Wenn dich das Leben nervt, streu Glitzer drauf

Oder im Fall von Lars von Triers neuem Film „Melancholia“: Serviere dem Zuschauer den endgültigen Untergang mit Zuckerguss und Schlagsahne – Einsendung zum Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik 2011*

Justine (Kirsten Dunst) (Bild: Concorde Filmverleih)

Mit Hilfe provokanter Regie-Experimente versuchte von Trier die Sehgewohnheiten des Publikums immer aufs Neue aufzubrechen und somit unsere Art des Kinokonsums kritisch zu hinterfragen. Sein neuer Film Melancholia, ab 6. Oktober 2011 bei uns im Kino wirkt auf den ersten Blick alles andere als provokant. Er präsentiert sich poliert, glänzend und zurechtgeschliffen.

Doch gleich zu Beginn des Films stellt von Trier klar: Es wird kein Happy End geben. Schon die ersten Bilder konfrontieren den Zuschauer mit dem Ende – nicht nur seines Films, sondern auch dem, welches die Erde und somit alles Leben ereilt.

Er selbst sagt, er wollte in die Untiefen der deutschen Romantik abtauchen. Und so verwundert es auch nicht, dass sich neben den pathetisch, prunkvollen Bildern die Klänge aus Wagners Tristan und Isolde durch den gesamten Film ziehen. Die passende Untermalung für eine, im Brautkleid gegen Bodenschlingen, die sie am weitergehen hindern kämpfende Kirsten Dunst. Passend für das Schauspiel zweier aufeinander zu driftender Planeten. Einer der beiden dreimal so groß. Und die Gewissheit der Kleinere, unsere Erde wird von dem Großen einfach verschlungen werden. Passend für die stark nachcolorierte Nahaufnahme einer resignierten Frau, die in einem Regen aus toten Schwalben steht.

Prunk, Pathos und Wagner im Übermaß. Doch trotz alledem wirkt die Angst Lars von Triers, der Film sei einfach zu hübsch geworden bei solch einer Film-Ouvertüre unbegründet.

Justine (Kirsten Dunst), schon immer melancholisch will zurückkehren in die Welt der „Normalen“, indem sie ihre Hochzeit mit einer märchenhaften Feier auf einem schwedischen Schloss inklusive 18-Loch-Golfkurs begeht. Sie gibt sich wirklich alle Mühe, lächelt, lächelt, lächelt. Doch die hohlen Rituale vom Kuchenanschneiden bis zum Brautstraußwerfen sind einfach zu viel für sie. Immer wieder zieht sie sich zurück. Bringt ihren Neffen zu Bett, schläft selbst ein wenig oder nimmt ein Bad, während die Hochzeitsgesellschaft und ihr frisch angetrauter Ehemann auf sie warten. Und ihr Lächeln verkommt indes zu einer erzwungen Grimmasse. Am Ende der Nacht wundert sie sich, warum der Stern Antares aus dem Sternbild Skorpion plötzlich nicht mehr am Himmel zu sehen ist… Die zweite Hälfte des Films handelt vornehmlich von Justines fürsorglicher Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg). Diese hat unglaubliche Angst vor dem riesigen Planeten Melancholia, auch wenn ihr Mann John (Kiefer Sutherland) ihr immer wieder versichert, dass er an der Erde vorbeifliegen wird. Während Claire immer besorgter wird und sich vorsichtshalber sogar schon eine Packung Schlaftabletten zurechtlegt, gewinnt Justine in Anbetracht des drohenden Weltuntergangs immer mehr an Selbstbewusstsein und neuer Lebenskraft… 
„Ich denke, dass Justine sehr mir selbst entspricht. Sie basiert zu weiten Teilen auf meiner Person und meinen eigenen Erfahrungen“ gibt Lars von Trier offen zu. Und genau wie er selbst, gibt sie sich alle Mühe, etwas an ihrem Zustand zu ändern. Dass sie an ihrer von leeren Ritualen dominierten Hochzeit scheitert, ist vorauszusehen. Aber zumindest hat sie es versucht. Von Trier inszeniert Justins Scheitern, welches im ersten Moment unglaublich düster und depressiv wirkt mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und nimmt sich zwischendurch sogar Zeit für kleinere humorvolle Einschübe. So zum Beispiel für einen Running Gag um den pedantischen Hochzeitsplaner (Udo Kier), der sich jedes Mal eine Hand vors Gesicht hält, wenn er Justine begegnet: Er kann die Braut, die seine Hochzeit ruiniert hat, unmöglich noch länger ansehen. 

