Vom Dasein und Fortgehen

Jonas Klinkenberg, Geschäftsführer des Lindenfels Westflügels, im Gespräch mit Almanach-Autorin Doreen Kunze

Der Lindenfels Westflügel hat wieder seine Tore für Theaterbegeisterte aller Altersgruppen geöffnet. Passend zum nahenden Herbst und Winter geht es in den kommenden Inszenierungen um das Thema Leben und Sterben. Unter dem Motto „Vom Dasein und Fortgehen. Figurentheater zwischen Leben und Tod“ finden sich verschiedene Figurenspieler und Künstler, um dem eigentlich doch ernsten Thema auf eine ganz eigene Weise zu begegnen. Dass dieser Umgang so gar nicht düster-depressiv sein muss, weiß Jonas Klinkenberg, Geschäftsführer und Projektmanager des Westflügels.

Doreen Kunze, Leipzig-Almanach: Gleich zu Beginn: Sollte sich das Publikum auf melancholisch-nachdenkliche Inszenierungen einstellen?

Jonas Klinkenberg: Melancholisch wird es tatsächlich nicht. Natürlich gibt es auch mal solche Momente, aber der Spaß am Theater ist es doch, dass man sich mit dem Thema Leben und Tod auseinandersetzen kann, ohne in Melancholie verfallen zu müssen. Man kann über den Tod reden und gleichzeitig auch darüber lachen, muss nicht dieses betretende Schweigen eingehen. Man muss auch mal lauthals darüber lachen, dass wir am Ende alle sterben müssen.

Kunze: Wie kann Figurentheater es denn schaffen, dem Thema Tod zu begegnen?

Klinkenberg: Figurentheater ist per se schon sehr mit dem Tod verbunden. Auf der einen Seite rein technisch: Es wird etwas Totes animiert und jeder kann in diesem Moment sehen, dass das eigentlich tote Material zu leben beginnt. Auf der anderen Seite kann man es auch theaterwissenschaftlich betrachten: viele der Figuren die man sieht sind verbunden mit der alten, mächtigen Puppen und Masken. Das sieht man oft auf den ersten Blick nicht, aber es sind Verfahrensweisen, die schon über Jahrhunderte in allen möglichen Kulturen bestehen. Diese werden dann im Figurentheater wieder erweckt. Außerdem können bestimmte Figuren in den Tod reisen und von dort auch wieder zurückkommen. Somit haben sie Kontakt zu den Ahnen und können Geschichten erzählen, die sonst niemand erzählen kann, außer eben diese Figuren und Masken.

Das Orga-Team des Lindenfels Westflügels beim Bürgerfest Westpaket: Caroline Bergter, Maria Koch und Jonas Klinkenberg (Bilder: Westflügel)

Kunze: Sie machen also beispielsweise Zeitsprünge und begegnen so dem Vergangenen?

Klinkenberg: Ja. Zeitsprünge, aber auch das Reisen in eine andere Welt ist eine sehr wichtige Verfahrensweise. Auch bei unserem aktuellen Schwerpunkt. In dem Stück Songs for Alice ist es zum Beispiel die Reise ins Wunderland. Die Frage ist dann nur, ob das Wunderland so wunderbar ist, wie man es sich vorstellt. Auch Shakespeares Hamlet ist thematisch sehr mit dem Tod und dem Leben verbunden. Es gab Jahrhunderte lang Diskussionen darüber, wie man einen Geist auf der Bühne auftauchen lassen soll. Da kann man im Figurentheater natürlich ganz anders arbeiten. Man kann Figuren und Puppen auftauchen lassen oder auch einfach mal nichts auftauchen lassen. In der Inszenierung Exit. Eine Hamletfantasie passiert dabei etwas ganz erstaunliches: es wird in einem sehr wichtigen Moment mit nichts gespielt, und trotzdem weiß das Publikum, was passiert. Es ist einfach diese Herangehensweise, nicht mit den Menschen zu spielen, sondern mit den Dingen die darüber hinausgehen. Das ermöglicht sehr viele Kontakte zu verschiedenen Ebenen von Tod.

Kunze: Wie erarbeitet ihr eigentlich so ein Motto bzw. Thema?

