Ausbruch an Weiblichkeit

Schön und begabt: Netnakisum-Sound im Wiener Semper-Depot

Das Geheimnis der Alpenstube: Netnakisum (Foto: Julia Wesely)

Ist Netnakisum eine Band oder eine Theatergruppe? Gehören die drei Damen in die Kabarettszene? Man weiß es nicht! Nicht zu Beginn der fast zweistündigen Show, als uns die Damen in drall bunten Dirndln gegenüberstehen, auch nicht am Ende, welches in eng anliegenden glitzernden Hosenanzügen bestritten wird. Eines hält das Feuerwerk der Ideen zusammen und das ist die Musik. Diese gestaltet sich erst mal ganz klassisch aus Violine, Viola und Violoncello. Über Verstärker wir das Ganze freilich verzehrt und gedehnt. Dazu kommt der Gesang von dee Linde, Magdalena Zenz und Marie – Therese Härtel –: Eine ungewöhnliche Kombination, welche die cirka 200 Zuhörer am heutigen Abend in Atem hält. Im Alter von 20 bis 60 sind alle gleichermaßen angetan von der eigentlich sehr einfachen Story und die geht so: Viola, eine Schöne vom Land, aus den Alpen, das ist sehr wichtig, sucht einen Mann, nein keinen Mann: einen Helden. Dazu reist sie in die Stadt, logisch: Auf dem Land gibt es ja keine Helden. Die Eindrücke dort überwältigen sie so sehr, dass sie darüber fast in ein einen fahrenden Lastwagen läuft, nur fast, denn da taucht der Held auf, rettet die Viola und der romantische Teil des Stückes nimmt seinen Anfang.

Die gesamt Geschichte halluzinieren die drei Damen allerdings nur verbal auf die Bühne, weil Viola samt Kulisse, na klar, am Flughafen festsitzt. Das Bühnenbild wird immer wieder beschrieben „jetzt würde hier eigentlich ein Zug von rechts nach links über die Bühne fahren, den Zug haben wir selbst angemalt!“. Es sind diese Geschichtchen, welche die Show so lebendig machen. Auf der anderen Seite lebt Netnakisum von den konzentrierten Gesten der Damen. Augen aufschlagen, Schuhspitzen anstarren, Lippen schürzen: Jedes Detail sitzt in der betont eindringlichen Körpersprache. Natürlich ist das auch ein Spiel mit Klischees, was funktioniert, weil die Klischees nicht um der Klischees willen auf die Bühne kommen. Hinter jedem Klischee steckt doch ein Stückchen Wahrheit: die Schönheit hinter den Postkartenpanoramas der Alpen, die Natürlichkeit und Spannung hinter der coolen ersten Verabredung. – „Geh’n wir zu Dir oder gehen wir zu mir?“.

Auch die Show selbst befreit gängige Klischees: Auf musikalischer Seite werden klassische Themen von Mozart und Ohrwürmer aus der Rockgeschichte wie Deep Purple vorbehaltlos in den Netnakisum-Sound eingebaut, auch vorm Jodeln schreckt man nicht zurück. Schlagersounds über die Liebe werden eben nicht persifliert, sie werden auf musikalisch höchstem Niveau in die Geschichten eingeflochten. Warum war denn Peter Kraus so erfolgreich?

Die eindringlichsten Momente erzeugen die schauspielerischen Leistungen. Die Geschichte um Viola scheint da nur die willkommene Folie, sich als Frau mal so richtig, ja das Wort ist berechtigt, auszutoben. Das ist ein Ausbruch an Weiblichkeit, der sich über klassische Rollenbilder einfach hinwegsetzt. Es ist nicht wichtig, ob Viola einen Mann sucht, wichtig sind ihre Sehnsüchte, ihre Träumereien und ihre Ängste. Das Publikum im wunderschönen alten Semper-Depot ist hingerissen, ja sprachlos möchte man sagen oder wie soll man sich die verblüffte Frage „Wie kann man nur gleichzeitig so schön und so begabt sein?“ einer wohl gut fünfzigjährigen Besucherin sonst erklären.

Netnakisum. Das Geheimnis der Alpenstube

Ein Bergdrama in zwei Akten von Markus Kupferblum

Regie: Markus Kupferblum
Kostüm: Ingrid Leibezeder
Bühnenbild: Hans Kudlich

18. November 2010, Atelierhaus der Bildenden Künste Wien, Semper-Depot

www.Netnakisum.at

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