„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“

Zum Beginn der neuen Intendanz zeigt die Oper Leipzig in einer Wiederaufnahme Alfred Kirchners Inszenierung des „Rosenkavaliers“

Fotos: Andreas Birkigt

„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, ein dahin fließendes Kontinuum, das man zuerst kaum wahrnimmt, bis man letztendlich doch – dem Rieseln einer Sanduhr gleich – die eigene Vergänglichkeit spürt. Keine Frage, wer da über den Lauf der Zeit räsoniert: Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg im Rosenkavalier, der jetzt in der Inszenierung von Alfred Kirchner – nach mehrjähriger Abstinenz – an der Oper Leipzig unter der musikalischen Leitung ihres GMD und Neu-Intendanten Ulf Schirmer wiederaufgenommen wurde.

Der Rosenkavalier, 1911 in Dresden uraufgeführt, ist nach Elektra die zweite gemeinsame Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Obwohl beide Werke gerade einmal zwei Jahre trennt, scheinen zwischen ihnen musikalisch und inhaltlich Welten zu liegen: Mit dem Rosenkavalier kehrt Strauss wieder weitgehend in die tradierte Tonalität und Harmonik zurück, Walzer geben für die im Wien des Jahres 1740 angesiedelte Handlung ein stimmiges Kolorit. Allerdings kannte man diesen Tanz damals noch gar nicht – die Rokoko-Folie ein Zerrspiegel der eigenen Zeit, in der gerade die Moderne mit ihrem Welt- und Menschenbild gehörig ins Wanken geriet? Hofmannsthal selbst betonte jedenfalls, dass es ihm nicht um eine Heraufbeschwörung des mariatheresianischen Wiens gehe, sondern es sei weitaus „mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart als man ahnt“. Und so muss nicht nur die Marschallin, die mit dem eigenen Verzicht ihrem jugendlichen Geliebten Octavian den Weg in die Ehe mit Sophie bahnt, erkennen, dass sie zur nächsten Generation gehört. Eine ganze Gesellschaft hat sich hier überlebt und wird von einem neuen System abgelöst – mit offenem Ausgang.

Ein kleiner Theater-Coup stellt sich im Schluss-Terzett dann doch noch ein, nachdem die Feldmarschallin Octavians entgleiste Spuk-Farce geschlichtet hat, die den Baron beim Rendezvous mit „Mariandel“ im zwielichtigen Beisl kompromittieren sollte: Auf Ochs Ausruf „Leopold, mir gengan!“ verschwinden alle Kulissen. Zurück bleiben die Feldmarschallin, Sophie und der Rosenkavalier Octavian, der erst nicht so recht weiß, zu welcher der beiden Frauen er nun gehört. Hier entfaltet sich allein durch die Präsenz der Figuren ein kurzer sphärischer Moment zwischen Imaginärem und Realem. Das rauschhafte Glück des jungen Paares, von ihnen selbst als Traum wahrgenommen, ist auch trotz der selbstlosen Entsagung der Feldmarschallin ephemer – ob es in der neu anbrechenden Zeit bestehen kann, bleibt offen. Ein schöner Einfall, doch kann er kaum über den Eindruck hinwegtäuschen, dass Kirchners Inszenierung über weite Strecken im Konventionellen verharrt.

Trotzdem funktioniert dieser Rosenkavalier, zeigt sich das Publikum – nach anfänglicher Zurückhaltung – beim Schlussapplaus letztendlich begeistert. Das hat mehrerlei Gründe: Strauss und Hofmannsthals kongeniales Meisterwerk zählt zweifelsohne zu den besten Komödien überhaupt. Das Libretto an sich, dessen Sprache eine (aber-)witzige Milieustudie der Wiener Stände liefert, ist für sich schon eine begnadete Theatervorlage, bietet aber im Zusammenspiel mit der Komposition ein Reflexionsangebot, das bei weitem nicht jeder Oper beschieden ist. Vor allem aber erreicht die Leipziger Wiederaufnahme ein musikalisches Niveau von Premierenformat. Dass Ulf Schirmer zu den gegenwärtig profiliertesten Strauss-Dirigenten zählt, hat er in Leipzig bereits mit der Elektra in der vergangenen Spielzeit unter Beweis gestellt. Und so gerät schon die Ouvertüre vielversprechend, die er mit dem erstklassig disponierten Gewandhausorchester mit Verve, ja nahezu stürmisch angeht. Schirmer gestaltet im Folgenden einen silbrigen, nahezu ätherischen Strauss-Klang, mit dem er es aber gerade im ersten Aufzug seinen Sängern nicht immer leicht macht. Das bekommt vor allem Lioba Braun zu spüren, die ihr Debüt als Feldmarschallin stimmlich und schauspielerisch äußerst facettenreich angeht, mitunter allerdings vom Orchester etwas übertönt wird. Im finalen Terzett entwickelt sie aber zusammen mit den Ensemble-Mitgliedern Eun Yee You als Sophie und Kathrin Göring als Octavian ein transzendentes Klangbild, das für einen kurzen Moment die Zeit anzuhalten scheint. Vor allem Göring zeigt in der Titelpartie, dass die Leipziger Oper ihr wahrscheinlich größtes Potential in dem eigenen Ensemble zu bieten hat: Sie besticht in allen Registern mit angenehm warmem Timbre, zeigt glaubhaft die Wandlung des pubertierenden, anfangs unbedachten Jünglings und weiß in der doppelten Verkehrung als Mariandel – die Hosenrolle verkleidet sich als Soubrette – auch ihr komödiantisches Talent auszuspielen. Damit kann auch Jürgen Linn punkten, der sicher intonierend seinen Ochs auf Lerchenau keinesfalls nur als polternden Lüstling anlegt, sondern ihm in einer schmalen Gratwanderung auch einen Rest von Würde verleihen kann. Dieses Niveau setzt sich durch bis zu den Nebenrollen, unter denen Martin Petzold und Karin Lovelius als ideales Intrigantenpaar Valzacchi und Annina, Dan Karlström als Wirt oder die drei adeligen Waisen von Olena Tokar, Britta Glaser und Lena Belkina hervortreten.

Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass der Rosenkavalier programmatisch an den Beginn der neuen Intendanz gestellt wurde. Und musikalisch berechtigt diese Wiederaufnahme auch zu den kühnsten Hoffnungen, zumal es Schirmers Anliegen ist, das Strauss-Repertoire an der Oper Leipzig weiter auszubauen. Auf der Bühne hat sich hier allerdings in der letzten Zeit schon weitaus Interessanteres abgespielt, weshalb für die kommenden Produktionen eine engere Symbiose von Szene und Musik wünschenswert wäre, wie sie beispielsweise mit der Elektra bereits erreicht wurde.

Richard Strauss: Der Rosenkavalier

Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Inszenierung: Alfred Kirchner
Künstlerische Mitarbeit: Hermann Beil
Szenische Einstudierung der Wiederaufnahme: Gundula Nowack
Bühne: Marcel Keller
Kostüme: Joachim Herzog
Chöre: Alessandro Zuppardo, Sophie Keller
Mit: Lioba Braun (Feldmarschallin), Jürgen Linn (Ochs), Kathrin Göring (Octavian) Eun Yee You (Sophie), Jürgen Kurth (Faninal), Martin Petzold (Valzacchi), Karin Lovelius (Annina), u. a.; Gewandhausorchester, Chor und Komparserie der Oper Leipzig

24. September 2011, Oper Leipzig

Website der Oper Leipzig

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  1. Diese wunderschöne aufführung habe ich gestern, am 19.2.1012, in leipzig gesehen u möchte hier noch zu dem obigen kommentar (verstärkend) hinzufügen, dass kirchners inszenierung endlich einmal eine kongeniale (und keines zu traditionelle) erhellung des komödienhaften charakters der oper ist. im programmheft steht glücklicherweise der berühmte ausspruch von strauss, dass die marschallin so um die 32 jahre alt sein müsse , nicht älter, und man ihr auch noch weitere verhältnisse als das mit octavian zutrauen solle. in dieser kirchner-inszenierung ist die marschallin endlich einmal die nicht hochpathetisch melancholisch leidende älter gewordene frau, sondern die heiter melancholisch gestimmte, die um die vergänglichkeit weiß und sich auch danach richtet. sie hat diesen lernprozeß längst durchlaufen („das man nichts halten kann“ oder „wer allzuviel umarmt, der hält nichts fest“), sie braucht sich nicht mehr in larmoaynte neue erkenntnismelancholien stürzen….und dementsprechend großartig ist die dialektik zwischen ihr , die ganz selbstbewusst „loslassen“ kann, und octavian, der bei ihr wie bei sophie eine leidenschaft verkörpert, die auf „ewigkeit“ angelegt sein möchte, in dieser aufführung akzentuiert und so fabelhaft zum ausdruck gebracht (stimmlich vor allem und vor allen anderen bei k. göring als quinquin). diese wunderbare spannung zwischen vergehen und sein, reflexion und sinnlichkeit , vermittelt in stimmigen bühnenbildern (dem leicht verstaubten gemach bei der marschallin im 1.akt, der knalligen kunstästhetik bei dem parvenü faninal in akt 2, dem ganz kulissenlosen am ende des 3.akt), ironisch gebrochen durch zahlreiche burleske, ja auch groteske momente verleihen der aufführung einen ganz besonders hohen reiz u auch wert! das ensemblespiel fügt sich hierein stets hervorragend und ulf schirmer vermag viele (wenn auch nicht durchweg) passagen der partitur zu einem betörenden klangspektrum zu entfalten (diverse lyrische sowohl wie (tragi-)komische. GRANDIOS! und wie ich meine: KONGENIAL. hoffentlich gibt es dieses absolute highlight auch nochmal in der nächsten spielzeit!!!!!

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