Kuchenschlacht!

Im Irrenhaus sieht’s irre aus. Sebastian Hartmann inszeniert am Centraltheater „Pension Schöller“

Matthias Hummitzsch und Peter René Lüdicke (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Ein mehrstündiges Lustspiel ist eine heikle Sache. Dazu noch eine Urberliner Kulisse im Leipziger Centraltheater. Pension Schöller – ein gesellschaftsskizzierendes Stück, das bereits im 19. Jahrhundert gespielt und in die heutige Gegenwart übertragen wird. Dabei ist eine Drehbühne, auf der ein idyllisches Café mit Terrasse installiert ist, Beginn eines Spuks in drei Akten. Der dort gern als Gast verkehrende vermögende Gutsherr Philipp Klapproth wird eines Tages von seinem dümmlich-neurotischen Neffen Alfred angepumpt. Dieser benötigt Geld für ein geschäftliches Vorhaben.

Klapproth gesteht den Kredit zu, allerdings ist nicht etwa eine enge Familienbande der Grund seiner Entscheidung. Vielmehr hat der reiche Onkel eine dekadent-perfide Absicht im Hinterkopf. Er bittet Alfred, ihn in eine Anstalt für Geisteskranke zu lotsten. Einmal echte Irre sehen, das ist Klapproths sehnlicher Wunsch. Schon dreht sich die Bühne und gemeinsam mit seinem Malerfreund Kißling führt Alfred dem voyeuristischen Onkel in die nahegelegene, mit Pflanzen und gemütlichen Sofas ausstaffierte Pension Schöller, ein Gästehaus mit exzentrischen, an sich aber völlig gesunden Bewohnern. Die damit verbundenen Missverständnisse führen zu abstrus-komischen Situationen. Klapproth amüsiert sich prächtig und baut Luftschlösser mit den vermeintlichen Insassen wie der aufstrebenden Schriftstellerin Josephine Krüger, dem Möchtegern-Schauspieler Eugen Rümpel und dem Befehlssprache liebenden Major Gröber, die im Laufe der Geschichte noch bitterlich einstürzen sollen. Denn die Gäste der „Pension Schöller“ besuchen Klapproth nach einiger Zeit in seinem Heim und fordern von ihm, seine einstigen Versprechen einzulösen. Schlussendlich erliegt er dem Wahnsinn seiner eigenen eingebildeten Überlegenheit in Konfrontation mit den vermeintlich Verrückten aus der Vergangenheit.

Die tragikomischen Lacher bleiben nicht aus – insbesondere markante Eigenheiten wie Rümpels Unfähigkeit, ein „l“ zu sprechen und es zwanghaft durch „n“ zu tauschen, was seinen Karrierewunsch als Schauspieler natürlich erschwert, führen zu Gelächter. Doch auch die Anspielungen auf bevorstehendes Unheil, etwa die in vielen Szenen auftauchende Axt, das ohne Klapproths Zutun vor ihm spielende Klavier und die effektreich explodierenden, Geld in die Wohnung schleudernden Türen bleiben nicht aus. Peter René Lüdicke gibt alles, um Klapproths Irrsinn überzeugend und zugleich mit einer perfiden Komik darzustellen. Er schreit den Namen seiner Frau, obwohl diese neben ihm steht, er fällt ihr als Nervenbündel weinend in die Arme, stürzt sich auf den Boden und entwickelt eine recht ungesunde Paranoia. Beeindruckend auch die Darstellung des Alfred durch Maximilian Brauer. Eine steife Körperhaltung, zuckend entgleitende Gesichtspartien und überzeugend gestammelter Nonsens verschmelzen zu einem sehr guten Spiel.

Unerträglich ist allerdings der Endabschnitt des Stückes – nach der noch amüsanten Kuchenschlacht der Darsteller auf der Bühne zetert Linda Pöppel einen dermaßen überflüssigen, gewollt sozialkritischen Monolog auf die Zuschauer herab, dass man sich gezwungen fühlt, zu gehen. Es sind nicht die Themen wie Falschernährung in ihrer Rede, die einen nach über drei Stunden aufmerksamen Zuschauens die Beine in die Hand nehmen lassen. Das Geschrei hat etwas Pseudoprovokatives, so wie wenn ein pubertierender Anarchie-Anhänger naserümpfend die lupenreine politische Wahrheit vermitteln will. Keine Subtilität, sondern brachiales Nervtöten über 20 Minuten, was für dieses Stück nicht notwendig gewesen wäre. Dies zeigte vor allem auch der Versuch des Publikums, das nicht enden wollende Gerede nieder zu klatschen. Selbst wenn diese Reaktion regiegewollt gewesen sein mochte – sie war ein deutliches Zeichen von „Es-ist-zu viel-der-Belehrung“. Wer den Abschnitt ertragen kann und sich auf die Länge einstellt, für den ist das Stück dennoch empfehlenswert.

Pension Schöller

Schwank von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby

Regie: Sebastian Hartmann

Mit: Maximilian Brauer, Edgar Eckert, Sarah Franke, Eva-Maria Hofmann, Matthias Hummitzsch, Andrej Kaminsky, Janine Kreß, Ingolf Müller-Beck, Hagen Oechel, Linda Pöppel, Peter René Lüdicke, Holger Stockhaus, Barbara Trommer, Birgit Unterweger

Premiere: 10. Februar 2011, Centraltheater

Weitere Vorstellungen: 06.03., 12.03., 20.03., 30.03. … 04.06.


Ein Kommentar anzeigen

  1. Ich habe am Wochenende nun auch endlich die „Pension Schöller“ gesehen – und ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt. Obwohl mich die an manchen Stellen fragwürdig flache Komik etwas gestört (und das pseudo-intellektuelle Gekicher in der Sitzkategorie 1 ausgerechnet bei eher subtil bzw. ironisch anmutenden Passagen genervt) hat, empfand ich die Aufführung als sehr gelungen. Der Zaunpfahl in Richtung Kulturpolitik, Robbie Williams-Entertainment, Tortenschlacht-Finale und für mich hervorstechend und hoffentlich noch oft durch Herrn Hartmann bemüht: Holger Stockhaus und Peter René Lüdicke. Schließe mich an, fand den Abend sehr gelungen.

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