Wahrlich kein Osterspaziergang

Das Stück „FAUST spielen“ vom Figurentheater Wilde&Vogel sorgt auch im dritten Jahr noch für begeisterte Besucher

Seit Oktober 2008 im Programm: „FAUST spielen“ (Foto: Therese Stuber)

Goethe. Faust. Kennt man ja. In der Schule schon zu oft besprochen, im Theater schon zu viele Male gesehen. Aller Jubeljahre gibt es ja so manche Versuche, den schon leicht eingestaubten Klassiker von Johann Wolfgang von Goethe auf die Bühne zu bringen, natürlich auch in Leipzig. Dies gelingt mal mehr, mal weniger, doch fast immer nach demselben Muster. Wer davon müde geworden ist, dem kann man es kaum verübeln. Und doch lässt sich behaupten, dass dieser Zuschauer, -skeptisch bei Goethe-Inszenierungen – zur Abwechslung tatsächlich etwas verpasst, wenn er nicht das Stück FAUST spielen des Figurentheaters Wilde&Vogel im Lindenfels Westflügel besucht (Regie: Christiane Zanger). In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Figurenspieler Christoph Bochdansky bringen sie ein Theaterstück auf die Bühne, welches sehr experimentell anmutet. Durch eine Mischung aus Figurenspiel, Schauspiel und einer Klanginstallation, die das Spiel untermalt, kommt jeder Liebhaber des Figurentheaters auf seine Kosten und lernt den alten Faust-Stoff von einer ganz anderen Seite kennen.

Dass es sich bei der Inszenierung FAUST spielen, welche bereits im Oktober 2008 im Westflügel Premiere feierte und seither jede Spielzeit wieder aufgenommen wurde, um eine so gar nicht klassische Aufführung handelt, wird bereits zu Beginn klar. Der Umgang mit schwerem literarischen Stoff soll hier neu hinterfragt werden, was zeitweise vielleicht respektlos erscheinen mag: im Schnelldurchlauf wird der Inhalt beider Tragödienteile herunter gebrochen und mit ironisch-witzigen Szenen untermalt. Das Spiel beginnt am Ende – 5. Akt, der Tragödie zweiter Teil. Von dort aus folgen ein wildes Erinnern und ein Rasen durch die Szenen. Michael Vogel schlüpft sogleich in die Rolle des alten Doktor Faust und erweckt die runzelige, grauhaarige Puppe mit dem langen zerknitterten Umhang zum Leben. Zerbrechlich wirkt die Figur, so dass sie nach Ende des 5. Akts an einen Haken gehangen wird, und nun Zuschauer ist. Denn die Reise in die vorangegangene Geschichte sollen andere Puppen für sie übernehmen.

(Foto: Therese Stuber)

Ein Sprung: Prolog im Himmel. An dieser Stelle, mit der Goethe selbst die Geschichte hat beginnen lassen, geht das Spiel nun weiter. Vogel und Bochdansky sind dabei nicht nur die Marionetten- und Handpuppenspieler, sondern treten auch selbst als Figuren auf. Hier werden sie zu Gott und Mephisto. Die Geschichte ist bekannt, davon geht auch das Figurentheater aus, so dass nur Eckpfeiler genannt und wichtigste Zitate gebracht werden. Sie wollen nicht die altbekannte Geschichte erzählen, sondern diese ausschmücken, mit ihr arbeiten und hantieren. Auf die Prolog im Himmel-Szene folgt dann ein Tanz, dazu Gesang: Mephisto (Michael Vogel) mit Tiermaske, später im Stück mit Pferdefüßen.

Symbolisch ist das Spiel oftmals, wenige Mittel reichen, um Illusionen zu erzeugt und der Einsatz von Feuer und Nebel ist mit Bedacht gewählt. So wird Gretchen beispielsweise durch eine Silikonmaske dargestellt, die sich einer der Spieler auf den Hinterkopf zieht. Die Illusion ist geglückt, wenn dieser dann auch noch mit weißen Tüchern eingewickelt wird. Die Beziehungsgeschichte zwischen Faust und Gretchen wird auf eine kurze Szene zusammengerafft, eine zarte Annäherung, ein Flüstern, ein Handgriff, schon wächst ihr ein Baby in Form einer säuglinggroßen Puppe im Bauch heran. Dann geht alles schnell. Kindermord, Verurteilung: „Heinrich, mir grauts vor dir“. Ende erster Teil.

Eine Pause haben sich die Darsteller nun verdient – finden sie. Also holen sie einen kleinen roten Vorhang hervor, beenden den ersten Teil des Klassikers durch das Schließen des Vorhangs. Dabei schwingt auch so manche Kritik an anderen Faust-Darstellungen und vielleicht sogar am Werk selbst mit: „Nun senkt sich dieser wunderbare Theatervorhang mit seinen güldenen Details, der uns alles vergessen macht.“

(Foto: Robert Voss)

Und nach der kleinen Pause, in welcher die Zuschauer brav auf ihren Plätzen verharren, und das Figurentheater-Trio sich mit Wasser und Waffeln stärkt, ist dann tatsächlich alles vergessen: eine bunte, wilde Wiese, Elfen, Glitzergestalten, eine anmutige Landschaft. Und mittendrin Faust. Gretchens Tragödie vergessend. Weiter geht’s im Eiltempo, denn die lediglich 75 minütige Vorstellung hat noch viel Stoff unterzubringen. Im Gegensatz dazu kriecht eine Weinbergschnecke in der ihr eigenen – langsamen – Geschwindigkeit, von einer Bühnenseite zur anderen. Sie ist nur eine der vielen wunderbaren und eigentümlich gefertigten Figuren, mit denen der Zuschauer immer wieder überrascht wird. Viel Liebe steckt in den Details, so wie man es schon aus anderen Inszenierungen des Figurentheaters Wilde & Vogel gewohnt ist, und auch die Live-Musik, die eher eine Klangcollage ist, integriert sich bekannt experimentell und leichtfüßig. Da die Musikerin Charlotte Wilde jedoch ständig zwischen drei Klangstationen wechseln muss, und somit am Bühnenrand herum flitzt, wird das Spiel immer wieder durchbrochen, zu sehr gerät ihr Treiben in den Vordergrund.

Nach einer bunten Aufführung voller Witz, Ironie und auch Obszönitäten, findet das Spiel schließlich wieder zur Ausgangszene zurück. Der alte Faust liegt im Sterben und nach dem von Mephisto lang erwarteten Satz „Verweile doch! Du bist so schön!“ verlassen ihn die Lebensgeister. Was bleibt ist eine Tüte voller Kreidestaub, dessen Inhalt sich alsbald in der Luft verteilt. Nun bleibt auch den Darstellern nichts mehr zu sagen. Also stimmen sie ein Lied an: Green Gras von Tom Waits – „You’ll never be free of me“…

FAUST spielen

R: Christiane Zanger

Mit: Christoph Bochdansky, Michael Vogel

Live-Musik: Charlotte Wilde

8. Juni 2011, Lindenfels Westflügel

Premierenbesprechung: In 80 Minuten durch Goethes Klassiker und durch Fausts Kopf (von Tobias Prüwer)

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