes wie frisiertes Leben beziehungsweise für seine vielen Teilaspekte anboten, zumindest gefühlt zugenommen. Paradigmatisch hierfür ist das Pamphlet Ändere Dich! (Atlatus Verlag). In dessen Leseprobe stehen Klugheiten wie: „Das Ego ist angepisst über Änderung. Das ist ein Naturgesetz, wie das Gravitationsgesetzt.“ Ein Ego ist also säuerlich, soso. Der Erkenntnisprozess entwickelt sich in einem Pseudo-Zenmeister-Schüler-Verhältnis zwischen dem unzufriedenen Thomas und der „ungewöhnlichen Frau“ Karin. Das Buch soll „ausgewählte Sahnestücke der Wahrheit“ enthalten – was auch immer das meint.

Pimp hier, pimp da

Kein geringerer als der Börsenverein des Deutschen Buchhandels versucht an die Zukunft anzudocken und definiert die Branchenkarriere neu: „vom Redakteur zum Community-Manager“ oder „vom Lektor zum Content-Lieferanten“. Keine hübsche, aber dennoch sinnentleerte Phrase soll dagegen sicher das „Scheidungsvermeidungsprogramm“ darstellen, das gleich nebenan Ehen retten will.

Ebenfalls intime Einsichten verspricht der Neuling von Nina Hagen, die auch persönlich da war und mit dem einfachen und wenig erhellenden Eifer eines Kindes, das gerade eine Erkenntnis hatte, von ihrer neu entdeckten Religiosität sprach. Aber das ist eigentlich auch egal: Hauptsache, es sind viele Leute da. Pimp your Kontostand mit einem Buch und öffentlichen Auftritten, bei denen du das Buch in die Kamera hältst.

Inhaltlich passend zum allgemeinen Enhancement-Trend war auch ein Vortrag von Matthias Heitmann zum Thema Doping (Mythos Doping, Parados Verlag). Der Redakteur des Debattenmagazins „NovoArgumente“ stellte die Tauglichkeit des Begriffs in Frage, weil nirgends klar definiert sei, was Doping genau ist. Er schlug daher vor, lieber eine aufgeklärte Diskussion über einzelne Verfahren und Präparate zu führen, statt sich weiter um das nebulöse Wort zu zanken. Ein guter Ratschlag, dem wir dahingehend folgen wollen, sich statt den ganzen Pimp-XYZ-Büchern lieber den erbaulicheren Lektüren zu widmen.

(Alle Fotos: Franziska Reif)

Die Schmuddelkinder

Bei der Graswurzelrevolution konnte man einen „Anti-Andi“ bestaunen: Findus’ Kleine Geschichte des Anarchismus. Anders als in den „CoDeX“-Bildgeschichten des NRW-Verfassungsschutzes („Comics für Demokratie und gegen Extremismus“) wird hier nicht polemisiert, sondern ein Comic-Abriss zur Historie einer politischen Bewegung serviert. Bei Reprodukt signierten Peer Meter und Barbara Yelin ihre atmosphärische Comic-Geschichte Gift. Andreas Michalke, Schöpfer der grandiosen Bigbeatland–Strips aus der „Jungle World“, verewigte sich mit einer kleinen Zeichnung in einem abgegriffenen Exemplar der AutorInnen. Jan Kossdorffs Spam! Ein Mailodram (Milena Verlag) nimmt die Dot.Com-Blase 2000 aufs Korn, während Christoph Schäfer in Die Stadt ist unsere Fabrik (Spector Books) die Begriffslandschaften Henri Lefebvres illustriert.

Mit allen Sinnen

Die Serie um Steine und Fundstücke aus dem Demmler-Verlag ist um noch ein gedrucktes Sammelsurium erweitert worden. Diesmal handelt es sich um allerlei angeschwemmte Strandschönheiten der Nordsee. Gleichermaßen maritim und malerisch fielen ein Kalender und ein Wattenmeerbildband beim Verlag für Lichtbilder ins Auge – bunt und in Farbe und analog fotografiert. Axel Prahl und Jan Josef Liefers am FKK-Strand können gleich durch mehrere Medien beobachtet werden, nämlich in dem ihnen wohl vertrauteren Genre, dem Film, und im Mecklenburg-Band Einsatzort Wanderweg (Hinstorff). Auch eher naturverbunden sind die Potsdamer Pomologischen Geschichten (Vacat Verlag), deren neuester Band der Orange gewidmet ist.

