Die Goldene Taube fliegt davon

Dokwoche: Die Jury des Internationalen Wettbewerbs kürte einen Film, der sich mit den Nachwehen eines Bürgerkrieges auseinandersetzt. Bitterernste Themen wie dieses dominierten auch in diesem Jahr das Festival

„The Tiniest Place“ (Bild: PR)

Mit wachen Augen streifen die US-Soldaten über die Samoainsel, gepackt von der Angst, von einem japanischen Infanteristen aus dem Hinterhalt angegriffen zu werden. Vor 14 Jahren präsentierte Hollywoodgröße Terence Malick mit Der schmale Grat (The Thin Red Line) eine ungewöhnlich tiefenphilosophische Auseinandersetzung mit dem Mensch-Natur-Verhältnis im Kino.

Ähnlich aufgebaut ist der diesjährige Gewinner der Goldenen Taube in der Kategorie „Dokumentarfilm über 45 min.“. The Tiniest Place (El lugar más pequeno) der mexikanischen Jungregisseurin Tatiana Huezo schildert in klarer Bildsprache und mit atmosphärisch geschickt platzierten Soundbausteinen den Kontrast zwischen gebeutelten Menschen und ihrer scheinbar unversehrten grünen Umgebung. So unterstreicht der Klang marschierender Stiefel beim Anblick eines friedlichen Waldweges die Widersprüchlichkeit einer sich ständig erneuernden Natur und den erstarrten Menschen in ihr. Und die prächtigen Urwaldpflanzen erinnern sich wohl nicht an den Bürgerkrieg in El Salvador, der in den 1980er Jahren wütete und cirka 75.000 Menschen das Leben kostete.

Die Überlebenden und ihre Familien hingegen sind bis heute schwer traumatisiert. Die Kamera ist hier keine Therapeutin – aber sie gibt den Geschädigten mit einfühlsamen, langen Einstellungen Gelegenheiten, zu berichten und den Einblick in ein düsteres Kapitel junger Geschichte zu bieten, der westliche Medien erschreckend wenig Beachtung schenkten.

Doch so versteckt noch einige Überreste des Krieges unter hohem Gras schlummern, so verborgen sind die Spannungsmomente dieser exotischen Reise. Zu lange verweilt der Film im dörflichen Allerlei und der Schockstarre der Viehtreiber, Verkäufer und Wäscher, bevor er sich den wirklich dramatischen Orten wie der Fledermaushöhle, die Flüchtigen jahrelang als Versteck vor den Menschenschlächtern des Militärs diente, zuwendet.

The Tiniest Place scheidet die Gemüter. In der beliebten Internet Movie Database erhielt er nur magere 5,3 von 10 Nutzerbewertungspunkten, räumte aber im April dieses Jahres den Schweizer Filmpreis „Visions Du Réel“ ab. Nichtsdestotrotz gewann der mexikanische Beitrag auch auf der diesjährigen DOK Leipzig und lockte noch am Sonntag Neugierige zum Review in das Passage Kino.

Ein deutscher Film findet sich ebenfalls in der oberen Gewinnerriege: Work Hard, Play Hard (siehe Artikel vom 21. Oktober) erhält mit dem „Preis der Fédération Internationale de la Presse Cinématographique“, dem „Healthy Workplaces Film Award“ und dem „Preis der Ökumenischen Jury“ gleich drei Auszeichnungen.

Was bei so manchen Festivalbesuchern nach einer intensiven, fordernden Kinowoche zurückbleibt, ist die Frage, ob nicht auch positive Lebensthemen eine Daseinsberechtigung im Genre des Dokumentarfilms hätten. Denn auch hier kann aufklärerisches Filmen nicht schaden, kann eine Prise Witz beim Portraitieren von Lebensfreude als Abwechslung zu Elend und Zerstörung gut ins Konzept passen. Womöglich wird uns dieser Mut ja im nächsten Jahr begegnen.

54. Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm

17. bis 23. Oktober 2011

www.dok-leipzig.de

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