Der Leipziger Osten vs. Hollywood

In Sascha Hawemanns „Sirk the East“ zeigt sich, dass beim Herumreiten auf Klischees wahrlich nichts Neues mehr herauskommt

Es schreit nach Champagner! (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Vom Glanz geblendet sitzt es da. Das Publikum im Centraltheater, dort, wo am Morgen die Sonne aufgegangen ist: Im Osten nämlich. In den Augen spiegelt sich der goldene Lametta-Vorhang, der gleich gelüftet wird um den einen Traum zum Vorschein kommen zu lassen: Sirk the East. Der Traum von Hollywood. Mitten in Leepsch. So viel Vorweg: wir haben es mit ausgezeichneten SchauspielerInnen, tollen bühnentechnischen Details und ästhetischen Effekten zu tun. Der Text von Clemens Meyer liefert kraftvolle Momente. Vorausgesetzt, wir haben unseren Blick gerade aus gerichtet. Weit vor uns erscheint der Horizont der Theaterlandschaft als demonstrative Entscheidung, zwischen Glitzerschnipseln und Windmaschinen nicht hinter die Fassade zu blicken.

„Willkommen Heeme“

Leipzig wird im Volksmund gemeinhin auch L.A. genannt. Dass der große Regisseur der Melodramen der 50er Jahre, Duoglas Sirk, einmal Intendant am Alten Theater Leipzig gewesen war, ist die inhaltliche Brücke, die hier zwischen der schillernden Welt Hollywoods und dem sächsischen Ost-Idyll geschlagen wird. Beide Seiten erscheinen als Parallelwelten, innerhalb derer Übergänge zwar zugelassen werden, klare Abgrenzungen jedoch das eigentliche Verdienst dieser Inszenierung sind. So erscheint alles an diesem Abend fein säuberlich gerahmt und wo die Mauer in den Köpfen vielleicht verschwunden sein könnte, kommen wohl vertraute Klischees zu Hilfe, beständig Grenzen zu ziehen. Das alles wirkt so behaglich, dass man es sich fast gemütlich machen möchte. Es wird erzählt, wie die typische Ost-Familie darauf wartet, dass der Sohn zurück kommt. Es gibt Bouletten und Senfbrötchen – auf der einen Hälfte des Planeten. Dort jedenfalls wo sie zu finden sind: die Wendeverlierer mit ihren Haarkämmen, die sie in den Händen balancieren und von den 90gern sinnieren. Die vom „Wessi“ ein gutes Angebot bekommen haben und heutzutage auf gescheiterte Existenzen und ihre sechste Kneipeneröffnung zurück blicken können. Die mit den russischen Frauen und den Jungen, die Olek heißen, aber doch nur falsche Söhne sind.

Das Geschehen spielt sich einem begrenzten Rahmen ab, der das Bühnenbild formt. Drei Kästen bilden drei Räume, die miteinander verbunden sind: Mikrokosmen, innerhalb derer die Familie-Ost zum Zuge kommt. In der Mitte und das Zentrum ihrer Lebenswelt: die Kneipenzeile mit dem großen Spielautomaten, von dem die Träume noch nicht abgelassen haben. Die ordentlich aufgereihten Flaschen hinter dem Tresen, die vor dem Aufwachen bewahren. Auf der rechten Seite steht das Bett im zweiten Raum, das sich unter einem Berg von Kuscheltieren nur erahnen lässt. Dort, wo die Blümchentapete ihr übriges tut, die Zeit stillstehen zu lassen. Dass hier aber Menschen mit einer Vergangenheit leben, wird bald im dritten Raum eröffnet. Ins Klo hat sich der Familienvater geflüchtet, uns den Weg seiner Passion zu zeichnen. In Schlaghosen und mit feschem Seitenscheitel hat er sich positioniert, neben dem Waschbecken steht er und wandelt auf ein paar Quadratmetern durch die 90er – das Jahrzehnt seiner Unternehmensgeschichte. Dort, wo sie einem nichts anhaben können, erzählt man von alten Zeiten. Vom Wessi, der einen fast übers Ohr gehauen hätte – das hatten wir ja schon. Mit erhobener Klobürste schreitet er durch sechs Episoden seiner Versuche, die Ruhmesleiter zu erklimmen. Von der „Video-Theke“ über „Thilos Wurstkonditor“ waren pfiffige Ideen dabei und so kann es einem nur leid tun, wie er dort steht, seinen Kamm balanciert und vor lauter Ekstase über seinen Leidensweg letztlich alles durcheinander bringt: „Naja, sechs Kneipen, sechs Pleiten“ sagt er und fährt sich mit der Klobürste durch das Haar. „Und… Ich hab ja schon immer gesagt: „Wer nichts wird, wird Wirt“. Darüber kann man am Ende schon mal den Kopf in die Schüssel stecken. Die Wende: ein Griff ins Klo. Ein Schwenker ins Schlafzimmer folgt und hier sitzt die Frau an ihrem Platz und darf auch mit gekonntem Akzent zu Wort kommen. Es ist die russische Ehefrau, die (als hätte man es sich nicht schon denken können) vom besten Freund ihres eigenen Sohnes irgendwann an diesem Abend so richtig durchgenommen wird. Höhö.