Ohrales

Ein Novum ist der große Musikalienbereich, der einige der Aussteller erstmalig auf die Buchmesse führte und – wie selbige versichern – auch eine großartige Publikumsresonanz hatte. Bei den Audio-Verlagen waren auch in diesem Jahr viele gewöhnliche Produktionen zu finden, die sich dadurch auszeichnen, dass eben jemand einen bereits nicht unbekannten Text vorliest. Natürlich gibt es auch hier Pimp-Produkte wie Erfolgreich mit den Waffen einer klugen Frau und Der Erfolgsnavigator (MK AudioEdition).

Zur „Schweinehundzähmung“ ruft der Gabal Verlag gleich in mehreren Varianten auf. Schön, dass die wunderbar aufgemachten Hörspiele von Titania Medien, die zumeist eher unbekannte Kurzgeschichten klassischer Autoren vertonen, und die Serien von Folgenreich (Point Whitmark, Jack Slaughter, Gabriel Burns) die Fahne für das inszenierte Wort hochhielten. Unter www.vorleser.net findet man – vom Leipziger Buchfunk Hörbuchverlag betrieben – rund 550 Klassiker als Hörbuch zum freien Download.

Ob klein, ob groß …

Nachdem der Nachwuchs sich an den ausgestellten Instrumenten probiert hat, kann man ihn zur Bockwurst einladen und ein bisschen über Gott und die Welt reden. Dies lässt sich mit der „Reihe Philosophieren“ (Boje-Verlag) pädagogisch unterstützen, darunter: Ich – Was ist das oder Gut und Böse – Was ist das. Für das ermüdete Schmökern mit der Taschenlampe unter der Bettdecke empfiehlt es sich, im selben Verlag James Krüss zu entdecken und gleich noch andere Kleinode neben das Bett zu legen: Etwa die zwei wunderschönen Kinderbücher Du Gruselgorilla! – Du Schmusegorilla! Liebes- und Schimpfwörterbuch und Das Animalarium – Tiere entdecken (Bajazzo-Verlag) oder mit Gib Speiche, Alter! illustrierte Geschichten aus der Geschichte des Fahrrads (MAXIME Verlag).

Die Eltern können derweil in den ästhetischen Kochbüchern der Edition Fackelträger blättern oder sich ernsteren Themen zuwenden: Mit Lothar Bingers Verstockte Welt (Bässler) ist eine kleine Kulturgeschichte des Stockes erschienen. Wem das zu speziell ist, der kann beispielsweise was darüber lernen, warum auch Bionade nicht die Welt verändert kann (Eichborn) oder mal ganz ironiefrei etwas für sich selbst tun: Sanfte Lichtarbeit am Fuß (Neue Erde).

Und wenn es schon um Verbesserung gehen soll, dann ist gewiss Ulfert Krahés Biografie Mein Leben – die Schule (Westkreuz Verlag) eine zu empfehlende Lektüre. Der Autor schildert voller Überzeugung seinen Lebensweg als Pädagoge aus Berufung. Ansonsten gilt nicht nur in der Pädagogik: Immer ruhig bleiben, eine Maxime, die von Gelassenheit (WBG Audimax) getragen ist. Die kann man vielleicht erlangen, indem man mal was ganz anderes macht: „Hätte ich drei Wünsche frei, ein Bastelbogen wär dabei!“ lautet der Slogan des Laboratoriums für Papiermechanik edition8x8 – dessen Stand wegen Krankheit leer bleiben musste. Wir wünschen „Gute Besserung“ und beste Lektüre.

Leipziger Buchmesse 2010

18.-21. März 2010


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