Der zweite Opernabend der 34. Leipziger Jazztage mit Brötzmanns Full Blast, Three Fall und Medeski Martin & Wood
Drei Trio-Konzerte bildeten den zweiten Konzertabend in der Leipziger Oper. Drei Konzerte, die rein formal dem avisierten thematischen Rahmen der 34. Leipziger Jazztage – Klangpunkt Deutschland – nur bedingt gerecht wurden: Neben dem jungen Kölner Ensemble Three Fall und der deutsch-schweizerischen Formation um den Freejazz-Veteran Peter Brötzmann kam der Hauptact des Abends mit Medeski Martin & Wood aus den Vereinigten Staaten. Diese Abweichung von der thematischen Vorgabe liegt wohl in der Absicht begründet, eine breite Zuhörerschaft anzulocken, auch über die Riege eingefleischter Jazzkenner und -liebhaber hinaus. Das ist insofern schade, als es auch den Eindruck eines Vorbehalts gegenüber der konsequenten Durchsetzung des eigenen künstlerischen Programms erweckt.
Das erste dieser drei Konzerte knüpfte stilistisch an den Abschluss des Vorabends an: Der für den deutschen Freejazz der späten 60er und 70er Jahre prägende Saxophonist Peter Brötzmann präsentierte mit seinem Projekt Full Blast dynamisch ins Extrem gesteigerte Kollektivimprovisationen, die vor allem durch den verzerrten E-Bass Marino Pliakas‘ von einem Duktus durchzogen waren, der stark an diverse Spielarten des Metal erinnerte. Zusammen mit Schlagzeuger Michael Wertmüller erzeugten beide fast durchgängig Klangwände, deren innere Struktur für den Zuhörer oft nur noch schwer erkennbar war und nur bei gemeinsamen abrupten Abbrüchen klarere Formen aufwies. Dass solche Massivität oft auch den akustischen Zugriff auf das Spiel Brötzmanns verstellte, kann hier als selbst verschuldete Unausgewogenheit des Ensembles gelten, das sich so die eigenen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten stark beschnitt. Auch Brötzmann selbst ließ sich kaum darauf ein, konkrete motivische Vorlagen zu geben, sondern bediente durchweg seinen bekannten röhrenden Saxophon-Sound; allein die regelmäßigen Atempausen gaben dem expressiven Fluss kurze Einschnitte, die über das gesamte Konzert hinweg seinem Spiel allerdings eine gewissen Monotonie verliehen. Dass eine solche ultimative Aufgabe konkreter Formen auch für Brötzmann keineswegs typisch ist, zeigt schon ein Vergleich mit seinen frühen Werken, wie etwa den 1968er Machine Gun Sessions. An der so bewusst herbeigeführten musikalischen Unbestimmtheit wird aber gerade die zentrale Rolle deutlich, welche differenzierten Ausdrucksmitteln in der Musik im Allgemeinen und für die freie Improvisation im Besonderen zukommt. Ähnlich wie in bestimmten Spielarten abstrakter Malerei – man denke etwa an die schwarzen Gemälde Ad Reinhardts – zeigt sich, dass mit der generellen Aufgabe von Mitteln der konkreten Darstellung sich letztlich auch die jeweilige Kunstform selbst auflöst.
Das anschließende Konzert des Kölner Trios Three Fall spiegelte diesen Befund aus entgegengesetzter Richtung durch die Verwendung prägnanter Rhythmen und eingängiger Kompositionen. Die eher ungewöhnliche Besetzung von zwei Bläsern und einem Schlagzeug machte die musikalische Interaktion außerordentlich transparent, ohne aber im Gesamtklang den Eindruck von Unvollständigkeit zur erregen; abwechselnd übernahm einer der Bläser die Funktion des Bass und garantierte so die nötige harmonische Grundlage. Dabei beeindruckte vor allem Posaunist Tilmann Schneider, sobald er neben der rhythmisch präzise phrasierten Bassfigur teilweise noch eine zweite Stimme in den geblasenen Ton sang und so, wie in dem Stück „Bones and Steaks“, eine polyphone Begleitung ermöglichte. Auch Lutz Streun bediente sich auf seinem Tenorsaxophon oft kurzer Phrasen, welche den groove-orientierten Grundzug der Band noch unterstützte – teils begnügte er sich sogar mit rein percussiven Anstößen und Atemgeräuschen, die er zu komplexeren Rhythmen zusammenfügte. Das alles ging wunderbar mit dem prägnanten Schlagzeugspiel Sebastian Winnes zusammen und ergab ein durchaus stimmiges wie mitreißendes Gesamtkonzept. Dass dieses aber nicht auf reine Groove-Nummern beschränkt blieb, zeigten Stücke wie das balladeske „Ottostraße“ oder das fast programmatische „Dunkelgrün“, in dem Schneider durch Zirkularatmung durchweg ein Didgeridoo imitierte, welches Winne mit einem nativen Percussionsspiel unterlegte. So gewann der Auftritt der drei jungen Musiker an Breite und überzeugte auf ganzer Linie, was auch das Publikum sichtlich begeisterte und zu stürmischem Applaus antrieb.
Seinen Abschluss fand der Abend mit der New Yorker Gruppe Medeski Martin & Wood, deren Sache ebenfalls das rhythmisch orientierte Spiel ist. Entsprechend einfach und harmonisch entschlackt kamen dann auch die meisten Stücke daher, die abgesehen von einzelnen freien Interludien fast nahtlos ineinander über glitten. John Medeski wechselte fortwährend von einem Tasteninstrument zum nächsten, legte synthetische Klangflächen, erfand kurze eingängige Motive, die ausdauernd wiederholt, bearbeitet und variiert wurden; abgesehen von Zitaten einzelner ihrer bekannten Stücke verschwamm so der Unterschied zwischen Thema und Improvisation. Unterstützt wurde er durch das disziplinierte Spiel des Schlagzeugers Billy Martin und Bassist Chris Wood, die beide sich oft auf ihre Funktion als Rhythmussektion beschränkten und nur an gegebener Stelle solistisch in den Vordergrund traten. Die jüngere Arbeitsweise dieser Formation, kompositorische Grundrisse in Konzerten auszubauen, um sie im Anschluss erst aufzunehmen, schlug auch hier durch: Waren die groben Strukturen und großen Bögen klar, so wirkte innerhalb dieses Rahmens vieles eher wie ein Austesten, was die jeweilige Form zu bieten habe. Das vermittelte anfangs zwar eine gewisse Lockerheit und Frische, verlieh dem Ganzen mit der Zeit jedoch auch den Charakter einer Jamsession, in der vieles einfach nicht konsequent zu Ende geführt wird. Das hinterließ beim Zuhörer einen ärgerlichen Nachgeschmack, der trotz all der ansprechenden Grooves musikalisch oft im Regen stehen gelassen wurde.
34. Leipziger Jazztage
Jazz in der Oper
Brötzmanns Full Blast
Three Fall
Medeski Martin & Wood
1. Oktober 2010, Oper Leipzig
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