Brücken zur Neuen Musik mit rollendem Akzent

HK Gruber: Musiker und Mensch. „Nachtgesänge“ beim Kurt Weill Fest 2011

Ausnahmekünstler: HK Gruber (Fotos: Thomas Ruttke)

Wer kann sich so einen Abend schon entgehen lassen? HK Gruber als Dirigent und Chansonnier in einem Konzert mit Stücken von Hanns Eisler, Igor Strawinsky, Paul Hindemith und Arnold Schönberg. HK Gruber lässt es sich natürlich nicht nehmen, die Stücke respektive die Komponisten zu Beginn ausgiebig in seinem rollenden Wiener Akzent zu besprechen, Zusammenhänge herzustellen und musikgeschichtliche Linien herauszuarbeiten freilich in immer lustig-schimmernden Anekdoten, eine geht so: Strawinsky war bei der Uraufführung des Pierrot Lunaire 1912 in Berlin dabei. Er berichtet Maurice Ravel völlig begeistert von der neuen Komposition Schönbergs. Ravel ließ sich angeblich nur durch diesen schriftlichen Bericht zu seinen Mallarmé Vertonungen inspirieren. Dagegen war wohl der Schönberg-Schüler Hanns Eisler nicht so begeistert von dem neuen Stück und bezeichnete das als alberne Provinzdämonik, so HK Gruber. Eisler zu dieser Zeit schon sehr pazifiziert und auf dem Weg in die kommunistische Bewegung fühlte sich auch zunehmend vom Dogmatismus der Zwölftontechniker um Schönberg abgestoßen. HK Gruber persiflierte dieses Thema durch eine glühende Ansprache für die Zwölftontechnik in der Diktion des Anstreichers, wie Hitler in Österreich oft bezeichnet wird. Das sind diese Zoten, dieser auf einer tiefen Kenntnis und Verehrung aufbauende Slapstick mit dem es HK Gruber regelmäßig schafft, dem Publikum die Musik des 20. Jahrhunderts schmackhaft zu machen. Überdies profitiert das heutige Konzert von der wunderbaren Atmosphäre der Marienkirche und ihrer klaren und dunklen Akustik.

Eislers Stück nach einem Gedicht von Christian Morgenstern lebt heute von HK Grubers Lautkunst, Abschnitte wie beispielsweise „die oft unvermittelt – nackt, Ehrfurcht vor dem Schöne packt“ geraten zu schauspielerischen Höhepunkte, Eislers Musik hat es da gar nicht so einfach gegen anzukommen. Das beeindruckenste Stück des Abends ist Strawinskys Suite aus L´Histoire du Soldat, besetzt nur mit Geige, Klarinette und Klavier ist dieses Stück doch wie ein klangliches Kaleidoskop der Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Da klingen Ravel, Schönberg, Eisler und Weill nebeneinander, die jazzigen Entwicklungen eines Copland scheinen vorweggenommen. Das Stück entfaltet sich in der exzellenten Interpretation der Musiker des Ensembles Modern wunderbar in den alten Mauern der Marienkirche, die hymnische Klarinette treibt meist ihre Partner vor sich her. Wie die Vielfalt im Stück Strawinskys ist auch die Programmatik des Abends aufgebaut, auf Paul Hindemith folgt nach der Pause Schönbergs grandioser Pierrot Lunaire. Salome Kammer füllt die Rolle des Pierrot mit Intensität und viel Witz, HK Gruber führt die Musiker sicher durch die drei mal sieben Gedichte von Albert Giraud.

Das Kurt-Weill-Fest kann sich wirklich glücklich schätzen, mit HK Gruber eine längere Partnerschaft eingegangen zu sein, er selbst bezeichnet Weill für sich als eine Schlüsselfigur. In einem Gesprächskonzert 2008 bezeichnete er Weill als „die Kompassnadel gegen die dogmatischen Strömungen Donaueschingens und Darmstadts“, ihn selbst kann man wohl getrost als Kompassnadel der letzten Jahre des Kurt-Weill-Festes bezeichnen. Mit sicherem Instinkt prägt er die Programmatik des Festivals und bereichert die musiktheoretischen Ansätze mit seinem unheimlichen Detailwissen um das Milieu der Neuen Musik, wer kann heute noch von sich behaupten Lotte Lenya, die Frau Kurt Weills in Amerika kennengelernt zu haben. Die Anekdoten um die musikalischen Ereignisse aus ebendiesen Gesprächen sind die Brücken zum Verständnis der Neuen Musik, sie machen aus dem Musiker HK Gruber den vom Publikum immer wieder begeistert angenommenen Menschen HK Gruber.

Kurt Weill Fest 2011: Nachtgesänge

Hanns Eisler: Palmström op. 5, Studien über Zwölfton-Reihen

Igor Strawinsky: Suite aus Die Geschichte vom Soldaten für Trio

Paul Hindemith: Die junge Magd op. 23 No. 2, Sechs Gedichte von Georg Trakl

Arnold Schönberg: Pierrot Lunaire op. 21, Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds

Sopran: Salome Kammer
Dirigent & Sprecher: HK Gruber
Ensemble Modern

6. März 2011, Marienkirche Dessau


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