Die zwei Fragezeichen

Irritierende Felsspalten: United sorry gehen mit „Lost in Space“ in ihrem eigenen All verloren – Werkstatt-Tage im Theater der Jungen Welt

Was ist geplant, was Zufall, was misslungen? (Foto: Roland Seidel)

Wo war noch mal, wo hab ich denn, wie wollte ich sagen, my mind is broken, my body flies high. Lost in Space haben die beiden Performance-Künstler Robert Steijn und Frans Poelstra von United Sorry aus Amsterdam das Ganze genannt, und der Name ist Programm.

Es ist ein Konzert, das Verstörung produziert. Man möchte nur zu gerne an einen Witz glauben, daran, auf den Arm genommen worden zu sein. Zwei Männer in den Vierzigern stolpern auf der Bühne herum, als ob wirklich alles verloren sei. Sie suchen ihre Instrumente, die Textblätter, den Song, die Requisiten liegen zu ihren Füßen, aber außerhalb ihres Sichtfeldes.

Irritation erobert den Raum, als der erste Song beginnen soll, Frans Poelstra sich verspielt, der Bass nachgestimmt werden muss, und Robert Steijn immer wieder aufs Neue die schön gesetzte pathetische Pose einnimmt: ein Bein zur Seite gestreckt, die Arme ausgebreitet, der Blick gen Himmel gerichtet. „Am I home?“ heißt der Song, und er ist durchaus faszinierend, denn United Sorry kümmern sich nicht um die sowieso meist hinderliche Perfektion. Den Ton nicht getroffen? Nicht so schlimm. Den Takt verloren? Beim nächsten Mal.

Das Publikum soll wohl aufgelockert werden, doch United Sorry nehmen das Risiko auf halbem Weg gleich mit: Verwirrung. Was tun sie da vorne? Was ist geplant, was Zufall, was misslungen? Wer weiß das schon? Der Abend gibt keine Antworten, zu viele Fragezeichen schleppen die Performer mit sich herum. Wo habe ich noch mal die Gitarre? … Was war als nächstes dran? … Bist du sicher, dass dieser Song jetzt…? Ja? Ach so, leises Kichern, da sage ich noch mal was dazu.

Zweifeln, ob die zwei Männer nur bluffen oder zu mehr Leistung an diesem Abend nicht in der Lage sind. Unkoordiniert wanken sie über die Bühne, verlieren ab und zu die Balance, schweifen ab. Die Zeit entzieht sich ebenso der Kontrolle, das Programm dauert eine halbe Stunde länger als geplant. Am Ende improvisiert Frans Poelstra auf der Trompete, Robert Steijn spricht. Er will „Christoph Schlingensief auf die Bühne“ zu sich rufen, „ich habe tote Menschen in meinem Herzen“. Mut zum Risiko beweisen die beiden auch, wenn Robert Steijn mit seinen Händen Geruchsproben vom Achselschweiß und Penis seines Kollegen nimmt und ausgiebig daran schnuppert. Oder als Frans Poelstra die Hosen runterlässt und seinen Hintern rhythmisch in Richtung Publikum schwingt.

Das Ergebnis enttäuscht, bei weniger Flapsigkeit wäre das Potential einer spannenden Performance groß gewesen. Wenn Poelstra improvisiert, tun sich Klangwelten auf, die kaum fassbar sind. Und wenn Steijn beginnt zu tanzen, bekommt man eine Ahnung, wie United Sorry sich die Faszination eines gefüllten Raumes sichern könnte. Die Bewegungen sind packend und ziehen einen in den Bann. Der Song „Fly“ ist großartig. „My body is shaking / my mind gets higher / my heart starts to tremble / I want to fly – FLY“. Bessere Vorbereitung, Koordination, mehr Konzentration hätten ein schönes Ergebnis liefern können. Sie würden Löcher lieben, heißt es in der Ankündigung. Doch das sind keine Löcher. Da tun sich Felsspalten auf. Man schwankt am Abgrund und verliert sich im Fall. Lost.

Lost in Space

Von Frans Poelstra und Robert Steijn

Gastspiel von United sorry (Amsterdam)

Anlässlich der 17. Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheater

30. September 2010, Theater der jungen Welt, Großer Saal


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