Dem Wagnis entsprochen

„Drei Kurze“ treffen den Kern der Tanzoffensive

Tanzoffensive im Lofft: das bedeutet, ungewohnte Perspektiven auf Bewegung und Körper. Den Choreografien freien Lauf zu lassen. Das bedeutet: Festival-Stimmung – Ektase, Taumel, Überforderung. Drei Kurze Performances an nur einem Abend haben es wohl auf den Punkt getroffen.


Trailer

Lea Martini (Foto: Theo van Loon)

Eine Frau in weißer Unterwäsche auf weißem Untergrund. Ihr Körper: Ausgestellt, Bewegungen auszuführen, die sich, wie es scheint, in permanenter Distanz zu sich selbst entwickeln. Wenn sie zu Beginn seitlich auf dem Boden liegt, ihren Unterarm auf den Boden stützt und den Blick nach oben gewandt hat, so ist diesem Bild schon längst ein anderes auf dem Fersen.

Sobald sie ihren Arm in die Luft streckt oder ihre Hände im nächsten Moment die Form einer Pistole bilden, vollzieht es sich ein bisschen wie beim Daumenkino – wandeln sich offen identifizierbare Posen, die wie aus ihrem Zusammenhang gerissen als Mind-Map nebeneinander erscheinen, und doch im Fluss sind. Eben noch ihren Po rausgestreckt, hat sie sich nun doch gedreht, ihre Knie leicht gebeugt und die Hände wie zu Fäusten geballt auf die Oberschenkel gestützt. Es ist ein Ablauf von Posen, die wohl bekannt sind, ein Einstudieren von Bewegungsabläufen, deren minimale Veränderung ganz neue Kontexte aufzumachen wagen. Eine hohe Präzision und treffende Tempi zeichnen diese Choreografie – und doch blickt uns eine Tänzerin still entgegen, als hätte das alles nicht sehr viel mit ihr zu tun. Bewegungen verharren in ihrer Abstraktion, Lea Martini hat sich diese Ebene zu Eigen gemacht. Ihr Körper als Plattform, diesen Bildern eine Form zu geben, wagt zuletzt doch einen Ausbruch: „Wuuuuuuuums“.

Froschgleich ist sie über den Boden gehüpft. Ein Aufprall: „That’s all“

So geschieht es, dass Zuschauende während dieser 15minütigen Performance ihren Blick auf sich selbst zu richten vermögen. Welche Bilder habe ich erkennen können? Was erwarte ich von diesem Körper?


Soft Target

Angela Schubot (Foto: Dirk Förster)

Boden und Raum haben sich nun schwarz gefärbt. Eine Computerstimme, begleitet von einem elektronischen Geräuschpegel, leitet ein was bald geschehen könnte. Ein Rauschen, das immer lauter wird: „This project is based on trust.“

Eine Frau betritt wie von Nebel bedeckt die Bühne. Am hinteren Rand des Raumes steht sie, ihre Hände sind halb zu Fäusten geballt, sie beginnen zu tanzen, als ob sie etwas zu greifen versuchen. Was auf uns zukommen wird, ist eine Choreografie im Raum, die Nähe und Distanz gleichermaßen auszuloten scheint, wie Fragen nach Identität oder eher: wessen Identität hier zur Verhandlung steht. Die nächste Zeit über wird sie sich zunächst am Rande der Bühne befinden, jede Bewegung konzentriert auf Raum und Körper, der uns mit geschlossenen Augen begegnet. Blinzeln im Vollzug einer Choreografie, deren mechanischer Bewegungsapparat vollzogen wird, ohne uns einen Anhaltspunkt zu gewähren. Verlassen müssen wir uns auf unsere taumelnde Interpretation, während die Geräusche, das Geschehen auf der Bühne, der ganze Raum ein Maß unerträglicher Spannung einzunehmen scheinen, die nicht an Auflösung denkt. Anspannung. Wenn sie die Augen auch geöffnet hat, lässt es sich nicht erwarten Angela Schubot wahrhaftig dort auf der Bühne zu erkennen. Fast scheint es, als wäre ihrer Präsenz mit geschlossenen Augen etwas abhanden gekommen und wieder sind die Zuschauenden gefordert, ihrerseits die Lücke zu schließen – zwischen Bildern und Bedeutung.


