Kostproben eines Neuanfangs

Spielzeitstart des Leipziger Balletts unter neuer Leitung von Mario Schröder

Ballettdirektor Mario Schröder (Fotos: Oper Leipzig / Sascha Eilert)

„Viel Spaß!“ – mit diesen Worten und per Handschlag begrüßt ein Tänzer einen kleinen Zuschauer im Opernhaus. Und dieser lockere, familiäre Ton prägt den ersten Abend des Leipziger Balletts unter der neuen Leitung von Ballettdirektor Mario Schröder. Gewissermaßen eine Heimkehr – vor elf Jahren verließ der damalige erste Solist des Leipziger Balletts die Stadt um als Ballettdirektor in Würzburg und später in Kiel zu arbeiten. Mit seiner Auftaktveranstaltung Warm up! kehrt er wieder an den Wirkungsort seines Freundes und Mentors Uwe Scholz zurück.

Die Abendveranstaltung bildet den Abschluss eines Tages, an dem sich das Leipziger Ballett seiner Stadt präsentiert – auf sehr angenehm unprätentiöse Weise. Eine Company zum Anfassen. Bereits nachmittags beginnt das Rahmenprogramm, bunt gemischt vom Publikumsgespräch über eine Fotosession mit den Tänzern bis zum Balletttraining für die Kleinsten. Und genauso offen und vielseitig zeigt sich auch der Abend. Mit Lausbubencharme führt Schröder durch das Programm aus acht Choreographien und wird dafür vom Publikum bejubelt. Neben den Stücken des neuen Ballettdirektors dürfen natürlich auch zwei Choreographien von Großmeister Uwe Scholz nicht fehlen. Ein Solo aus der Schöpfung (Kiyonobu Negishi) und ein Pas de Deux (Negishi und Shota Inoue) zur ‚Suite für zwei Klaviere’ von Rachmaninow sind technisch mit einer Leichtigkeit interpretiert eine Verneigung vor dem Werk des für Leipzig so wichtigen Choreographen. Dieser Respekt vor dem klassischen Erbe findet auch in Schröders erster Choreographie seinen Ausdruck. Contact verbindet Schwanensee, das Ballett schlechthin, mit zeitgenössischem Tanz. Zwei Paare (Tatjana Paunović und Mohamed Youssry / Urania Lobo Garcia und Oliver Preiß) sind auf der Bühne – in ihrem Tanz zunächst strikt durch die Musik getrennt, bevor sie diese Grenzen immer mehr sprengen, bis sie in einer gemeinsamen Pose enden. Ein ruhiges, in seiner Intensität faszinierendes Stück. Noch ein weiteres Pas de Deux zeigt Schröder an seinem Einstiegsabend. Pour un clin d’oeil (beeindruckend: Federica Vincifori und Tomás Ottych) handelt vom Augenblick der Begegnung. Zwei Menschen treffen aufeinander, entfernen sich und finden sich wieder – sehr impulsiv zum einen, aber auch ganz zart und sanft zum anderen. Eine fesselnde Choreographie mit einer kraftvollen, intensiven Bewegungssprache.

Einen direkten Ausblick auf Kommendes bietet ein Ausschnitt aus Chaplin, der nächsten Premiere des Leipziger Balletts. In einer sich windenden Kette wackelt fast das gesamte Ensemble nacheinander zur Musik von John Adams auf die Bühne. In das typische Outfit Charlie Chaplins gekleidet – bis hin zum Schnurrbart – beginnen sie einen dynamischen Gruppentanz mit synchronen, ruckartigen Bewegungen, der das Gefühl aus Modern Times aufsteigen lässt. Menschen, die wie Maschinen funktionieren – umgesetzt allerdings mit einem Element der Komik, das man im Laufe des Abends immer wieder findet. Doch nicht nur Choreographien werden vorgestellt, auch die Tänzer bekommen die Möglichkeit sich ganz persönlich dem Publikum zu zeigen. In Warm up! – mit dem gleichen Motto wie der gesamte Tag – ist das Ensemble vollständig auf der Bühne, gekleidet in die gelben T-Shirts des Leipziger Balletts. Mario Schröder sitzt vorne am Bühnenrand. Das Ensemble geht langsam umher, bildet eine sich stetig bewegende Masse. Nach und nach beginnt jeweils ein Tänzer zu improvisieren, wobei er von Schröder kurz vorgestellt wird. Eine sehr intim und berührend wirkende Situation, in der die ganz eigene Formen- und Körpersprache der TänzerInnen sichtbar wird.

Die beiden letzten Kostproben des Abends, Daf und Erdbeermund, bilden nach dem ruhigen Warm up! einen kraftvollen, energiegeladenen Abschluss. In Daf zelebriert Schröder mit dem männlichen Ensemble die Männlichkeit, allerdings ohne das Thema zu bierernst zu nehmen. Ein Touch Selbstironie ist am Start – von der Frau in High Heels, die den Tänzern durch ihren Gang den Kopf verdreht, bis hin zu den roten Rosen, die ihr hinterher geworfen werden. Oder auch die Bierdosen, die in krawalljugendlicher Art zerknüllt und in den Orchestergraben geworfen werden. Erdbeermund hätte ein bisschen Selbstironie ganz gut vertragen. Die Tänzerinnen in roten Kleidern, die später von Wasser durchnässt ihre Haare durch die Luft schleudern, waren dann teilweise doch ein bisschen zuviel des Guten. Unter anderem zu Kinskis Vertonung von ‚Ich bin nach deinem roten Mund so krank’ lässt das weibliche Ensemble beim Publikum das Gefühl eines orientalischen, zeitweise beinahe rituellen Tanzes aufkommen.

Wie alle Darbietungen des Abends wird auch das letzte Stück von den Zuschauern mit begeistertem Applaus und Jubel belohnt. Es macht Spaß dem neuen Leipziger Ballett zuzuschauen. Und es ist wahrhaftig neu – sowohl in Besetzung, als auch in Strukturierung. Aufgelöst ist die strenge klassische Balletthierarchie mit Solisten und Corps de Ballet, um ein Ensemble zu schaffen, in dem jeder Tänzer denselben Rang hat. Auch viele Neuzugänge sind zu verzeichnen, die meisten davon hat Mario Schröder aus Kiel mitgebracht. Das Gemeinschaftsgefühl des Ensembles ist noch nicht ganz da, die Bewegungen in den synchronen Abläufen sind manchmal noch ein wenig holprig – wie auch nicht, nach nur drei Wochen gemeinsamer Zeit. Aber doch war es ein sehr kurzweiliger Abend, der Lust macht auf mehr, neugierig auf das, was kommen wird. Ein fulminanter und gelungener Start für den neuen Ballettchef – jetzt muss dieses Versprechen, wie es weiter gehen könnte, auch eingelöst werden. Und darauf darf man gespannt sein.

Warm up!

Leipziger Ballett

Leitung: Mario Schröder

Oper Leipzig, Opernhaus, 18. September 2010


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