Dem Einheitsbrei zuwider

Jürgen Zielinski gibt dem ewigen Mythos in „Zerreißprobe Faust“ ein neues Gesicht

Sehnsüchte erkunden: „Zerreißprobe Faust“ (Fotos: Thomas Schulze)

Die Bühne ist nicht leer, als die Zuschauer den Saal betreten. Es wirkt fast ein bisschen so, als seien die Vorbereitungen für die Premiere, die gleich gezeigt werden soll, noch nicht richtig abgeschlossen. Schauspieler laufen auf der Bühne herum, trinken, prüfen die Kostüme, die an den Kleiderstangen hängen und gehen noch einmal ihren Text durch. Dann beschließen sie anzufangen. Mit Goethe. Mit Faust. Denn die drei auf der Bühne sind Schauspieler und wollen wahres Theater machen. Der leicht angestaubte Goethe-Klassiker scheint dafür ideal zu sein. Große Fragen der Menschheit prallen mit Sehnsucht und Emotion zusammen. Der perfekte Ausgangspunkt also. So wird das „Vorspiel auf dem Theater“ zur gerafften One Man Show und der „Prolog im Himmel“ mit einem bankräuber-ähnlich maskierten Mephisto zur locker-lässigen Diskussion.

Oscar van Woensels Stück Zerreißprobe Faust welches am 3. März im Theater der jungen Welt, unter Jürgen Zielinski, Premiere feierte, ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Aktualität des Faust-Stoffes, sondern gleichzeitig der Versuch, Kunst zu verstehen um sich selbst zu entdecken. Sie – die drei Schauspieler – wollen gemeinsam ihre Sehnsüchte erkunden, doch könnten sie dabei unterschiedlicher nicht sein. Herman, eindringlich gespielt von Sven Reese, ist der Künstler, der Idealist. Er will durch Kunst das Ultimative schaffen und Großes erreichen. Ihm gegenüber steht der eher kunstferne, realistische Niek (Chris Lopatta). Bei ihm steht Spaß im Vordergrund, und nicht dieser „hohe Scheiß“. Die Gruppe wird komplettiert durch Isabel (Susanne Krämer). Die Romantikerin fühlt sich missverstanden und flieht, wenn es Konfliktstoff gibt.

Zusammen graben sie immer tiefer, und da, wo Goethe sie nicht mehr weiter bringt, kann Johann Sebastian Bach vielleicht Abhilfe schaffen. Was für den einen die Erfüllung, ist für den anderen Geklimper. So entdecken sie Bachs Goldberg-Variationen und den Pianisten Glenn Gould, um schließlich wieder zu Faust zurückzukehren.

Dazu nutzen sie nicht nur Video-Einspieler und eine drehende Bühne-auf-der-Bühne, sondern schlüpfen auch gekonnt ihn verschiedene Rollen. So sind die Drei zeitweilig auch in beige Einheits-Trenchcoats gekleidete, gaffende Typen, die auf der drehbaren Bühne immer wieder kehrend nach Prostituierten gieren und für dahergekommene Bettler keinen Cent übrig haben. Ihre Rollen, natürlich auch die des Dr. Faust, seines Gehilfen Wagner und die des jungen Gretchens, legen sie sich gekonnt an, und streifen sie agil wieder ab, ohne mit der Szene zu brechen. Da wirken auch Augenrollen und eingeworfene Kommentare im Spiel durchaus authentisch und erzeugen den einen oder anderen Lacher.

Zerreißprobe Faust zeigt den künstlerischen Schaffensprozess, den Umgang mit Kunst, mit dem Selbst und der Welt aus der Innenansicht dreier unterschiedlicher Menschen, und deckt dabei so manche Wahrheit auf. Während Herman den jungen Zuschauern unverblümt erklärt, dass Schule Einheitsbrei aus ihnen macht und sie von der Schule des Lebens verbannt, wird deutlich, dass es um mehr geht als Theater. Vielmehr wird die Beziehung zwischen Theater und dem realen Leben aufgezeigt. Einem Leben, in dem Vergnügungen nur Instant-Müll sind und in dem sich praktisch jeder danach sehnt, ein anderer zu sein.

Um die Linien zu verwischen, driftet die ganze Szenerie immer mehr ins Groteske ab. Der Geist, welcher Faust des Nachts erscheint, wird zum rappenden „biggest Motherfucker“ und das Gelage in Auerbachs Keller wird durch XXL-Plastikbierflaschen zum feucht-fröhlichen Ereignis, bis nach einigen Feuerspektakeln, die wohl beabsichtiget und gekonnt übertrieben die Zuschauer erhitzen, doch alles wieder im Dunkeln verschwindet.

Zerreißprobe Faust

von Oscar van Woensel

R.: Jürgen Zielinski

D: Susanne Krämer, Chris Lopatta, Sven Reese

Premiere: 3. März 2011, Theater der jungen Welt

Weitere Aufführungen: 20.4., 11 Uhr & 19.30 Uhr; 24.5., 12. Uhr; 25.5., 19.30 Uhr


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