Gegen Klarheit und Konvention

Mit „Fragmente einer Sprache des Lächelns“ erkundet die LeichtSchiff Company in Bewegung, Gesten und Gebärden das Jenseits der Sprache

Fotos: Spinnwerk

Ein großer, schlauchförmiger, kahler, aber nicht kalter Raum gibt dem Stück Fragmente einer Sprache des Lächelns den nötigen Rahmen. Ein Bühnenbild ist praktisch nicht vorhanden. Die Akteure bedienen sich lediglich ihrer selbst und ein paar Requisiten in Form von Stühlen. Selten bringen sie ihre Stimme zum Einsatz. Wenn, dann wählen sie die Form des Gesangs, des Stöhnens, Ächzens und vereinzelt des Wortes. Dann in Form eines Monologes und eines sich immer wiederholenden Zwiegespräches, welches parallel dem auf beiden Seiten der „Bühne“ sitzendem Publikum zu gezischt und auf teils erotisch-pervertierende Art zu gestöhnt wird. Klarheit soll sich nicht durch die Sprache ergeben. Bewegung, Gesten und Gebärden stehen im Mittelpunkt. Die Schlichtheit und Größe des Raumes bieten dem Stück und den Schauspielerinnen den dafür nötigen Freiraum. Die erzielte Wirkung von Unbegrenztheit spiegelt sich gut in der Thematik des Stückes wieder. Was ist die Liebe, was ist mein Selbst, wie sehe ich mich im Verhältnis zu anderen, in Beziehungen und wie kann ich mich ausdrücken und meinen tiefen inneren Emotionen und Gesten, die mich zu einer Figur werden lassen, Ausdruck verleihen?

Diesen essentiellen Fragen stellen sich die Darstellerinnen der LeichtSchiff Company und wählen die Form des Tanzes, der Musik, der Bewegung und der Sprache um sich diesem Thema anzunähern. Angelehnt an das Buch von Roland Barthes Fragmente einer Sprache der Liebe zerteilen sie Gesten und Emotionen in ihre kleinsten Fragmente, bis hin zur Unkenntlichkeit. Es ist dem Zuschauer kaum mehr möglich diese einzuordnen, zu klassifizieren und ihre Sinnhaftigkeit, nach der zweifelsohne gesucht wird, zu erkennen. Von einer „neuen Sprache“, einer die unberührt ist von jeglichen Einflüssen und uns Bekannten, ist in der Ankündigung zu dem Stück die Sprache. Den Schauspielerinnen der LeichtSchiff Company ist es zweifelsohne gelungen, Irritation bei den Zuschauern hervorzurufen und das Publikum war gezwungen, nachzudenken, bekannte Bilder, Stereotypen und das zu Erwartende in den Hintergrund zu rücken und den Geist und Verstand für Neues und Unbekanntes zu öffnen.

Schon beim Betreten des Raumes bietet sich einem ein anmutiges Bild. Wie Statuen sitzen zehn in weißen, reinen Kleidern, dadurch unschuldig, unbefleckt und offen für alles Kommende wirkende junge Frauen auf einem Boden, der als Bühne dient, aber eher an den Belag einer Turnhalle erinnert. Das ist auch notwendig für die folgende Tanzperformance. Schon relativ am Anfang stellt sich ein Gefühl von Nicht-Verstehen ein. Die Darstellerinnen bewegen sich atypisch. Bewegungen sind verfremdet. Kurzzeitig scheint es, als könnten bestimmte Gesten erahnt und eingeordnet werden. Doch bleibt es nur bei einem Ahnen. Assoziationen mit vertrauten Gefühlen und Situationen verflüchtigen sich genauso schnell, wie sie in einem aufblitzen. Schnell folgt auf Bekanntes ein Bruch durch unnatürliche, oft nicht menschlich erscheinende Bewegungen. Wenn überhaupt noch von Bewegungen die Rede sein kann, erinnern sie doch eher an Gebärden. Verstärkt wird dies durch Stöhnen und Ächzen. Teilweise wirken die Schauspielerinnen fremdgesteuert, nicht Herr ihrer Selbst und ihrer Gefühle. Auch wenn die Akteure immer wieder alleine für sich agieren, werden Impulse gesetzt, auf diese die Gruppe reagiert und es entsteht in manchen Sequenzen eine homogene Masse, die in Beziehung zu einander steht – auf Gesten reagiert, diese aufnimmt und letztendlich wieder verwandelt, weiterentwickelt und in einen neuen Kontext setzt. Als Zuschauer ist man lange Zeit damit beschäftigt zu verstehen und der Versuch der Kategorisierung und Einordnung ist groß. Ein großes Rätselraten beginnt. Was ist das für eine Emotion, die die Figur darstellt? Welche Situation wird gezeigt? Kenne ich diese Geste nicht? Wann verwendet man sie? Im Publikum, das überwiegend ein junges, studentisches ist, sind Fragezeichen erkennbar. Das Stück kann nicht rein kopfmäßig erfasst werden, ein Sich-darauf-Einlassen ist von Nöten. Am besten wirft man alle Erwartungen und Einordnungsversuche von Bewegungen und Emotionen über Bord und lässt sich von der Musik, die sehr experimentell und minimalistisch ist, aber auch warme und weiche Elemente enthält, dem „Tanz“ und Gesang der Gruppe leiten und mitziehen.

Erleichternd ist dabei, dass die Schauspielerinnen, das Publikum, wenn auch selten, dann aber umso intensiver direkt ansprechen und miteinbeziehen und mit ihrem Gesang und den wenigen, aber starken Worten über die Liebe und die Liebenden fesseln. Die Fragezeichen haben sich bei mir zu Ende des Stücks teils aufgelöst, so wie sich auch die Sprache und die Gesten und Bewegungen der Darstellerinnen aufgelöst haben. Das sich Einlassen auf etwas vollkommen Unbekanntes und neues war wohl auch der zentrale Punkt, des Stücks, denn schließlich sollte ja eine „neue Sprache und Ausdrucksform“ gefunden werden. Und das ist auf jeden Fall geglückt. Auch wenn es bestimmt hilfreich gewesen wäre wenn man Auszüge, Fragmente des Buchs von Roland Barthes kennt.

Fragmente einer Sprache des Lächelns

Eine Produktion der LeichtSchiff Company

R: David Eckelmann, Anelja Kasenow, Stephan Wagner

Mit: Louisa Anschütz, Lea Borchert, Sabine Ernst, Ricarda Friedrich, Karoline Hoffmann, Josefinde Mühle, Teresa Pfauder, Franziska Schmidt, Katharina Subat, Inga Tiezel

Premiere: 29. Oktober 2011, Spinnwerk


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.