Wenn der Diktator Geburtstag hatte

Abbas Khiders autobiographischer Roman „Die Orangen des Präsidenten“ gibt den ehemaligen Gefangenen unter Saddam Hussein eine Stimme

Häufig sind es die sehr bewegten Lebensläufe, die einen Menschen zum Schriftsteller machen. Auch bei Abbas Khider ist das nicht anders. 1973 in Bagdad geboren, floh Khider 1996 aus dem Irak. Die Flucht trat er nach einer Verurteilung aufgrund „politischer Gründe“ und einer darauf folgenden zweijährigen Haftstrafe an, die zweifellos Hauptinspiration für diesen Roman ist. Im Jahr 2000 landete er in Deutschland; bis heute lebt er in Berlin. Nach dem 2008 erschienenen Der falsche Inder ist Die Orangen des Präsidenten der zweite Roman von Abbas Khider – wie auch bereits der Erstling wurde er auf Deutsch verfasst.

Khider blickt in seinem Roman zurück auf den vom Golfkrieg geprägten Irak der späten achtziger und der frühen neunziger Jahre unter der Herrschaft von Saddam Hussein. Der Protagonist dieses Romans ist der jugendliche Mahdi, der am Tag der letzten Abiturprüfung mit seinem Freund Ali zusammen festgenommen wird. Ein Prozess findet nicht statt. Erst als er bereits mit beiden Beinen im Gefängnis steht, wird Mahdi den Grund für seine Inhaftierung erfahren. Sein Freund Ali ist Mitglied einer regimekritischen Organisation. Allein der Kontakt zum Opponenten reicht aus, um Ali zwei Jahre im Gefängnis zu halten, wo Hunger, mangelnde Hygiene und Folter jeden Tag zum Albtraum werden lassen. Der einzige Lichtblick ist der näherrückende Geburtstag Saddam Husseins. Unter den Häftlingen geht das Gerücht um, dass Hussein häufig Begnadigungen ausspricht, wenn er Geburtstag hat. Doch statt einer Begnadigung gibt es zur Enttäuschung aller Insassen nur die titelgebenden Orangen als Geschenk und Beilage zum täglichen Brot.

Vor allem die Schilderungen des Haftalltags sind die große Stärke dieses Romans. Nahezu physisch erfahrbar wird der Hunger der Häftlinge, wenn Khider beschreibt, wie die tägliche Ration Brot sehnsüchtig erwartet und in mehrere Portionen aufgeteilt wird. Auch wenn dies kein typischer Gulag-Roman ist, so merkt man, wie die Allegorie des „Hungerengels“ aus Herta Müllers Roman Atemschaukel durch den Text schwebt. Der Hunger ist für Mahdi und seine Mithäftlinge „schlimmer als die Folter“, denn der Hunger greift die eigene Psyche und Moral soweit an, dass mancher Häftling letztendlich doch bereit ist befreundete Mitglieder der Oppositionspartei zu verraten, wenn man dafür eine Portion Kebab erhält.

Die Beschreibung der Haftbedingungen für die irakischen Häftlinge schockiert nicht nur, sondern berührt auch ungemein. Vor allem dann, wenn sich Mahdis Drang zum Geschichtenerzählen offenbart und der Leser auf diesem Wege auch noch von Mahdis Jugend erfährt. Auffällig ist in diesen Passagen der Wechsel in eine poetischere, metaphernreichere Sprache, in der von Freundschaften, Parties und dem damit verbundenen Verlust der Unschuld erzählt wird.

Wer wirklich eine wichtige, einmalige Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur lesen möchte, der ist mit diesem Roman auf das Beste bedient. „Die Orangen des Präsidenten“ strotzt nur so vor poetischer Kraft, anhand derer es Khider durch und durch gelingt gegen die Depression und Tragik von zwei Jahren Haft anzuschreiben, ohne dabei nach Mitleid zu heischen. Dass dies gelingt, liegt vor allem am rauen, direkten und authentischen Ton, den Khider so problemlos in der Beschreibung des Gefängnisalltags trifft und der korrespondierend mit der poetischen Erzählung von Mahdis Jugend einen so einmaligen Sound ergibt. Die Orangen des Präsidenten ist ein großes Buch, geschrieben von einem Autor, der bereits in jungen Jahren zu einem sehr eigenen Stil gefunden hat. Bleibt nur zu hoffen, dass Abbas Khider weiterhin so kunstvoll aus seiner Autobiographie schöpfen kann. Denn der Präsident feiert seit fast fünf Jahren keinen Geburtstag mehr.

Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Edition Nautilus

Hamburg 2011

160 S. – 16 €


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