Recycling in Gottes Namen

Christian Hanisch zeigt in den Cammerspielen mit „Die Mythosmaschine“ den Überlebenswillen im Endzeitfieber

Existenzielle Gefühlsausbrüche, Menschen werden zu Maschinen (Fotos: Mathias Schäfer)

Zwei Gestalten betreten den Teppich aus PET-Flaschen. Mit modischem Gespür haben sie sich der Kostümkiste eines kosmischen Müllmann-Verleihs bedient – aufgepeppt mit Mundschutz und Greifzange machen sie sich ans Werk. Rhythmisches Knacken von Plastik begleitet die ordnungsgemäße Vorbereitung auf ein Ende, das uns allen noch bevorstehen wird.

Jemand Drittes irrt scheinbar verloren im Unrat umher. Krabbelnd sucht er nach Wasser, ohne sich von Schikanen der anderen daran hindern zu lassen. Überlebenswille im Endzeitfieber? Wer ist der Fremde? Was hat er vor? Ein Prophet? Wer genau hier das Unheil überträgt, woher eigentlich die Bedrohung stammt, wird sich nicht herausstellen. Wo bleiben die Wesen mit den riesigen Ohren, die Blut trinkenden Völker? Zunächst brauchen sie nicht zum Vorschein zu kommen, denn jeder kann Magog sein und diese Willkür aufzuzeigen, ist der Verdienst des Stückes: Die Mythosmaschine – gog magog wars in den Cammerspielen Leipzig.

Woran sich nicht rütteln lässt: So Gott will, werden am Tag des Jüngsten Gerichts die Völker Gog und Magog über die Erde hereinbrechen und die Ungläubigen vernichten. Dem Allmächtigen und all jenen, die auf der richtigen Seite gestanden haben werden, ist der Sieg jedoch gewiss. Immerhin. Knechtschaft erscheint allgegenwertig; allein wen sie treffen wird, steht noch zur Verhandlung.

Bevor es soweit ist, wird aber noch einmal aus dem Vollen geschöpft. Die Angst vor der Katastrophe, dem eigenen Bewusstsein, dem Einbrechen des Irrationalen hätte angesichts der Sicherheits- und Überwachungsstrategien unserer Gesellschaft bereits eine Fülle an Material liefern können. Mindestens so ertragreich verhält es sich mit der Konstruktion des Fremden, wo einem einschlägige Eskapaden anhaltender Integrationsdebatten begegnen. Damit aber gibt sich Regisseur Christian Hanisch keineswegs zufrieden. Den Schauspielern Sarah Arndtz, Katja Fischer und Falko Köpp wird hier einiges an Szenen abverlangt, die sich beständig über eine mögliche Erlösung hinweg setzen.

Montage zu heiligem Geleit

Über dem Boden thront ein Netz aus Flaschen. Sein eindrucksvoll lautes Herunterkrachen leitet das Szenario ein, dessen System unter vielem anderem auch das zweifelhafte Ideal des Menschen als Maschine hervorbringen soll. Zudem wird der biblische Mythos in Vers und samt Kirchenmusik auf die Bühne gebracht, treten existenzielle Gefühlsausbrüche zutage, Menschen werden selbstredend zu Maschinen, Maschinen erfahrungsgemäß zu Folterinstrumenten, Wüstenträume zum apokalyptischen Monolog. Bevor jeder vom Mythos infiziert wird, darf es nicht daran fehlen, Alexander dem Großen die Stimme erheben zu lassen, genauso wenig soll die obligatorische Kapitalismuskritik unberührt bleiben. Wenn der Mensch endlich aufhört, Mensch zu sein, ist vielleicht auch die Theatralik am Ende. Derweil sortieren die Arbeiter ihre Plastikwelt. Flaschen werden umgefüllt, noch Brauchbares abgezapft und zusammengetragen.

Dass aus den Unmengen von Flaschen letztlich nur eine verschwindend geringe Ausbeute Wasser bleibt, lässt sich ironischerweise auf die Wieder-und-wieder-Verwertung des gewaltigen Kontextes übertragen, der hier angerissen wird, sich aber nicht auszahlt. Die Essenz des Stückes scheint vielmehr im Irgendwo des Arbeitsprozess abhanden gekommen, der Ewigkeit übergeben worden zu sein.

Trotz eindrucksvoller Bewerkstelligung der Schauspieler, bemerkenswertem Bühnenbild und denkwürdigen Ansätzen kommt man großzügig herum, vom Geschehen gefesselt zu werden. Keine Ansteckungsgefahr.

Die Mythosmaschine – gog magog wars

Inspiriert durch Texte von Schreber, Kafka, Baudrillard, Rückert, des Korans und der Bibel

R: Christian Hanisch

Mit Sarah Arndtz, Katja Fischer und Falko Köpp

Premiere: 10. Oktober 2010, Cammerspiele Leipzig

www.cammerspiele.de

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