Klinkenberg: Das ist ganz unterschiedlich. Erstmal geht es eigentlich darum, Künstler und Stücke einzuladen, die wir spannend finden. Das ist die Grundvoraussetzung. Man sieht sich an, was die Künstler aktuell machen oder was es auf Festivals zu entdecken gibt, oder auch, welches Thema aktuell passend ist. So stellen wir also Stücke zusammen und dann bildet sich immer ein roter Faden. Diese Spielzeit haben wir ein Stück, das in der Gebärmutter spielt und eines, das die Geburt des Kosmos thematisiert. Dann gibt es noch eine Inszenierung, in der ins Totenreich gereist wird. Da wird dann irgendwann klar: es geht um Geburt und Tod. Ein roter Faden also durch Leben und den Tod und durch den Tod wieder zurück. Ein anderer Schwerpunkt fängt im Januar an. Das ist das Thema „Mensch – Alter“ und es wird um Generationen im Theater gehen. Der Anlass dafür war das Stück Hackbraten is nich. Als wir das gesehen haben, dachten wir: sowas müssen wir zeigen. Daraus ist der Gedanke entstanden, den Fokus mehr auf die Generationen zu legen. Unsere Zuschauer sind sehr gemischt, wir haben junge Leute, viele Studenten, aber auch eine ganze Riege von Senioren. Alle verbringen einen wunderschönen Abend zusammen, leben aber nebeneinander her. Daraus ist die Idee entstanden, den Austausch untereinander zu fördern.

Kunze: Nochmal zum roten Faden, den du angesprochen hast: vom Mutterleib über Leben bis hin zum Tod. Was ist die Intention hinter dieser Zusammenstellung?

Klinkenberg: Die Intention ist, sich endlich mal mit dem Thema Leben und Sterben auseinanderzusetzen, ohne diesen ganzen Ballast zu haben. Es ist einfach zu wenig Zeit und Raum für dieses Thema. Friedhöfe, Altenheime oder Hospize gibt es in unserer Alltagswelt nicht, jedenfalls nicht präsent. Man ist immer erst mit dem Tod konfrontiert, wenn man selber in der Situation ist, ein Verwandter krank wird, oder man selbst. Und dann ist das immer gleich so emotional überfrachtet, dass es schwierig ist, damit umzugehen. Theater bietet die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, ohne in ein emotionales Loch zu fallen.

Kunze: Es geht also darum, den alltäglichen Umgang mit dem Tod zu umgehen und einen anderen Standpunkt einzunehmen?

Klinkenberg: Genau. Man sitzt als gemeinsames Publikum da und dann geht es nicht mehr darum, dass eine Person stirbt. Sondern es geht darum, dass wir alle in dem Moment wo wir da sitzen, wissen, dass wir irgendwann sterben müssen. Aber es ist witzig, wenn ein Kasper wiederkommt oder ein Punch Bin Laden einen Puppenspieler jagt und das Totenreich in dem Fall eben nicht bspw. das Jenseits ist, sondern Afghanistan. Da wird auf einer ganz anderen politischen Ebene über Tod gesprochen.

„Hackbraten is nich“: Westflügel-Figurentheater von Lutz Anthes und Eva Kaufmann

Kunze: Neben dem Figurentheater Wilde und Vogel sind auch wieder einige GastspielerInnen im Haus. Was kann man denn zum Beispiel vom niederländischen Figurenspieler Neville Tranter erwarten, der seine Puppen auf diese groteske Reise nach Afghanistan schickt?

Klinkenberg: Von Tranter kann man erwarten, dass es sehr bösartig wird. Das kann man nicht anders sagen. Aber die lange Kaspernacht insgesamt wird sehr böse, schwarzer Humor bei beiden Inszenierungen vorkommen. Neben Tranters Punch und Judy in Afghanistan wird da Christoph Bochdansky Kasperl, dieser Mann ist eine Fälschung gezeigt. Sehr spannend ist das vor allem bei Neville Tranter, der normalerweise riesige Aufbauten und Massen von Scheinwerfern nutzt. In diesem Stück wird alles mit der kleinen Guckkastenbühne gespielt mit wenig technischen Möglichkeiten. Dafür besinnt sich der Spieler auf die Handpuppentradition. Und diese Tradition wird verbunden mit der bitterbösen Aufarbeitung eines aktuellen Themas. Wann darf man sonst schon mal über Bin Laden lachen?

