„Vor allen Dingen muss ich wissen, ob die Orgel eine gute Lunge hat!“

Puppenstück für Kinder: Ein bunter Bilderbogen macht Bachs Leben lebendig

Fünf Jahre lebte der junge Johann Sebastian bei seinem älteren Bruder Johann Christoph im thüringischen Städtchen Ohrdruf, wo letzterer Organist der Michaelis-Kirche war. Johann Christoph hielt seine Noten unter Verschluss, denn sie waren handgeschrieben und wertvoll – und seiner Ansicht nach sowieso viel zu schwer und nicht spielbar für den jüngeren Bruder. Dieser aber, so ist es überliefert, schlich Nacht für Nacht zum Gitterschrank und kopierte heimlich die Noten – nur bei Mondschein, mit Feder und Tinte. Die Notenlinien musste er auch selbst ziehen. Man schrieb das Jahr 1697, und der große Bach war gerade 12 Jahre alt.

Ob sich alles genau so zugetragen hat? Die Szene jedenfalls wird mit dem jungen Johann Sebastian als Handpuppe – von Meike Kreim geführt – und Frank Schenke als Johann Christoph so beeindruckend gespielt, dass man nichts anderes glauben möchte. Der Sommersaal im neuen Bachmuseum war zur Uraufführung des Stückes am 20. März 2010 bis auf den letzten Platz besetzt. Dennoch hätte man die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören, allen war klar, dort geschieht etwas Ungeheuerliches! Natürlich, um ein Detail zu verraten, wird der Junge erwischt, und die Bestrafung ist hart…

Aus Anlass der Neueröffnung des Bachmuseums/Bacharchivs fand einen Tag vor dem 325. Geburtstag des großen Meisters der Barockmusik ein Publikumstag für die Leipziger Bürger statt. Inmitten einer Reihe anderer Höhepunkte des Lebens von Bach, verpackt in einen musikalischen Bilderbogen und inszeniert für Kinder und Erwachsene von Anne Swoboda und dem Arche Nova Theater, ist das Stück eine gelungene Kombination aus klassischem Schauspiel (witzig und auch rührend: Meike Kreim als etwas schrullige Henriette Kuckuck, Frank Schenke als detailverliebter Historiker Johann Hoppermann in der Rahmenhandlung), virtuosem Handpuppenspiel und Papiertheater. Dazu kommen wunderbare Spielereien mit Licht und Schatten, gezaubert aus farbigen Flüssigkeiten und einem Overheadprojektor.

Der Lebenslauf Johann Sebastian Bachs wird, wie im Programm angekündigt, in Bildern vermittelt, wichtige Stationen seines Lebens werden szenisch dargestellt und musikalisch untermalt: Die Zeit in Lüneburg (Bach als jugendlicher Flegel im Streit der Kurrenden der Michaelis- und der Johanniskirche), in Arnstadt, in Weimar, wo Bach zugleich Hoforganist und Cammer-Musicus war. Demgemäß hatte er zugleich geistliche und weltliche Musik zu komponieren und aufzuführen. Dieser Zwiespalt wurde dem Publikum vermittelt, indem Bach als kleine und stumme Papierfigur zwischen Kirche und Schloss hin und her gleitet, während der fromme Herzog von Weimar und dessen verwegener Neffe Ernst August als prächtige Handpuppen, über den Dächern Weimars schwebend, lauthals streiten. Die Ernst-August-Puppe verliert im Ergebnis ihren Kopf, Johann Sebastian Bach seine Freiheit: Der Herzog ließ ihn vier Wochen ins Gefängnis werfen, bevor er den Musiker des Landes verwies.

Ebenfalls spannend wird die Leipziger Zeit Bachs vermittelt und das umfangreiche Pensum, das Bach als Thomasorganist, Musiker, Komponist, Orgelprüfer und nicht zuletzt als Familienvater bewältigte. Eine gute Idee auch, dass der musikalische Bilderbogen nicht mit dem Tode Bachs endet. So bleibt er lebendig und allgegenwärtig, vor allem für die jungen Zuschauer, die hier wunderbaren Musikunterricht erhielten. Begeisterung fanden auch die (Puppen)Bühne, die Kostüme und die filigranen Papierkulissen (Ausstattung: Annekatrin Heyne), nicht nur beim jugendlichen Publikum. Man wünscht dem Stück noch zahlreiche Aufführungen, auch aus anderen Anlässen als runden Geburtstagen oder großer Feste. Hier wird humanistische Bildung vermittelt, spielerisch, aber keinesfalls „light“.

Bach – Szenen eines Lebens. Ein musikalischer Bilderbogen

Puppenstück für Kinder ab 5 Jahren und Familien
Anne Swoboda und Arche Nova Theater

Nächste Aufführung: 13. Juni 2010, 15.00 Uhr, Bach-Museum Leipzig, Sommersaal


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