Signal to Noise: Ist da jemand?

Irina Pauls mit neuem Label und neuer Produktion im LOFFT Leipzig

Ich bewege mich also bin ich (Foto: Rolf Arnold)

Wie kann man sich seiner selbst als, nun ja, lebendes Wesen vergewissern? Wie entsteht und funktioniert Selbst-Bewusstsein? Beim Kind mit dem Blick in den Spiegel, wenn das Wesen Mensch sich erstmals in Gänze und nicht aus der zerfetzenden Leibperspektive sieht. In der Ich-Werdung unterscheidet das Baby – zuvor symbiotisch mit Welt, d.h. Mutterbrust verbunden – zwischen Selbst und Welt. Da liegt der Hase im Pfeffer, denn im Spiegel ist unvermeidlich nur ein Bild zu sehen, sodass von nun an jede Identifikation mit dem Blick auf Bilderwelten operiert. So weit, so Lacan!

Man stelle sich derweil vor, morgens aufzuwachen und mit seinem Selbst-Bewusstsein völlig allein auf dieser Welt zu sein – kein Mensch, kein Hund, keine Fliege mehr. Die Welt als das Andere ist weggebrochen und das Ich droht in Ermangelung eines Gegenüber zu erodieren. Dieses Szenario nahm Irina Pauls in ihrer neuen Produktion Signal to Noise im LOFFT Leipzig als Fundament.

Pauls‘ Arbeiten waren seit ihrer Rückkehr nach Leipzig 2007 groß angelegte Compagnie-Aufführungen (Kafkas Verwandlung) oder überbordende Produktionen mit Laien und professionellen Tänzern (Pflegestufe IV). Neben Qualitäten in den Gruppenchoreographien und einer Bewegungs-Handschrift (strukturiert, pathetisch, emotional) war da immer ein zu viel, zerstörte Donner die starken Moment. Signal to Noise dagegen ist ein Solostück und überraschend mehr Installation als Tanz.

Da steht ein Mann (Thomas Maucher) auf der Bühne, umgeben von allerlei technischem Gerät, Karabinern, Fertighausteilen. Offenbar ist er der Illusion – denn wir, das Publikum sind ja da – erlegen, er sei auf dieser Welt allein. Was folgt sind 90 Minuten verzweifelter bis aberwitziger Versuche sich seiner eigenen Existenz zu versichern. Ganz wie im zugrunde liegenden Roman Die Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic beginnt er, mit Selbstaufzeichnungen; gibt sich Anweisungen per Diktiergerät, führt Scheintelefonate, nimmt mit Standmikro Geräusche seiner Bewegungen auf. Hier liegen die famosen Teile der Inszenierung. Etwa, wenn er ganz banalen Noise wie Atmen, Laufen, Kriechen aufnimmt und die geloopte Audiospur den Sound seiner Sisyphos-Arbeit bildet. Plötzlich ist er sich medial vermittelt selbst das Andere, dabei kaum weniger einsam. Wie kann er sicher sein, dass jenes Andere aus ihm ihn nicht zum Narren hält? Von wo aus ist so etwas wie ein reales Ich zu bestimmen, wenn man allein ist? Gleiches geschieht mit Videoaufnahmen seiner Bewegungen. Die lässt er auf Monitoren simultan zu seinen eigenen Bewegungen laufen. „Ist da jemand?“, befragt er immer wieder die Videos, die Dinge, jeden Spalt. Die Selbstaufzeichnung der Bewegung berührt ein penetrantes Problem des Tanzes, das in den Untiefen der Tanzwissenschaft zu versinken droht: Das Festhalten des Flüchtigen, bei Pauls neu gedacht durch die existentielle Selbst(ver)sicherung. Besonders eindrücklich als der mit Sprechen und Spielen teilweise überforderte Maucher in ein skurriles Duo mit einer Tonne gerät. Hier spielt er seine tänzerischen Stärken aus, indem er jeden Endpunkt einer Bewegung mit einem Kreidestrich markiert, um dann seiner eigenen Bewegung zu folgen und sie in der Wiederholung zu verschieben. Was bleibt ist die Tonne mit Kreidestrichen als Spuren seiner selbst. Auf engstem Raum ist da alles was Tanz ausmacht – ich bewege mich also bin ich und vice versa.

Dazu lässt Pauls auf der Bühne eine Materialschlacht veranstalten, in der Maucher Wände aufrichtet, Häuser baut, Fenster generiert, Leinwände spannt etc (Set und Bühne: Lia Goschke). Dies wirkt häufig unfreiwillig komisch, da ungelenk und gedehnt. Wie der Bricoleur die selbst geschaffenen Räume mit seinem Körper auslotet ist wiederum äußerst erhellend. Da ist zwar wenig Tanz, aber die spärlichen Bewegungen sind seltsam flimmernd, unsicher, ohne Selbstbewusstsein. Jede wird forsch begonnen, um dann zurückzuschrecken und die Amplitude mittendrin resigniert zu unterbrechen.

Im Laufe der Inszenierung entsteht eine widersprüchliche Stimmung, die durch atmosphärische Einsamkeit atmende Kurzfilme (Fabian Bechtle) nur noch ambivalenter wird. Etwas Unklares zwischen Verzweiflung, Belanglosigkeit und Lächerlichkeit. Es bleibt ein diffuses Gefühl der Verunsicherung, das sich mit Kafka die Gefahr des Erwachens nennen ließe. Gehört doch eine gehörige Portion Mut dazu, sich Abends in jenen gänzlich anderen Zustand des Schlafes (und Traumes) zu begeben, fest darauf vertrauend, am nächsten Morgen alles genauso wieder vorzufinden: „Darum sei auch der Augenblick des Erwachens der riskanteste im Tag, sei er einmal überstanden, ohne daß man irgendwohin fortgezogen wurde, so könne man den ganzen Tag über getrost sein.“ schreibt Kafka im Process.

Die Inszenierung von Irina Pauls gibt womöglich einen Fingerzeig in zukünftige Arbeiten. Sie hat die Leitung des Leipziger Tanztheaters gerade an Alessio Trevisani abgegeben, um sich ganz dem neu gegründeten Label !mehrTanz zu widmen. Die Initiative will den freien Tanz in Mitteldeutschland stärken und eine Plattform für verschiedene Choreographen sein – das dies auch bis in die Konzeptkunst oder Performance reichen kann zeigte dieser Abend und stimmt hoffnungsvoll für die nächsten Produktionen.

Der Text erschien zuerst auf tanznetz.de.

Signal to Noise

Tanzstück von Irina Pauls

D: Thomas Maucher

Premiere: 17. November 2010, LOFFT Leipzig

www.leipzigertanztheater.de

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