Ganz unexotisch von der Sahara bis zum Kap

Ein Band stellt die Theaterszene in der südlichen Hälfte Afrikas vor

Spätestens mit der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ist der afrikanische Kontinent ein wenig in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. In Fernsehreportagen wurden Townships besucht, um den Kontrast zur monströsen Investition der Stadienkultur aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass Afrika ein armer Kontinent ist, der für den Moment eines Weltereignisses eine Chance erhalten hat, bei den Großen mitzuspielen. Hier wurde vielleicht auch vielen Westeuropäern klar, dass sie nicht viel mehr über die Kultur und das Leben dieses Kontinentes wissen als das gängige Klischee bereithält.

Um das Puzzle Afrika um ein weiteres Teil zu bereichern, hat Rolf C. Hemke beim Verlag Theater der Zeit das Buch Theater südlich der Sahara herausgebracht. Dieses Kompendium ermöglicht den Einblick in die gegenwärtige Theaterpraxis Afrikas, die auf Grund der heterogenen Kultur sehr vielfältig ist. Die Theaterszene von 16 Ländern, darunter Äthiopien, Ghana, Burkina Faso, Mosambik und Südafrika, wird anhand von Portraits von Regisseuren und Reportagen über Theaterkollektive und -städte abgebildet. Daraus ergibt sich eine Theatergeschichte, die eigentlich auch eine Kulturgeschichte ist. Denn die Situation der Theater lässt sich als Spiegelbild der politischen und gesellschaftlichen Zustände der afrikanischen Länder lesen. Die Themen sind, sofern es möglich ist, hochpolitisch und nah an den Brennpunkten der jeweiligen Region. Ebenso eröffnet das Buch einen Einblick in die Kulturpolitik der Länder. So arbeitet man in Äthiopien unter strengen Auflagen der Regierung. Aber auch die weit zurück reichenden Wurzeln der traditionellen Theaterformen, die tief in die Zeit vor der Kolonialisierung weisen, werden betrachtet und ins Verhältnis zum modernen Theater Afrikas gesetzt, das mitunter durch die Guckkastenbühne assoziiert wird.

Ein Beispiel. Äthiopien unterhält fünf große Theaterhäuser, die staatlich subventioniert werden und unter der Kontrolle der Regierung stehen. Die Stückauswahl für die jeweilige Spielzeit legt kein künstlerischer Leiter oder Intendant fest, sondern ein Gremium, das vorrangig aus parteinahen Mitgliedern besteht. Die künstlerische Freiheit der Theatermacher wird somit immens eingegrenzt, und die Auflage, massentaugliche Stücke zu produzieren, die viel Geld einspielen, spricht für die fehlende Unabhängigkeit der Kulturinstitutionen. Um diese Zwänge zu umgehen, bilden sich mitunter freie Theater, wie zum Beispiel das von Ayalneh Mulat gegründete Kendil Bete Tewnet, das wiederum von der Werbung auf dem einzigen Fernsehsender Äthiopiens sowie den regierungsnahen Radiostationen ausgeschlossen wird. Auf diese Weise boykottiert die Regierung die Etablierung freier Theater, die einen meinungsstarken Rezipienten hervorbringen könnten. Und das sind nur zwei Beispiele – innerhalb des Buches entspannt sich ein sehr differenziertes und aktuelles Bild der kulturpolitischen Zustände Afrikas.

Alle Beiträge sind in deutscher und englischer Sprache verfasst und ermöglichen die internationale Rezeption dieses Buches. Die Prägnanz und Kürze der Texte ermöglicht einen schnellen und dennoch tiefreichenden Einblick in die afrikanische Kultur, der in dieser Form bisher durch kein anderes Medium ermöglicht wird. Auch wenn das Buch sicherlich eher fürs Fachpublikum gedacht ist, bietet es sich durch den weitreichenden Verzicht auf Fachtermini auch als Lektüre für alle Interessierte an.

Rolf C. Hemke:

Theater südlich der Sahara

Verlag Theater der Zeit

256 Seiten, 18 Euro


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