Just Flesh: Das Buch „Body Modification“ wirft Streiflichter auf die bunt gescheckte Welt der Körper-Verzierung
Cyborg imagery can suggest a way out of the maze of dualisms in which we have explained our bodies and our tools to ourselves. […] It means both building and destroying machines, identities, categories, relationships, space stories. Though both are bound in the spiral dance, I would rather be a cyborg than a goddess.
Donna Haraway: A Cyborg Manifesto
Body Modification (BodMod) bedeutet nichts anderes als (permanente) Körperveränderung. Dazu zählt alles vom Ohrloch bis zum Zungenspalten, von der Rose auf der Schulter bis zu Ziernarben, vom Bananenstecker im Bauchnabel bis zu den Metall-Implantaten in der Kopfhaut. Genau genommen fällt hierunter auch jede Schönheits-OP, aber der Begriff wird doch zumeist auf Verfahren und Schmuck-Varianten angewandt, die vom konventionellen Schönheitsbild und der Vorstellung vom Normalen abweichen.
Dabei ist dieses Ideal keineswegs geschichts- und kulturlos, sondern selbst dem Wandel von Geschmack, Konventionen, Normierungen ausgesetzt. Das kommt anhand von Alana Abendroths Darstellung verständlich zum Ausdruck, wenn sie die verschiedenen BoMo-Spielarten historisch zurückverfolgt und sie in verschiedenen Kulturen aufspürt. Dass der Autorin dabei viele kleine Fehler und Ungereimtheiten unterlaufen, mag der Wikipedia-lastigen Quellenzuhilfenahme oder mangelnder Sorgfalt geschuldet sein, ärgerlich sind sie auf jeden Fall. Umso mehr, weil die Verfasserin unter anderem als studierte Historikerin beworben wird.
So werden die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Jahrmärkte und Messen zu den einzigen Einkaufsmöglichkeiten der Städter gezählt – wer also in Leipzig lebte, konnte glücklich sein, dass es hier damals drei Messen gegeben hat –, um dann die Märkte ab dem späten 19. Jahrhundert zu Vergnügungszentren zu stilisieren, auf denen auch tätowierte „Freaks“ auftraten. Jahrmärkte waren aber schon immer Orte der Unterhaltung, hier fanden Theater, Gaukeleien und Spielmannsumzüge statt. Hätte die Autorin einige Jahrgänge des „Tätowiermagazins“, des führenden deutschsprachigen Fach-Mediums, gewälzt, dann wäre ihr nicht entgangen, dass trotz Verbots auch in einigen christlichen und islamischen Regionen Tätowierungen zu finden sind. Und wenn zum Beispiel als Beweggrund für das Anbringen von Tätowierungen auch das Stigmatisieren von anderen Menschen angegeben wird, dann kann das schlecht unter die „Psychologie des Tätowierens“ fallen. Dass Abendroth BodMod weitestgehend den so genannten Modern Primitives als Spielwiese überlässt, ist auch nicht einzusehen. Deren merkwürdige Romantisierung indigener Kulturen und ihrer (vermeintlichen) Körper-Schmuck-Praxen muss man nicht teilen, nur weil man sich die Ohrlöcher auf 2 cm Durchmesser dehnt oder die Nasenscheidewand perforiert. Menschen, die BodMod einfach nur schön finden oder gar zur Transgression ihrer „naturwüchsigen“ Körper benutzen, scheinen ihr fremd zu sein.
Sieht man über das schlampige Lektorat und den streckenweise naiven Erzählton hinweg, dann stößt man auch auf manch erhellende Information. Immerhin räumt die Autorin mit verschiedenen Mythen auf, etwa dass man schon in Ägypten dem Bauchnabel mittels Piercing huldigte oder dass Prince Albert, Königin Viktorias Gemahl und angeblich Namensgeber für einen Ring an delikater Stelle, selbst solch ein Schmuckstück trug. So ist das Buch als eine kleine Einführung für Unbedarfte durchaus zu gebrauchen, in die interessante Details eingeflochten sind.
Baby make it hurt – baby make it last –
C’mon – It’s just flesh, just flesh –
It’s just flesh – and nothing else …
Turbo Negro: Just Flesh
Alana Abendroth: Body Modification.
Tattoos, Piercings, Scarifications – Körpermodifikationen im Wandel der Zeiten
Ubooks Verlag
Diedorf – 2009
142 S. – 13,90 €
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