Wenn die Fähigkeit zu fühlen fehlt

„Das kalte Herz“: Das Wintermärchen der Cammerspiele vereint philosophische Tiefe und Kinderkompatibilität

Plakatmotiv (Bild: Christian Hanisch)

Klirrende Kälte. Die Straßenbahnen verloren den Kampf gegen das winterliche Gemisch von schneidendem Wind, Schnee, Regen und Eis im Nu. Und in diesem Punkt hat der Holländer-Michel recht – da hilft auch ein warmes Herz nicht!

Wozu ist es denn überhaupt nütze, so ein Herz? Nicht das Organische. Sondern jenes, das wie Feuer in der Brust brennen und Tränen in die Augen treiben kann, wenn wir verletzt werden. Würde uns ein Herz aus Stein nicht vor solchem Schmerz bewahren können?

Dafür entscheidet sich Peter Munk in den Räumen der Leipziger Cammerspiele. Ein verheerender Tausch mit dem dunklen Holländer-Michel, nachdem sogar das Magie wirkende Glasmännchen Schatzhauser den unzufriedenen Peter nicht glücklich machen konnte. Kaum ist das steinerne Herz in Peters Brust gesetzt, formt sich sein Gesicht starr und ausdruckslos, die Augen verblassen, kalt und ohne jeden Glanz, der Körper verfettet. Und alles, was Peter übrig bleibt, sind ein Haufen Gold und Eintönigkeit. Die Güte seiner Frau löst in ihm nichts als Verachtung aus, die ihn sogar dazu treibt, sie zu ermorden.

Das eindrucksvolle Spiel von Philipp Nerlich, Katja Fischer und Alexander Fabisch hat an gegenwärtiger Aussagekraft nichts verloren. Die kindlich-neugierige Mimik des „Kohlenpeters“, sein ungefilterter Ausdruck von argloser Freude über die Möglichkeit des Wünschens, wenn er auf den Schatzhauser trifft sowie sein Wesenswandel zur gefühllosen Marionette – all das lässt sich authentisch in seinem Gesicht ablesen.

Auch Ezechiel trägt seinen Charakter deutlich nach außen – lautes, rücksichtsloses Auftreten bei jeder Gelegenheit, beleidigend und sogar aggressiv, besonders wenn es ums Geschäft geht. Lässt er doch keine Gelegenheit aus, Peter das verdiente Gold mit windigen Spielchen aus der Tasche zu leiern.

Auch die Kostüme sind stimmig – sowohl Peter in Kohlentracht als auch der Gauner Ezechiel im Anzug und Goldkettchen oder der überdrehte Schatzhauser mit Blinkbrille und kunterbunten Kleidungsstücken. Die Figuren verkörpern die Folgen eines Budenzaubers des schnöden Mammon, dem Versuch, Anerkennung unter Aufgabe der eignen Menschlichkeit zu erlangen und damit mehr Kälte in die Welt zu tragen als jeder Winter – nie war dieses Thema aktueller und global bedeutsamer als in unserer Ära. Doch mit dem Sterben des Schmerzes sterben eben auch Freude und Mitgefühl. Ezechiel, der schmierige Gauner und anfangs großes Vorbild von Peter, sorgt mit seinen fies-flapsigen Sprüchen dafür, dass den Zuschauern das Lachen im Halse stecken bleibt.

Eben diese Nähe durch eine unmittelbar vor dem Publikum befindliche Bühne schafft ein direktes Miterleben des Stückes. Denn für so wenig Raum bieten die Cammerspiele eine klug gestaltete Kulisse von kleinen Rollwagen, in denen sich die Akteure bis zu ihrem entsprechenden Auftritt verstecken können.

Hinzu kommen atmosphärisch stimmige Klänge aus Lautsprecherboxen und das geschickte Spiel mit dem Licht. Wenn der Holländer-Michel nur schemenhaft mit dämonisch tiefer Stimme zu Peter spricht, fühlt es sich an, als wäre man in der Unterwelt gelandet.

Alles in allem eine wirklich kreative und an die Moderne angepasste Improvisation, die zu einer kindergerechten Version eines recht brutalen Märchens geführt hat, ohne die philosophische Tiefe aufzugeben. Und auch wenn es draußen weiterhin kalt ist – in den Cammerspielen halfen Glühwein und ein tolles Theaterstück, es den Zuschauern warm ums Herz werden zu lassen.

Das kalte Herz

Regie: Elisa Jentsch

Mit: Alexander Fabisch, Katja Fischer, Philipp Nerlich

Premiere: 9. Dezember 2010, Cammerspiele

www.cammerspiele.de

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