Mit dem vierfachen Wechselspiel „Bach tanzt!“ geht die Oper in die Spielzeitpause
Nicht nur die letzte Vorstellung der Spielzeit, sondern auch die letzte Vorstellung des Leipziger Balletts unter der Leitung von Paul Chalmer bot sich dem Publikum am 16. Juni 2010 in der Oper Leipzig. In Bach tanzt’ wurde – passend zum Bachfest – die Musik des großen Komponisten des Barocks von vier verschiedenen Choreographen interpretiert. Gleich vier Jahrzehnte decken diese sehr unterschiedlichen choreographischen Handschriften ab – von den 40er Jahren bis heute.
Ausgangspunkt des Abends bildete George Balanchines Choreographie Concerto Barocco von 1941. Drei Sätze des Konzerts für zwei Violinen und Orchester in d-moll (Orchester unter der Leitung von William Lacey) hat der Großmeister der Neoklassik in klaren Linien und Positionen auf die Bühne gebracht und zwar im wortwörtlichen Sinne: Die Tänzer reflektieren auf der Bühne das Geschehen im Orchestergraben. Mit dem Einsatz der beiden 1. Violinen betreten die Solistinnen (Laura Joffre und Tatjana Paunović) die Bühne und es beginnt ein fast ornamenthaftes Spiel. Solistinnen und Ensemble verschmelzen immer wieder zu einer Einheit und brechen diese wieder auf – Spiegelungen, Wiederholungen und Versetzung der Bewegungen erinnern zuweilen an ein Kaleidoskop der Körper. Erweitert wird dieses Wechselspiel im 2. Satz durch Jean-Sébastien Colau, der seine Partnerin durch das Labyrinth der sich verwebenden Tänzerinnen führt. Die Anmutigkeit der Bewegungen, die Eleganz des Tanzes als körperliche Wiedergabe und Ergänzung der Musik wird präsentiert – eine Aufgabe, die das Leipziger Ballett souverän beherrscht. Im finalen Bild huldigen die Tänzer – wie am Hofe – der Königin der Musik mit der letzten gemeinsamen Verbeugung.
Ganz im Gegensatz dazu verschreibt sich Suite Suite Suite vielmehr den Tänzern. Spannungsgeladen bricht das Stück von Goecke, das 2008 eigens für das Leipziger Ballett choreographiert wurde, in seiner Formensprache aus dem restlichen Abend aus. Nur ein Fußpaar ist zu Beginn zu sehen; den Rest verdeckt ein schwarzer Vorhang, der nur einen halben Meter der in hellem Weiß ausgeleuchteten Bühne sehen lässt. In der Stille des Saales nähert sich ein schnelles Stampfen von den Tiefen der Bühne und weitere Fußpaare tauchen rechts und links auf. Plötzlich verdoppeln sie sich – von den Tänzern an Schnüren heruntergelassene Schuhe lassen die Geräuschkulisse zunehmen, bevor sie wieder verschwinden. Erst jetzt beginnt die Orchestersuite und der Vorhang öffnet sich zur leeren Bühne, auf der nur Itziar Mendizabal in rotem Samtanzug steht. Mit unheimlicher Spannung und Präzision in ihren Bewegungen beeindruckt sie in dieser eine andere, beinahe gegensätzliche Körpersprache sprechenden Choreographie. Das männliche Ensemble steht ihr dabei nicht nach und meistert die harten, abgehackten Armbewegungen und Schnelligkeit der Choreographie. Manchmal scheinen die Tänzer fast tierisch, erinnern an Insekten oder Vögel, wenn sie wie kaum erkennbare Schemen aus dem Dunkel der hinteren Bühne auftauchen. Dabei geben sie und ihr Tanz den Ton an, nicht die Musik. Ihr wird vielmehr durch die Geräusche des Tanzens – Atmen, Laufen – eine weitere Ebene hinzugefügt. Es sind die Tänzer, als wirkliche Stars des Stücks, die Anfang und Ende der dunklen und äußerst faszinierenden Auseinandersetzung mit Bach bestimmen.
