Zu Besuch in der Bäderanstalt

Inspiriert durch Proust, ausgedacht von Wolfgang Krause Zwieback, Corinna Harfouch spielt mit, und dem ausverkauften Ballsaal der Schaubühne gefällt es. Darum: „Mit Proust zum Glück in der Bäderanstalt“ ist ein gutes Stück Theater – Einsendung zum Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik 2011*

Wolfgang Krause Zwieback und Corinna Harfouch (Foto: Schaubühne Lindenfels)

Vor den Zuschauern breitet sich ein riesiges weißes Laken aus: Klinik-Atmosphäre, aber auch der Stoff aus dem Betten gemacht sind. In Betten träumen wir. Träume sind kurios und bunt. Das ist heut Abend das Thema.

Gute Dinge sind rar. Und so wird auch dieses Stück – wie schon im letzten Oktober – lediglich dreimal gezeigt. Auch dreimal, und zwar täglich, träumt Ruth Padies (gespielt von Harfouch). So hat es ihr Arzt, Dr. Miral (Krause Zwieback), verordnet. Er befragt sie nach ihrem Wohlbefinden. Er hört zu und analysiert ihre Sicht der Dinge und erwidert seine eigene. Ab und an reicht er ihr Quellwasser als Medizin. Er ist der Psychoanalytiker und Therapeut, sie die Patientin und Verrückte.

Was genau dieser Kuraufenthalt ist und wie er helfen soll, das bleibt für den Zuschauer unklar. Auch was Traum und was Wirklichkeit ist, kann weder Padies noch das Publikum auseinanderhalten. Sie neigt dazu beides zu verwechseln und das Quellwasser – konsumiert in großen Mengen – scheint wenig zu helfen. Ein Kenner Prousts versteht, dass sie viele ihrer Erinnerungen aus dessen Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit entlehnt.

Auch Psychoanalytiker Miral greift immer wieder zum Quellwasser. Dabei nimmt er sich 90 Minuten für seine Patientin Zeit (die Spielzeit umfasst somit etwa zwei Therapiestunden), kann aber zunehmend weniger zur Klärung des Ganzen beitragen. Zunächst ordnet er noch einiges zwischen Fiktion und Realität. Dazu weißt er sich als sehr belesen in dem berühmten Werk aus. Bald darauf aber hört man ihn Referate halten, die allem Wissenschaftlichen und Analytischen entbehren, und sieht ihn auf seinem Schreibtisch „planking“ proben. Und so stimmt er in den großen Irrsinn mit ein. Aber der Irrsinn ist kein Unsinn. Er ist vor allem unterhaltsam, da er die Wirklichkeit zunächst ironisch beschreibt und dann ganz verdreht. So leidet Padies unter anderem an „Verliersucht“, wie andere eben an „Existenzangst“ – die Angst vor der Existenz.

Licht färbt das große Betttuch abwechselnd grün, gelb, rot, lila, blau, immer wieder weiß und eben auch – bunt. Aber die Übergänge sind ruhig, eingeläutet durch Glockenspiel und mit einer Pause des Geschehens verbunden. So sind die Bilder klar und geben dem Stück Struktur. Was passiert und erzählt wird ist verrückt, schnell und abstrus, eben – kurios. Geboten wird hier konsistenter und mitreißender Unsinn, der Konzentration fordert aber dafür Erheiterung bietet.

Die beiden Darsteller sprechen vorrangig in gespitzten Monologen. Diese sind teilweise sehr lang und verstrickt. Deshalb ist die Aufmerksamkeit der Zuschauer gefragt. Gleichzeitig sind sie aber auch witzig, bizarr, und im großen Maß pointenreich. Es ist der trockene Humor und das als selbstverständlich dargestellte Irrsinnige, was es so lohnenswert macht zu zuhören. So ist es Theater zum Zuhören und Mitdenken. Man hört zu, denn man wird pausenlos zu gequatscht. Man denkt mit, denn es macht glücklich diese eigenartige Welt verstehen zu wollen und sich darin zu verlieren.

Leider sind die Monologe von Harfouch phasenweise nur aufgesagt, dann hat sie auswendig gelernt, spielt aber nicht. Das ist schade. Doch es gibt genügend Szenen, in denen sie sich vollkommen verausgabt, mitreißt, sich im Gestenspiel überschlägt und dann – zusammenbricht. Diese Szenen sind die i-Tüpfelchen in einem umfassenden Werk, das schon aufgrund seines Umfangs an jenes von Proust erinnert und vieles eben aus diesem entlehnt, zitiert und neu erzählt. Erinnerung zeigt sich als zentraler Aspekt, sowohl in jenem als auch in diesem Werk, und bildet somit die Brücke zwischen beiden.

So kommt es am Ende, dass nicht mehr nur Padies an „halblichter Bewusstseinsstörung“ leidet, sondern auch Dr. Miral und die Zuschauer. Doch gerade für diese hat es sich gelohnt die Bäderanstalt zu besuchen.

Mit Proust zum Glück in der Bäderanstalt. Ein Stück Theater

Mit: Corinna Harfouch, Wolfgang Krause Zwieback

Inszenierung und Buch: Wolfgang Zwieback

1. September 2011, Schaubühne Lindenfels


* Der Text wurde für den Schreibwettbewerb „Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik 2011“ eingereicht, der jährlich vom Leipzig-Almanach auslobt wird. Die Almanach-Redaktion veröffentlicht im Nachgang des Wettbewerbs ausgewählte Einsendungen in unredigierter Fassung.


Rückblick auf die Verleihung des Friedrich-Rochlitz-Preises für Kunstkritik 2011

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