Ursprünglich sollte Penélope Cruz die Rolle Justines spielen. Sie musste aber, wegen Terminüberschneidungen mit einem anderen Projekt absagen. Kirsten Dunst, die selbst einmal an Depressionen litt, projiziert, mit scheinbarer Leichtigkeit den Ausdruck eines Leeren-Lächelns auf die Leinwand. Dies ermöglicht dem Zuschauer die Verzweiflung und tiefe Trauer Justines mit zu empfinden, ja sogar fast selbst zu spüren. Gleichzeitig gelingt es ihr aber stets die Würde der Rolle zu wahren. Ein mindestens ebenbürtiger Ersatz. Und am Ende der Nacht kann sich das Publikum nicht einmal sicher sein, ob nicht vielleicht doch Justine diejenige unter den Hochzeitsgästen ist, die die Welt am klarsten sieht. 
John Hurt als mit jungen Frauen rumschäkernder Vater, Stellan Skarsgard als machthungriger Boss, Alexander Skarsgård als überforderter Neu-Ehemann und Kiefer Sutherland als allzu pragmatisch denkender Schwager – geballte darstellerische Qualitäten. 
Im zweiten Teil des Films rückt das schwesterliche Verhältnis stärker in den Fokus. Claire, die wirklich etwas zu verlieren hat und an ihrem Leben hängt, flüchtet sich in ihre Angst. Im Gegensatz dazu sieht man Justine, die sich zunehmend wohler fühlt, je näher das Ende rückt. Diese Gegensätze steigert von Trier zum Ende hin so stark, dass die schwesterliche Beziehung zu zerbrechen droht. Doch es ging von Trier nicht um die Schilderung einer Schwesterbeziehung, noch um die Erschaffung eines neuen Weltuntergangszenarios. Auch sollte der Zuschauer sich nicht fragen Was wird passieren. Das Vermögen oder Unvermögen verschiedenster Charaktere mit Extremsituationen umzugehen war die Grundidee für seinen neuen Film. Und die Frage des Wies, die über allem schwebt.

Anders als bei seinem letzten Film Antichrist, sieht man die Risse in der Oberfläche seines neuen SienceFiction-Dramas nicht schon vom weiten. Kritisches Hinterfragen und Aufmerksames Sehen werden vom Zuschauer gefordert. Denn auch bei diesem Film hofft von Trier, der eben nicht nur mit schönen Bildern beeindrucken möchte, der Zuschauer möge doch unter dieser dicken Zuckergussschicht noch mehr entdecken. Hinter die gemeißelte Fassade und unter die glänzende Oberfläche schauen. Die Länge Melancholias, ca. 130 Minuten, und die Tatsache, dass der gesamte Film mit Handkamera gedreht wurde, erleichtern dem Zuschauer seine Arbeit nicht. Doch genau das ist es, was Lars von Trier erreichen möchte, einen Kinozuschauer, der nicht nur gleichgültig in seinem Sessel sitz, sondern aktiv an seinen Filmen teilnimmt.

Lars von Trier schafft mit Melancholia einen bemerkenswerten Spagat zwischen beeindruckend schönen Bildern und dem Untergang unsere Erde. Er verbindet die unwiderrufliche Zerstörung mit Bildkompositionen wie sie harmonischer nicht sein könnten. Und selbst die Katastrophe wirkt am Ende irgendwie tröstlich auf den Zuschauer. Es ist ein seltsamer Film. Doch das ist gut.

* Der Text wurde für den Schreibwettbewerb „Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik 2011“ eingereicht, der jährlich vom Leipzig-Almanach auslobt wird. Die Almanach-Redaktion veröffentlicht im Nachgang des Wettbewerbs ausgewählte Einsendungen in unredigierter Fassung.


Rückblick auf die Verleihung des Friedrich-Rochlitz-Preises für Kunstkritik 2011

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