„Zahltag“ verdeutlicht die Hartz-Vier-Problematik und listet Widerstandsmöglichkeiten auf
Die einfallsreichen Versuche, neue Arbeit zu erfinden, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Arbeitsgesellschaft die Arbeit, im Sinne von notwendiger oder erweitert von nützlicher Tätigkeit, schon jetzt weitgehend ausgegangen ist. Die Kontrolle über die Produktion von Reichtum hängt aber ab von der Kontrolle über die menschliche Arbeit. Es ist nicht zu erwarten, daß diejenigen, die diese Kontrolle derzeit ausüben, freiwillig auf die damit verbundenen Privilegien verzichten.
Soren Jansen: Der Todeskampf der Arbeitsgesellschaft
Beim ALG II ist gleich mehrfach der Wurm drin – ändern wird sich nichts. Die Agenda 2010 hat ihren Zieleinlauf und ein Ende von Hartz IV ist nicht in Sicht. Zwar kippte das Verfassungsgericht die Zusammenarbeit von Bund und Kommunen, aber das bedeutet keine Reform des ALG II – lieber soll das Grundgesetz geändert werden. Karlruhe verurteilte die Regelsätze als nicht verfassungsgemäß – der Staat aber wird einfach neu berechnen und die Beträge vielleicht sogar nach unten schrauben. Die Sozialgerichte quellen über vor Klagen gegen Hartz IV-Bescheide und geben ihnen in einem weiten Umfang Recht, doch auch das wird genauso wenig etwas an der Praxis revidieren wie der Staat Vollbeschäftigung garantieren kann. Zudem werden derzeit Debatten um das ALG II geführt als ob es das Symbol für den Wohlfahrtsstaat sei. Man erinnere sich: Als die Reform von Schröder & Co. umgesetzt und Hartz IV am 1. Januar 2005 eingeführt wurde, war gerade sie die Insignie des sozialstaatlichen Abrisses. Und nun geißelt ein Gespann aus Westerwelle, Sarrazin und anderen reißerischen Selbstdarstellern mit medialer Rückendeckung besonders durch die BILD das ALG II als Steuerverschwendung. Die Empfänger von Hartz IV seien fast durch die Bank weg selbst Schuld an ihrer Situation, mit ein bisschen gutem Willen und Disziplin hätten sie längst wieder einen Job. Und weil sich Arbeit wieder „lohnen“ muss, streicht man am besten das ALG zusammen, damit sich der Arbeitnehmer mit Dumpinglohn in seiner Arbeiterehre bestärkt fühlt, der Gesellschaft 3,50 die Stunde wert zu sein.
Wenn man auf Hilfe von oben nicht vertrauen kann, dann muss man es eben selbst in die Hand nehmen. Das war schon immer eine kluge Maxime, der auch einige organisierte Gruppen von Erwerbslosen und SympathisantInnen folgten und folgen. In Zahltag stellt Peter Nowak einige Initiativen und Herangehensweisen vor, gegen behördliche Willkür anzukämpfen. Im Fokus steht dabei der titelgebende Zahltag, der in Köln seinen Anfang nahm und mittlerweile bundesweit stattfindet. Dabei handelt es sich um gemeinsame Gänge aufs Amt, gegenseitige Hilfe bei verschleppten Anträgen etc. Nowak skizziert die verschiedenen Handlungsformen und -möglichkeiten, gibt Lektüreempfehlungen und nennt informative Links. Natürlich greift eine bloße Kritik an der Umsetzung von Hartz IV zu kurz, schließlich suggeriert eine solche zum einen den schönen Schein der Vollbeschäftigung, die im kapitalistischen System so gar nicht vorgesehen sein kann, weil sie den Druck auf die Löhne verunmöglicht. Zudem stabilisiert sie genau jenen Status quo der Sozialfürsorge, den es zu kritisieren und beseitigen gilt. Darum reißt der Autor auch Themen wie Gerechte Gesellschaft, Antimilitarismus und Ausbeutung in für das Vorhaben eines Leitfadens angemessener Weise an, ohne erschöpfend sein zu können. So taugt das Büchlein für den raschen Zugriff auf die Problematik Hartz IV und die Diskriminierung von Erwerbslosen. Letztlich – so muss man allerdings hinzufügen – kann es nur eine Kritik des Arbeitsfetischs selbst leisten, den systematischen Druck auf die „Überflüssigen“ verpuffen zu lassen. Bis dahin werden aber noch viele Zahltage stattfinden (müssen).
Peter Nowak: Zahltag. Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV
Unrast Verlag
Münster – 2009
80 S. – 7,80 €
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