Die Fassade aufhübschen

In Gesa Vollands neuem Tanzstück „Coppe Lia“ werden Schönheitsideale hinterfragt

Ein Abschiedstanz auf Beinen und Rollen (Bilder: LOFFT)

Wie schön du bist. Du bist so schön. Die Falten auf deiner Stirn sind kaum zu erkennen, weil deine Augenbrauen an dieser Stelle zusammen wachsen. Deine Augen. Ein Wunder. Dass du noch nie über Botox nachgedacht hast. Die fahle Haut – dort schräg unter deinem Doppelkinn. Da kann man doch was machen lassen!

Zwei Wände aus Paketen versperren die Sicht auf die Bühne, bis Musik ertönt. Tänzerinnen und Tänzer sind zusammen gekommen, sie einzureißen. Es ist die feierliche Beisetzung von Coppe Lia, die niemanden zur Traurigkeit veranlasst. Gesa Volland und die Performer der Villa Leipzig haben ihr im LOFFT auf Wiedersehen gesagt, der Schönheit ohne Leben. Das klassische Ballet Coppe Lia geht auf E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann zurück, wo der Puppenmeister Coppelius eine verhängnisvolle „menschliche Puppe“ erschafft. Ausgehend von dieser Geschichte schlendern sie über vermeidliche Normalitäten hinweg. Das Motiv der ewigen Schönheit. Fragen nach Leibhaftigkeit werden in unsere Gegenwart getragen und verhandelt. Ein Abschiedstanz auf Beinen und Rollen.

Die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Bewegungsfreiheiten rüttelt so eindringlich an Sehgewohnheiten, wie sie (Zwangs)-Vorstellungen von Schönheit und einem „guten Leben“ entlarvt. ZuschauerInnen werden angehalten, ihr Mobiltelefon zu zücken um noch die letzten beauty-packets nach dem Einsturz zu ergattern. Jede Oberfläche lässt sich glätten und wenn doch alles vergänglich ist, ist es gut, dass wenigstens die Schönheit bleibt. Rufen Sie an: Unsere Beine sind zum Greifen nahe. Eine gut gewachsene Nase sieht auch im Rollstuhl schön aus. Legen Sie das Messer an – wir straffen Bäuche, spritzen auf, liften Ihr Äußeres, bis nichts mehr von Ihnen übrig bleibt.

Es wird gesungen, getanzt, Perücken aufgesetzt und Plätze getauscht. Choreografien im Miteinander, mit Verschiedenheiten. Aufbegehren im Viervierteltakt, gefolgt von traurig-lustigem Trash. Bewegungen im Raum auf neuen und vertrauten Ebenen. Das Hörspiel vom paranoiden Schönheitspaar, dem lautlose Körperbilder dicht auf den Fersen sind.

Coppe Lia ist die Weiterführung des Projekts U Can’t Touch This, das die Choreografin Gesa Volland zusammen mit Tänzern und Tänzerinnen der Villa Leipzig entwickelt hat. Wie oft begegnen uns Menschen im Rollstuhl – im Leben und auf Theaterbühnen? Nicht-barrierefreie Räume von Berührungsängsten können hier entdeckt und in Frage gestellt werden. Eine Choreografie als Nachruf Coppe Lias, deren Fäden die Norm unseres Alltags in den Händen hält.

Coppe Lia

Von und Mit: Elsa Artmann, Gesa Volland, Ingo Lämmel, Jana Stefanek, Lisa Zocher, Marlen Schumann, Steven Wallner

Eine Produktion von Gesa Volland in Koproduktion mit der Villa Leipzig. Gefördert vom Kulturamt und Sozialamt der Stadt Leipzig.

Premiere: 29. Januar 2011, LOFFT


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