Kunze: Im Gegensatz zu anderen Figurentheatern scheint sich der Westflügel eher auf Stücke für Erwachsene spezialisiert zu haben. Ist das richtig?

Klinkenberg: Ja, das stimmt. Normalerweise denkt man, wenn man Figurentheater hört, an eine kleine Spielstätte die jeden Sonntag ein Kindermärchen spielt. Das ist auch schön, keine Frage. Es ist aber nicht das, was dieses Haus gerade reizt. Und vor allem bei dem Thema Leben und Tod ist es auch reizvoll für den Künstler, sich mit schweren, ernsten Themen auseinanderzusetzen. Es ist vielleicht auch nicht immer Absicht, ein Stück für Erwachsene zu machen. Doch der Stoff ist so einfach nichts für Kinder. Aber wir haben auch Kinderstücke im Spielplan. Umgedreht ist es natürlich auch wieder interessant, wenn man sagt: jetzt beschäftige ich mich wieder explizit mit Kindern und versuche, denen trotzdem solche ernsten Themen nahezubringen.

Kunze: Wie ist das Verhältnis zwischen Publikum und Akteuren im Figurentheater geprägt?

Klinkenberg: Gerade im Figurentheater ist das Verhältnis von großer Wichtigkeit. Denn es ist, trotz des eigentlich passiven Zuschauers, immer auch eine Art Mitmachtheater. Es funktioniert alles nur, wenn das Publikum wirklich bereit ist mitzumachen und mit zu fantasieren. Durch diese Bereitschaft entsteht eine Art Humor zwischen Spielern und Publikum. Das ist dann fast schon eine Art Verschwörung gegen andere Formen der Kommunikation im Theater. Das prägt ganz stark das Verhältnis zueinander. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Schauspieler auf der Bühne steht und mir eine Rolle vorspielt, oder ob da jemand auf der Bühne steht und augenzwinkernd mit mir kommuniziert, sich mit mir gemeinsam auf einen Versuch einlassen will.

Kunze: Steht die Figur also als Mittler zwischen Akteur und Publikum?

Klinkenberg: Die Figur kann Mittler sein, aber es kommt auch immer darauf an. Mittler wäre mir zu einfach. Das klingt so nach Medium. So eindimensional. Figuren können Mittler sein, machen aber auch immer eine Distanz auf, können auch trennen. Das ist je nach Puppen- oder Maskenart ganz unterschiedlich. Eine Figur muss ja nicht nur eine Handpuppe sein, das kann eine Marionette, eine Maske oder eine musikalische Figur sein. Oder ein riesengroßes unförmiges Ding. Darum kann man auch nicht die Funktion der Figur runter brechen. Es ist eher das gesamte Gefüge, was sehr spannend wirkt. Das ist auch ein Anreiz für unser Haus: wir versuchen, unserem Publikum das gesamte Spektrum zu zeigen.

Kunze: Zum Abschluss: was erwartet Ihr Euch für diese Spielzeit?

Klinkenberg: Zum einen erwarten wir, dass wir weiterhin ein spannendes Publikum im Haus haben, das Input gibt und mitmacht, keine Frage. Zum anderen hoffen wir natürlich auch immer auf neue, interessante Inszenierungen. Bis März steht unser Spielplan aber erstmal. Sehr spannend wird die Nachtinszenierung der Eisprinzessin, aber auch der Generationenschwerpunkt wird von uns gespannt erwartet. Für die Buchmesse planen wie eine Veranstaltung außerhalb unseres Metiers, und zwar einen Ball für die zahlreichen Cosplayer. Cosplay ist ja auch eine Art von Figurentheater, teilweise sehr hochprofessionell. Nächstes Jahr wird es auch ein Butoh-Festival geben und dem Haus einen ganz neuen Touch verleihen. Ansonsten gibt es noch eine ganze Reihe von Stücken, von denen wir hoffen, dass sie gut angenommen werden. Als Haus hat man immer viele Hoffnungen, die damit verbunden sind: dass das Publikum mitmacht, die Presse, dass man auch die Organisation so schafft, damit alles ohne Probleme läuft. Insgesamt hoffe ich einfach, dass der Westflügel ein schönes halbes Jahr haben wird und viele Leute mit dabei sein wollen. Ich hoffe, dass alles lebendig bleibt.

www.westfluegel.de

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