Keine Trinksprüche anzumelden

Leipzigs Politik verschläft die Würdigung eines der größten deutschen Parlamentarier und Leipziger Ehrenbürgers – ein Rückblick auf den Festakt zum 200. Geburtstag Eduard von Simsons

Eduard von Simson, porträtiert von Fritz Paulsen, 1880

Während sich Leipzigs Stadtpolitik wieder einmal mit sich selbst beschäftigt, OB Jung den erst 2009 installierten Kulturbürgermeister Faber demontiert, verschlafen die Politik, die Medien und damit leider auch die Öffentlichkeit den Festakt zum 200. Geburtstag des Parlamentariers und Juristen Eduard von Simson.

Viele andere verschlafen den Festakt nicht. Die Hausherrin und Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichtes Marion Eckertz-Höfer begrüßt mit freundlichen und sehr herzlichen Worten die Anwesenden: unzählige ehemalige Präsidenten und Richter deutscher höchster Gerichte, amtierende Gerichtspräsidenten, den sächsischen Justizminister und viele andere. Der amtierende Präsident des Bundesgerichtshofes Prof. Dr. Klaus Tolksdorf, Sir Konrad Schiemann – Richter und Vertreter Englands am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und Ururenkel von Eduard von Simson – und der Präsident des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Norbert Lammert werden im Anschluss zu Wort kommen. Wer nicht zu Wort kommt (kommen will?) ist die Stadt Leipzig, welche lediglich durch ihren Ersten Bürgermeister Andreas Müller vertreten ist.

Ach, waren das noch Zeiten als Oberbürgermeister Dr. Otto Georgi anlässlich der Grundsteinlegung des Leipziger Reichsgerichtes am 31. Oktober 1888 die Honoratioren des Deutschen Reiches zum Festmahl bat. Nach nicht weniger als zehn Gängen von frischen Austern über Rheinlachs bis Schnepfenpastete wurde höflichst gebeten: Trinksprüche bei Herrn Oberbürgermeister Dr. Georgi anzumelden“. Nachzulesen ist das im ausliegenden sorgfältig zusammengestellten Extra-Blatt aus Zeitungsartikeln und Druckerzeugnissen aus den Jahren 1879 bis 1896.

Die drei Gastredner haben ihre Reden sorgfältig aufeinander abgestimmt. Klaus Tolksdorf würdigt von Simson als herausragenden Juristen: Mit 22 Jahren erhielt er die venia legendi und lehrte dann in verschiedenen Professorenämtern an deutschen Universitäten, vor allem in Königsberg, seinem Geburtsort. Tolksdorf bedauerte auf humorvolle Art, dass Juristen relativ selten in die Gelegenheit kämen auf diese heutige Art geehrt zu werden, gerade auch im Gegensatz zu historischen Komponisten. Speziell der Verweis auf den (Fast-)Leipziger Robert Schumann und sein abgebrochenes Jurastudium wurde von der Festgesellschaft dankbar lachend angenommen.

Konrad Schiemann fiel der Part zu, über den Menschen Eduard von Simson zu sprechen. Mit viel britischem Humor zauberte der Wahlengländer Schiemann – er wurde in Berlin geboren und ging mit 9 Jahren ins Königreich – mit Originalzitaten aus Briefen und auch aus mündlichen Familienüberlieferungen das Bild eines pflichtbewussten, aber dennoch sehr humorvollen Mannes. Mündlich überliefert von Schiemanns Onkel Werner von Simson ist die Anekdote, dass Eduard beim Antritt seines Postens als erster Präsident des Reichsgerichts 1879 im Alter von 68 (!) Jahren seine Söhne bat, ihm rechtzeitig den Rücktritt nahe zu legen, wenn seine geistigen Fähigkeiten nachließen. Ein Sohn tat das dann auch 1891 bei einem gemeinsamen Souper, Eduard von Simson akzeptierte nach kurzem Zögern und reichte seine Demission beim Kaiser ein. Ein Akt von Konsequenz und Ehrbarkeit, von welchem Sir Konrad mit tiefer Bewunderung berichtete, nicht ohne gleichsam zu erwähnen, dass er selbst mit 68 Jahren als Richter an den Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg berufen wurde. Tiefe Bewunderung rief die Person Eduard von Simson gleichwohl schon zu Lebzeiten hervor, die Kölnische Zeitung vom 1. November 1888 berichtet anlässlich der Grundsteinlegung des Reichsgerichtes in Leipzig: „Sodann trat der Reichsgerichtspräsident Dr. v. Simson bis zu einem Abstand von etwa acht Schritt vor die beiden Majestäten. Simsons Erscheinung war von eigenartigem malerischem Reiz. An starker Farbenwirkung fehlte es wenigstens nicht. Man denke sich einen breiten, kräftig untersetzten Mann, den unter dem bordeauxroten Barett eisgraues, wolliges Haar schmückt, mit großen, dunkelschattigen Augenhöhlen und einem mächtig und kraftvoll gezeichneten Mund; der blutsamtene Schulterumschlag ist mit aschgrauen Pelz eingefasst und von dort fällt bis auf die breiten Füße ein roter weitbauchiger Talar (…) So steht er vor dem Kaiser und sein Auftreten hat für mich etwas Ergreifendes.“

Nach den emotionalen Vorträgen folgte der Festvortrag des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Er erläuterte den Werdegang Eduard von Simsons als deutscher Parlamentarier und Mitglied von nicht weniger als acht deutschen Parlamenten (von 1848–49 Präsident der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche). Lammerts Vortrag stellte die Deutsche Einheit in den Mittelpunkt. Er entwickelte sodann die These einer stringenten deutschen Genese des deutschen Volkes zu einer freiheitlichen, liberalen Gesellschaft in einem vereinigten Deutschland. Eduard von Simson wies er dabei eine bedeutende Rolle zu. Gerade durch sein oft verwendetes Zitat, dass Freiheit und Recht letztlich nur zwei Begriffe für ein und dieselbe Sache sind, hat von Simson die Herausbildung des heutigen Rechtsstaates entscheidend beeinflussen können, so Lammert.

Der überaus gelungenen Veranstaltung wohnten mehr als 30 Nachfahren Eduard von Simsons bei. Eduard von Simson, selbst Vater von sieben Töchtern und zwei Söhnen, hätte das sehr gefallen. Auch gefallen hätte ihm die Ernsthaftigkeit, mit der die heutige Veranstaltung vorbereitet war. Es ist schon etwas Besonderes, wenn sich vielbeschäftigte und vielgefragte Personen Zeit für diesen Nachmittag in Leipzig nehmen, im Falle der Redner sich sorgfältig mit dem Thema auseinandersetzen und den Anwesenden ein sehr authentisches und dadurch bewegendes Erlebnis verschaffen. Beim anschließenden Sektempfang im früheren Ballsaal des Hauses konnte man dafür eine große Dankbarkeit spüren.

Festakt aus Anlass des 200. Geburtstages von Martin Eduard Sigismund von Simson

7. November 2010, Großer Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichtes Leipzig

Ausführliche Vita zu Eduard von Simson auf www.ostdeutsche-biographie.de

„Eher bitter als reizend – Bundestagspräsident Norbert Lammert über Eduard von Simson“, Artikel in der Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 15.11.2010

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