Klassentreffen für Klangkünstler

Das Festival Resonanzen gibt einen genre- und generationenübergreifenden Überblick über aktuelle Hörkunst

Kunst auf Tape: Die Studentinnen Lisa Herms und Clara Bosse bei der Ausstellungseröffnung im Tapetenwerk (Fotos: Andreas Möllenkamp)

Kinder spielen Fußball, Vögel zwitschern, Kirchenglocken läuten, es ist ein frühlingshafter Sonntag am Tapetenwerk in Leipzig und der letzte Tag des Hörkunst-Festivals Resonanzen. In die entspannte Atmosphäre der ehemaligen Tapetenfabrik mischen sich Klänge des Kornettisten Andreas Nordheim, der über das Gelände wandelt und die Installation Öffentlicher Raum, Public Address / Schallstück 12 von Christian Fleissner live bespielt. Überall auf dem Gelände präsentieren die Organisatoren studentische Arbeiten zusammen mit Werken etablierter Künstler, um sie untereinander, aber vor allem auch mit dem akustischen Kontext des Ortes in Beziehung zu setzen. Die beiden künstlerischen Leiter Barbara Büscher und Jens Heitjohann haben dabei nicht nur eine spannende Auswahl an Werken getroffen, sondern auch eine gute Präsentationsform für klangbasierte Arbeiten entwickelt. Neben einem Hörtheater im ersten Stock, in dem man in gemütlichen Sesseln Hörspielen lauscht, kann man auch mit einem kleinen Radio durch den anliegenden Park flanieren. Max Schneider hat dort kleine Sender mit Stücken von HGB-Studenten in den Bäumen versteckt, die sich erst durch das Wandern im Park zu einem individuellen Klangspaziergang vermischen. Die Arbeiten waren dabei offensichtlich so begehrt, dass zwischenzeitlich die MP3-Player aus den selbstgebauten Sendern geklaut wurden.

Unterschiedliche Strategien der Inszenierung des Hörens und des Hörers sollten im Vordergrund des Festivals stehen. „Wir werden im Alltag auf vielfältige Art und Weise inszeniert. Hörkunst hat hier eine besondere Möglichkeit diese Prozesse zu reflektieren“, sagt Jens Heitjohann. Um ein möglichst breites Spektrum von zeitgenössischer Musik, Performances, Radioarbeiten sowie Installations- und Medienkunst zu präsentieren, haben sich die beiden künstlerischen Leiter von der Hochschule für Musik und Theater mit ihrem Kompositionskollegen Ipke Starke sowie Dieter Daniels von der Hochschule für Grafik und Buchkunst zusammengetan. Über die beiden Leipziger Hochschulen hinaus wurden auch Studierende der Musikhochschulen aus Weimar und Dresden eingeladen, ihre Werke vorzustellen. Von der Hochschule der Künste Bern waren Michael Harenberg und Lilian Beidler angereist. Harenberg, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für elektroakustische Musik, beteiligte sich mit einen Vortrag über „Medienmusik und Klangräume des Digitalen“ und Lilian Beidler präsentierte ihre Performance pol air – Föhnorchester, in der elf Föhne einen Eisblock schmelzen und die Tropfen Klänge über acht Lautsprecher erzeugen. Aus Gießen waren Stine Hertel und Jost von Harleßem bereits im Vorfeld des Festivals nach Leipzig gekommen, um sich mit dem Ausstellungsort auseinanderzusetzen und hier vor Ort zu arbeiten.

Die Handschriften der präsentierten Arbeiten reichten dabei von der subtilen Sensibilisierung der Wahrnehmung für die Umgebungsgeräusche bis hin zu Positionen, in denen gesellschaftliche und politische Zusammenhänge herausgearbeitet wurden. Bei der Installation Die Stimme des Hörers von Eran Schaerf sitzt der Ausstellungsbesucher etwa in einem Testbild und lauscht einem (Radio-)Programm mit automatischem Moderator. Während das Setup eine interaktive Kommunikationssituation verheißt, wird der Hörer hier als Endpunkt medialer Einweg-Kommunikation inszeniert und die Utopie des Radios als Kommunikationsinstrument damit ad absurdum geführt.

Die Stimme des Hörers, Installation von Eran Schaerf im Tapetenwerk

Das Veranstaltungsprogramm in der Schaubühne Lindenfels setzte sich aus wissenschaftlichen Vorträgen, künstlerischen Performances und Konzerten, einem kurzfristig integrierten Filmprogramm sowie Künstlergesprächen zusammen. In den Vorträgen wurden zwar interessante Projekte und künstlerische Arbeiten vorgestellt, aber leider wenig neue Erkenntnisse und Perspektiven entwickelt, was allerdings nicht primär gegen die eingeladenen Experten spricht, sondern vielmehr verdeutlicht, wie sehr die bisherige Forschung der künstlerischen Entwicklung hinterherhinkt und wie notwendig eine transdisziplinäre Ausrichtung in diesem Feld ist.

Die Festival-Höhepunkte am Samstagabend stellten die Performances von Felix Kubin und Wolfram Sander dar. In seiner humorvoll-unterhaltsamen Lecture Performance Paralektronoia, das auf dem gleichnamigen Hörspiel für den WDR basiert, untersucht der Hamburger Experimentalmusiker Felix Kubin den Zusammenhang zwischen Elektrizität und Paranormalität.

Felix Kubin bei seiner Performance Paralektronoia in der Schaubühne Lindenfels

Wolfram Sander spielt in seiner One-Man-Band-Performance SirenSongs mit der Wirkung und Materialität von Stimmen. Dabei werden szenische Handlungen live in Klänge übersetzt, klangliche Ereignisse durch Licht-Cues visualisiert und zu mal betörenden, mal irritierenden Atmosphären verdichtet.

Als Abschluss der ersten drei Festivaltage konnte man zu später Stunde noch mit den Künstlern ins Gespräch kommen. Lediglich am Freitagabend ging dies leider nicht richtig auf, da sowohl Heiner Goebbels nicht da war, als auch Peter Cusack aufgrund des Vulkanausbruchs über Island nicht aus London anreisen konnte.

Jens Heitjohann zieht ein positives Fazit des Festivals: Um die 1.000 Besucher haben die Ausstellung im Tapetenwerk und die Veranstaltungen in der Schaubühne Lindenfels besucht. Viel wichtiger als die konkrete Besucherzahl ist ihm allerdings der produktive Austausch zwischen den Studierenden, Künstlern, Wissenschaftlern und dem Publikum, der eine angenehm offene Festivalatmosphäre produzierte. Man kann daher nur auf eine baldige Fortsetzung des Festivals hoffen.

Resonanzen

Festival für Hörkunst

15.-18.04.2010, Schaubühne Lindenfels, Tapetenwerk

www.resonanzen-leipzig.de

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