Memor I Am

(Foto: Dirk Förster)

Fanfaren ertönen. Vogelgezwitscher, wie zur Eingangsszene eines Spielfilmes, wenn das Licht langsam aufklart und die Leinwand ihr Bild preisgibt. Drei Menschen befinden sich auf der Bühne. Eine Frau sitzt auf einem Stuhl, daneben kniet ein Mann, im Hintergrund steht eine zweite Frau gerade da, ihre Arme bilden eine Linie nach unten. Klaviertöne untermalen den Stillstand der Körper. Bis der Donner kommt. Kugelhagel prallt auf sie ein, ihre Körper beginnen zu zittern, werden durchlöchert. Sie lassen ihre Köpfe hängen, fallen vom Stuhl, rollen auf den Boden und durch den Raum, um sich immer wieder aufzurichten, wieder fallen zu können. Der Donnerhagel hört auf, für einen kurzen Moment und sie: hören nicht auf. Zu hören ist nur das Zittern und Schnaufen der Menschen, die vor den Augen der Zuschauenden eine Choreografie aufführen, abgeknallt werden – in ihrer Vorstellung. Der Hagel kehrt zurück und wir sehen noch immer: zitternde Körper, hängende Köpfe, offene Münder mögen uns fragen, wann es endlich vorbei sein wird. Kurzes Innehalten und dann: Geht es weiter. Grenzen der Aufnahmefähigkeit tun sich auf, um nacheinander und beständig übergangen zu werden: es geht einfach immer weiter. Machen wir uns nichts vor: die nächsten dreißig Minuten werden sie von diesem Zustand nicht ablassen können.

Und doch, erstaunlich ist, wie sich die Wirkung der Körper innerhalb der Zeit verändern kann. Stehen sie auf einmal alle in einer Reihe zueinander, tritt deutlicher zutage, dass wir es mit einer Choreografie zu tun haben. Dennoch wird die Wirkung dieser Szene nie ganz aufgelöst, befindet sie sich stets im Zwischenraum, den die zuschauenden Augen für sich verhandeln müssen. Wirkt was dort passiert, brutal, unerträglich, oder komisch, mitunter spielerisch, unbefangen? Entscheiden können wir selbst.


Allen drei Arbeiten ist trotz ihrer unterschiedlichen ästhetischen Mittel die Konsequenz gemein, mit der übliche Verhältnisse von Zuschauenden und AkteurInnen, Erwartungshaltungen, eigene Projektionen und Widersprüchen ausgestellt werden. Tanzoffensive bedeutet eben auch: Ein Wagnis. Ein Schritt darüber hinaus.


Tanzoffensive 2011 – Festival für aktuellen Tanz

7. – 14. Mai 2011


Drei Kurze

Gastspiel am 11. Mai 2011, Lofft

Trailer

Eine Produktion von Lea Martini. Gefördert von School for New Dance Development Amsterdam.

Choreographie/Tanz: Lea Martini

Soft Target

Eine Produktion von Margret Sara Gudjonsdottir in Koproduktion mit Reykjavík Dance Festival und Ballhaus Ost Berlin.

Choreographie: Margret Sara Gudjonsdottir

Tanz: Angela Schubot

Memor I Am

Eine Produktion von Martini / Müller / Deter gefördert und koproduziert durch die artblau Tanzwerkstatt Braunschweig im Rahmen einer Konzeptionsförderung des Landes Niedersachsen, der AHK Amsterdam und Tanztage Berlin.


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