Am Galgen, da baumelt der Humor im Wind

In der neuen Fassung der Textsammlung „No Future?“ bei Diogenes liefern Weltschmerz und feurige Visionen großer Autoren den Beweis für den Untergang der Zukunft

„Auf zum Atom!“ lautet die Parole von Radioactive Man in der Serie The Simpsons, und die Menschen machen sich mit ihm auf den Weg. Die Zukunft sendet Strahlen in die heutige Zeit aus, die Menschen sind geblendet. Bereits seit Zeiten und Unzeiten beschäftigen sich vornehmlich Autoren des Atomzeitalters, Autoren der „Gegenwart“ genannt, mit dem Phänomen der aus dem Blickfeld gelöschten Zukunft.

Franz Sutter hat im Diogenes-Verlag eine Textsammlung mit Denkanstößen zum großen Thema einer großen Bewegung zusammengestellt. No Future? heißt der Band und vereint Texte, Essays und Aufsätze von berühmten Dichtern und Denkern, unter anderem Friedrich Dürrenmatt, Leo Tolstoi, Urs Widmer, Karl Popper, George Orwell. Insgesamt haben sich hier fünfunddreißig Texte aus mehreren Literaturepochen angesammelt, alle politisch, einige optimistisch, andere in schwerapokalyptischem Ton.

Die sehr kurzen bis nicht übermäßig langen Texte analysieren die Gesellschaftszustände, kritisieren sie, fordern einen neuen Umgang mit Themen wie Bildung, Außenpolitik, Kultur und Freiheit. Die Auswahl wabert ohne spezifisch linke Ausprägung daher und meidet Radikalität. Das einleitende Zitat ist sowohl sanft und gefällig als auch der Schwere des Themas angemessen. Georg Christoph Lichtenberg schreibt: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, aber soviel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“ Die Texte selber sind knapp, sie sind griffig, sie sind witzig. Verschaffen sie einen ganz neuen Blick auf die Zukunft? Dem politisch völlig unbehelligten Leser möglicherweise, jedem anderen schon weniger.

Sarkasmus grinst den Leser an, findet dieser doch im Buch den bekannten Beitrag Einsteins Die Schulbücher müssen neu geschrieben werden. Man bedenke, dass Einstein zumindest indirekt am Grund beteiligt ist, warum Bücher wie dieses herausgegeben werden – ein Hoch auf die Atomkraft, witzelt die Ironie. Einstein selber war Pazifist. George Orwell wiederum prophezeite einst in seinem Text Arbeit und Vergnügen den Bau von großen Vergnügungsanlagen, die Zerstörung des Bewusstseins und ein Phänomen der besonderen Art: „Man ist nie ohne Musik.“ Orwell war Visionär und Pessimist, und, wohl wahr: Der Mann hatte Recht.

Schwerlich kann man den Herausgeber für die genialen literarischen Wunderwerke loben, die Vorzüge der Schriftsteller müssen nicht ausgezeichnet werden. Albert Einstein kriegt ein Bienchen für seine Relativitätstheorie, Jewgenij Samjatin eins für seinen wunderbaren Aufsatz Die einzige Waffe ist das Wort im Gegensatz zu dem ebenso wunderbaren Text von Alfred Andersch Der Sinn des Sprechens, und George Orwell bekommt eins für seine lustige Idee von der neuen Perversion. Letztendlich sind die ausgewählten Texte überwiegend schon gut bekannt, der vermittelte Blick auf das Thema „No Future?“ überrascht nicht. Doch liefert dieses Buch eine kompakte und sehr interessante Lektüre, es bietet durchaus genug Stoff für abendliche Diskussionen bei zu viel Wein und ein gutes Stück Wissen für die Welt am Morgen danach.

Franz Sutter: No Future?

Diogenes 2010 – Zürich

112 S. – 6,90 €

www.diogenes.ch

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