TonLagen: Beim Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik gibt HK Gruber seinen „Frankenstein!!“
Dieter Jaenicke, seit zwei Jahren künstlersicher Leiter des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau, stellt in der zweiten Ausgabe von TonLagen gleich die Grundfrage Neuer Musik: Darf Neue Musik populär sein oder geht dadurch der Kunstanspruch verloren? Ein Programm um diese Frage, eröffnet die Gelegenheit, verschiedenste Ansätze rund um das, was man mit Neuer Musik verbindet, zu präsentieren. Mit siebzehn Tagen hat das diesjährige Programm dazu wahrlich europäische Dimensionen.
Frankenstein!! – ein dichteres Programm zum Thema „Populär vs. elitär“ findet man im Festivalprogramm nicht. HK Gruber demonstriert mit seinem 1978 uraufgeführten Stück Frankenstein!! wie selbstverständlich man Grenzen auflösen kann. Zu Beginn des Abends trägt HK Gruber die ursonate von Kurt Schwitters vor. Welch Glanzleistung! Als wäre ihm die in den Jahren 1922 bis 32 entstandene lautmalerische Aktion auf den Leib geschrieben. Seine Interpretation arbeitet die innere Konsequenz und Logik der dadaistischen Wortgruppierungen plastisch heraus. Schwitters Hauptthema „fümms bö wo fää zää uu, pög´iff“ wird mit einer überraschenden Ernsthaftigkeit vorgetragen, einzelne Lacher im Publikum verstummen schnell, wenn HK Gruber eine seltsam fesselnde Musikalität in das Werk transportiert. Die vielen „r“ sind für ihn als Wiener natürlich eine Steilvorlage. In manchen Passagen hat man das Gefühl, HK Gruber könnte auch ebenso fesselnd aus einem Telefonbuch vorlesen, so wunderbar musikalisch geht er mit der Sprache als rein abstraktes Material um.
Wunderbar gelingt der nahtlose Übergang zu Zefiro aleggia… nell’infinito seiner Landsmännin Olga Neuwirth. Die dichten Aktionen der einsätzigen Komposition werden durch das Soloinstrument immer wieder mit impulsiert. Die trockene Dramaturgie steigert sich zu einem vibrierenden Schluss. HK Grubers Perpetum Mobile/Charvari stellt die Frage des Festivals nochmal ganz kontrovers. Den unvergleichlichen sprühenden Witz von Johann Strauss werden heutige Entwicklungen entgegengesetzt, die die Vergnügungsmusik des Kaiserreichs immer wieder zum Verrutschen bringen. Am Ende hat man das Gefühl einer Endlosschleife ausgesetzt zu sein. Die Dresdner Philharmoniker absolvieren auch diesen Part mit Bravour, die gut 200 Zuhörer im wunderbaren Großen Saal des Festspielhauses genießen es sichtlich.
Nach der Pause Frankenstein!!. HK Gruber rezitiert und dirigiert das 1978 unter Simon Rattle uraufgeführte Stück mittlerweile völlig auswendig, so oft hat er es seither aufgeführt. Eine schöne Klammer zum Lautgedicht zu Beginn schaffen jetzt die Kinderreime des Dichters H. C. Artmann. Die Dada-Kunst der zwanziger Jahre hat sich entwickelt, hinter den scheinbar harmlosen Texten Artmanns lassen sich politische Botschaften lesen, man kann sich aber auch „nur“ amüsieren, ganz nach Gemütslage. Wie auch schon zu Beginn glänzt HK Gruber mit einer hochkonzentrierten Intonation, ergänzt wiederum mit einer immer neu verblüffenden Mimik. Musikalisch schimmert der verehrte Kurt Weill durch, besonders im 5. Teil. Aber auch Jazz und Anklänge an asiatische Musiktraditionen lassen sich erkennen.
Im Ganzen ein wunderbares Beispiel wie ein elitärer Ansatz sich reibungslos mit populären Themen und Techniken verträgt. Der Abend löst das Versprechen des Festivals ein – sogar die sonst der Moderne und dem Experimentellen eher abgewandten Berufsmusiker der Dresdner Philharmonie finden nach der Vorstellung an der Bar: „Der Gruber ist´n dufter Typ!“
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