Das alles ist Thilos Geschichte im Osten: ein Mann und sein Kapital: eine Frau und ein Sohn, der nicht sein Sohn ist, dessen Rückkehr aber doch gefeiert werden muss.

So werden die Sorgen nicht weniger, mit diesen Söhnen, denen nichts Besseres eingefallen ist, als zur Bundeswehr zu gehen und nun als psychische Wracks aus Afghanistan zurückkommen. Deren beste Freunde knapp den Fußball-Talentscouts entronnen sind und nun eine Putzkolonne leiten, weil sie im entscheidenden Moment den Ball nicht ins Tor geschmettert haben. Verpasste Chancen. Irgendwie könnte das schon lustig sein, wäre es nicht schon so abgelatscht. Auch im Jahre 2011 geht es trotz wirklich guter SchauspielerInnen und geschickten Inszenierungsstrategien nicht weiter. Die Freiheit, die ihnen bleibt, ist innerhalb des Rahmens die Räume zu wechseln: vom Klo zum Tresen zum Schafzimmer. Und immer noch wartet die Frau aus Russland auf den besten Freund ihres Sohnes. Is‘ ja alles eins.

„Written on the wind“ / „Fritten im Wind“

Indes fällt der Vorhang noch ein Mal, ändert seine Farbe ohne zu glitzern aufzuhören. Goldschnipsel und Windmaschinen kündigen an, was sich bald vor unseren Augen auftürmen wird: die Letter, die die Welt bedeuten. Überdimensional schauen wir auf zu drei Buchstaben, die sich auf der Bühne über uns erhoben haben. * ÖIL*

Weil hier Parallelgeschichten erzählt werden, ist das Leiden in Hollywood gar nicht so weit entfernt. Auch hier treffen wir ein Familienoberhaupt, dessen Überlebenswillen sein Unternehmen sichert. Zugegeben haben wir es beim Hadley-Öl-Imperium mit anderen Dimensionen zu tun. Dennoch steht Jaspar Hadley mindestens ebenso allein da. Von seinen zwei Kindern Marylee und Kyle, (obwohl sie seine „richtigen“ sind) lässt sich nicht allzu viel erwarten. Seine Fußstapfen sind einfach zu groß. Ihre Sorgen sind noch ganz andere und tragen folgenden Namen: Mitch Wayne – der andere beste Freund, mit dem es nur Ärger geben kann. Als schmucker Herr in weißem Anzug mit weißer Fliege betritt er die Bühne. Bester Freund von Kyle, heimlicher Traummann von Marylee. Klassischer Held der Schmonzette: edel, aufopferungsvoll, meistens nüchtern. Daneben Kyle Hadley, ungeliebter Sohn des Ölmilliardärs – ein Vermögen auf seinen Schultern, dem er nur im Rausch standhalten kann. Ein Geldschlucker im schwarzen Anzug, der doch immer von Mitch beschützt wurde. Eine Freundschaft, an der bisher nicht gerüttelt wurde. Selbst, wo die Liebe seiner Schwester unsterblich verhallt, wo sein Vater in Mitch den verlorenen Sohn zu sehen glaubte, blieb ihr Band bestehen. So ist es unter Männern… bis eine Frau auftaucht. Eine galante junge Dame betritt ihre Welt um augenblicklich zwischen ihnen zu stehen.

Wie Lucy Moore an diesem Abend so über die Bühne gehen wird. Mal Audrey Hepburn, Marilyn, Marlene, ist einfach und bezaubernd anzusehen. Sowieso scheint es bei den Frauen hier hauptsächlich um die äußere Erscheinung zu gehen, wie immer, wenn Männer mit viel (oder weniger) Geld im Gepäck unterwegs sind.

So ist es trotz der schier unüberwindbaren Distanz doch ein bisschen das gleiche: Die Frauen zwischen den Männern, um deren Rivalitäten, Status und Potenzängste es sich letztlich dreht.

Inzwischen haben sie gemeinsam die Buchstaben erklommen – Kyle und Lucy (eigentlich liebt sie ja den Helden, aber Kyle hat den überzeugenderen Kontostand) über den Wolken und sie verschließt seine Manchettenknöpfe. Wie sie später so dasteht … Ihre Hände in roten Handschuhen, die beide das rote Handtäschchen umfassen und dem falschen Liebesgeständnis entgegen schmachtet – da liegt wahrhaftig der Glanz von Hollywood in der Luft. Noch einige gelungene Szenen könnten hier Erwähnung finden – immerhin hat sich Hawemann auch dreieinhalb Stunden Zeit genommen, sein ästhetisches Geschick unter Beweis zu stellen. Jedoch vermag die große Effektmaschinerie nichts daran zu ändern, dass man anschließend desillusioniert nach Hause geht.