Nach ausgiebigem Applaus kommt das einzige Solostück des Abends mit Nicolas Le Riche in A Suite of Dances von Jerome Robbins auf die Bühne. Für nur zwei Vorstellungen als Gast vom Paris Opera Ballet in Leipzig, brilliert der étoile in dieser schlichten Choreographie. Der Vorhang öffnet sich zu Le Riche, der vor der Cellistin auf dem Boden sitzt und sie anschaut, bevor sie sich beide auf ihre Positionen begeben und ihr (man kann eigentlich nur sagen) Duett beginnen. Nur der Tänzer und das Solo-Cello (bemerkenswert: Veronika Wilhelm) formen ein Pas-de-Deux von einer Intensität, die in dieser Vorstellung nicht zu toppen ist. Zu erleben ist eine Symbiose von Musik und Tanz, zwei gleichberechtigte Partner, die sich gegenseitig bedingen – man kann nicht unterscheiden, wer hier wen führt. Eine Leichtigkeit und Unangestrengtheit ist den Sprüngen und Drehungen des étoile inne, dass es eine Freude ist, zuzusehen. Mit einem Radschlag beendet Le Riche diese amüsante, beinahe humorvolle Interpretation Bachs, bevor er wieder in seine Ausgangsposition vor dem Cello zurückfindet. Das Publikum feiert diesen eigentlichen Höhepunkt des Abends mit lang anhaltendem und begeistertem Applaus.
Den Abschluss des Abends bildet AIR! von Uwe Scholz, 1982 für das Stuttgarter Ballett geschaffen. In engster Anlehnung an die Musik spielen die vier Solisten und acht Ensemblemitglieder mit Bildern und Formen, die immer wieder auftauchen und sich gegeneinander verschieben. Besonders der mit dem Stück gleichnamige zweite Satz besticht. Nur die beiden Solistenpaare (Oksana Kulchytska und Marek Steinke, Tatjana Paunović und Jean-Sébastien Colau) sind auf der Bühne, tanzen jeweils eine eigene Choreographie, die nur scheinbar voneinander unabhängig ist. Immer wieder kommen sie für kurze Momente zusammen. In warmes Licht getaucht und mit weicher, fast lyrischer Körpersprache wirken sie wie ein Paar, das sich tänzerisch umwirbt, um sich letztendlich in der letzen gemeinsamen Pose zu finden. Die anderen Teile der Choreographie bringen ein Spiel von Duos und Gruppen. Amüsant wird dies im vierten Teil – der Solist darf seine kraftvollen Sprünge umrahmt von Tänzerinnen zeigen. Ein Balzspiel mit männlichem Imponiergehabe scheint auf der Bühne zu geschehen, bevor die Tänzerinnen abgehen und der Mann alleine zurück bleibt. Ein augenzwinkernder Einwurf, bevor es wieder ernst wird. AIR endet mit einer um ihren Mittelpunkt rotierenden Tänzerkette, die sich beim Schließen des Vorhangs auflöst und die Tänzer mit emporgereckten Armen über die Bühne schickt. Ein triumphierend anmutender Schluss als allerletztes Bild für das Publikum, das die letzte Vorstellung seines Leipziger Balletts mit ausgiebigem Applaus und vereinzelten Standing Ovations begeistert feiert.
Ein schöner Abend mit den tänzerischen Höhepunkten bei Goecke und Robbins, wenn auch der emotionale Höhepunkt sicherlich bei der letzten, gemeinsamen Verbeugung lag – Blumen und Küsschen wurden verteilt, Erinnerungsphotos gemacht. Ein würdiger Abschluss der Spielzeit und der Leitung Chalmers, bevor Mario Schröder ab der Spielzeit 2010/11 das Ruder übernimmt.
Bach tanzt!
Ballettabend zu Musik von Johann Sebastian Bach
16. Juni 2010, Oper Leipzig
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