Next Generation

Max Schaufuß fragt in seiner Spinnwerkproduktion „Vegetables“ nach den Perspektiven der Jugend

Ein Brainstorming an Ideen und Szenen (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Gelangweilt und müde sitzen sie auf ihren Stühlen an der weißen Wand, der Ausgang dahinter ist verschlossen. Vorerst scheint keiner von ihnen etwas zu sagen zu haben, nicht untereinander, nicht an das Publikum. Einige der jungen Leute, die hier wie auf dem Präsentierteller vorgezeigt werden, scheinen es nicht einmal geschafft zu haben, sich aus ihren Schlafanzügen zu befreien. So rutschen sie auf ihren Stühlen hin und her, still aber alles andere als nichtssagend.

Das Stück Vegetables, das im Spinnwerk Premiere feierte (Regie: Max Schaufuß), ist eines, in dem eine Generation Jugend ausgestellt wird, die mit sich selbst nicht weiter kommt und sich verliert. Sieben junge Leute sind es, die hier der Frage nach Identität und Selbstwahrnehmung nachgehen sollen, und dies in einem wilden Cut-up der Szenen tun.

Ein träger Anfang – während eine mit einem gelangweilten Stöhnen die Liegeposition wechselt, redet die andere etwas von einem Untergang. Einem Sterben. Apokalypse. Wirklich betroffen wirkt sie darüber allerdings nicht. Endlich schafft es der erste, sich zu erheben. Doch was soll man in einem geschlossenen Raum machen, in welchem nur Stühle, ein großer runder Tisch und ein Kühlschrank stehen? Richtig: man guckt in den Kühlschrank hinein. Und dieser ist effektgeladen: öffnet man seine Tür, geht das Licht auf der Bühne aus. Ein Effekt, der im Laufe der Inszenierung noch des Öfteren ausgekostet werden soll. Auch der Schrank darunter hat es in sich. Wird er geöffnet, ertönt von irgendwoher ein schrilles Telefon. Aus den Schränken nun holt er, der Erste auf den Beinen, Aktenordner heraus und beginnt sich im Laufe des Stückes hinter diesen einzubauen und zu verstecken. Überhaupt ist ein ständiger Wechsel zwischen Verstecken und Ausbrechen, der das Stück vorantreibt, Lethargie wechselt sich mit undefiniertem Verlangen ab. So entsteht im Laufe des Spiels der immer größer werdende Drang, dass endlich etwas passiert im Leben der Figuren, und gleichzeitig entwickelt sich auch eine Angst davor. Angst, rauszukommen aus dem schützenden, geschlossenen Raum, der Sicherheit und Rückhalt bietet. Aber eben auch alle Möglichkeiten des Erlebens draußen lässt.

Immer wieder kommen auch die Fragen auf: Was bin ich eigentlich wert in der Gesellschaft? Wozu bin ich da? Werde ich gebraucht? Als besonders gelungen erscheint hier die Szene, in welcher einer der Darsteller ein Glas saure Gurken aus dem Kühlschrank holt, dieses sich jedoch in seiner Hand selbstständig macht. Nach einem langen, verwirrenden Kampf mit dem Gurkenglas – eine Erklärung: seine Firma stellt diese Gurken her, er ist für Gewinnmaximierung verantwortlich. Eine Gurke weniger pro Glas bringt 20.000 Euro mehr Umsatz im Jahr. Doch das ist nicht genug, so dass er sich letztlich – immer den Umsatz der Firma im Auge behaltend – selbst wegrationalisiert, wie er den Zuschauern in einem durchdachten Monolog anvertraut. Eine totale Selbstaufgabe für den Kapitalismus. Das Abwägen von möglichen und wahrscheinlichen Lebenswegen wird in der Inszenierung immer wieder durch die Visionen von Untergang und Apokalypse durchzogen, Witz wird zu Zynismus und träumerische Szenen werden von rationalen, lebensoptimierenden Überlegungen zerredet. Schwimmen die Darsteller in einer Szene noch in einem Meer aus blauem Licht, wird diese Szenerie alsbald durch die grotesk wirkende, weil überzeichnete und vor allem leidenschaftliche, Beschreibung einer Werbung für Klappboxen durchbrochen. „Die haben was drauf“ heißt es da, die Werbemacher also, denn die haben die Ideen, die einen weiter bringen. Was zählt da schon ein Einzelner?

In einem Brainstorming an Ideen und Szenen versucht die Inszenierung, ein komplexes Muster zu erschaffen, verliert sich dabei aber leider in sich selbst. Oft meint man zu wissen, was ausgedrückt werden soll, und doch ist es nur eine schwammige Ahnung. Das Stück stößt so immer wieder an seine eignen Grenzen, und schafft es nur, Punkte einzuwerfen, nicht aber diese auszuformulieren. Dennoch: immer enger geraten die Figuren aneinander, Liebe und Hass verlaufen übergangslos, Spannung baut sich auf. Die anfangs so lethargischen Rollen werden im Spielverlauf immer gedrungenere Figuren, die sich nach einem Platz in der Welt sehnen, und doch scheinen alle die ganze Zeit auswechselbar. Aber vielleicht ist das ja gerade eine zentrale Aussage?

Vegetables

R: Max Schaufuß, Emanuel Schiller
Mit: Anna Bliß, Enrico Engelhardt, Julius Heeke, Charlotte Hoffmeister, Philipp Jurczok, Jo Kremberg, Livia Rathman, Jule Schönbrunn, Henriette Schreurs

13. Mai 2011, Spinnwerk Leipzig


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