„Es gibt nur wenige Momente, die nach Champagner schreien und dies ist so einer“.

Wahlweise auch Rotkäppchensekt. Aber wo die einen noch nicht zurück auf dem Boden sind, hockt man derweil in Leipzig wahrscheinlich immer noch… auf‘m Klo.

Weil die Gesellschaftskritik obschon aller Sauf-, Sex- und Gewaltszenen nicht fehlen darf, spielen die beiden besten Freunde im Osten noch ein bisschen: „Rambo in Afghanistan“. Inzwischen wissen wir auch, dass sie in ihrer Jugend nichts Anderes im Sinn gehabt haben, als einen Wachmann zu ermorden und ihre Kinderfreundin zu misshandeln. Die Ossis, die hatten ja nüscht. So verwundert es nicht, dass es den beiden ein Heiden-Spaß macht, sehr eindrucksvoll in Olegs Kriegserinnerungen zu stöbern. Fast schon malerisch erscheinen Bilder von Massenmord und Zerstörung im Raum. Oleg und Kai stehen zusammen vor der Haustür, am Bühnenrand, und raufen sich durch den Raum. Ihre Augen scheinen aufzuleuchten und der Wahnsinn ist fast greifbar, wenn sie sich in der Erinnerung in Olegs Panzer gesetzt haben und die Berge von Leichen vor ihnen erscheinen. Alle Bilder sind hier nur mit der Stimme und Gesichtsausdrücken gemalt. Ein Schauer, der erzeugt wird und ohne Requisiten ganz unverhüllt dem Publikum entgegen geschmettert wird. Oleg steht da, seine Stimme fängt an zu zittern und später sein ganzer Körper, wenn er vom kleinen Jungen erzählt, dem er beim Spielen zugeschaut hatte, bis er von den Kanonenbomben getroffen wurde. Dieser Moment lässt einem schlicht den Atem stocken und nach einem Schockmoment kann auch die Bewunderung über exzellentes Schauspiel wieder aufblitzen. Es ist wirklich schwer, sich dieser Kraft zu entziehen. Immerhin: bis sich die leise Ahnung, dass an diesem Abend doch noch etwas gesagt werden kann, auch schon wieder in Luft auflöst. Als sie neben Kriegsszenerien noch mit DSDS und Dieter Bohlen um die Ecke kommen müssen, drängt sich die Frage auf, wen man mit alledem eigentlich noch zum Nachdenken überreden kann. Und doch lässt es sich so nicht sagen, wo die Brücke: ÖIL-Afghanistan geschlagen wurde. Immerhin: die Fassade bröckelt doch auf dem zweiten Blick.

Aber ja: wenn dann vom „schwulen Tänzer-N.“ (gemeint ist der Jurykollege Dieter Bohlens) die Rede ist und die beiden dazu die Hüfte schwingen, lässt sich nur noch zweifeln, ob es das denn wert ist.

Der sonst sehr kunstvolle Text von Mayer, wenn Kyle seiner Liebsten „Zweidrittel vom Himmel kauft“, kann dann auch nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass hier zum Teil verstaubte Attitüden am Werk sind.

„In the Ghettoooooooo.“ Das ist, wenn der falsche Sohn auf den Vater losgeht. Hollywood ist, wenn der Vater von seinen Kindern die Treppe herunter gestoßen wird. Wenn der verwöhnte Sohn zur Flasche greift und sich nur noch neben seiner nicht minder abgewrackten Schwester wie ein menschliches Wesen fühlen kann.

Mülltüten wehen über die raue Kapitalismuswüste, wenn der alte Hadley mit Cowboyhut am Ende seines Lebens steht. Gute Bilder, die untergehen zwischen Getue der Unverbindlichkeit. Klischees. Sex, Alkohol und lautstarkes Männlichkeitsgehabe. Sex. Alkohol. Schöne Bilder und ein bisschen Personality. Geil. Das hätte Dieter sicher auch gefallen. Dass der junge Hadley endlich zu allem Überfluss noch mit der Pistole rumballert, ist im Grunde nur konsequent. So geht denn nun die Welt zugrunde und großen theatralen Gebärden folgt die Einsicht, dass et nüscht neues zu erzählen gibt.

Sirk the East

Regie: Sascha Hawemann

Mit: Manolo Bertling, Martin Brauer, Edgar Eckert, Sarah Franke, Andreas Keller, Katharina Knap, Janine Kreß, Christian Kuchenbuch, Ingolf Müller-Beck, Emma Rönnebeck

Premiere: 20. Mai 2011, Centraltheater


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