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Die Spieler von She She Pop rechnen bei der Euro-Scene 2011 mit ihren Vätern und deren Testament ab

Fotos: Doro Tuch, Berlin

„Ich möchte gerne alle zur Konfliktbegrenzung aufrufen!“, unterbricht Manfred Matzke einen Akt des Feilschens, wie man ihn auf dem schönsten Mittelaltermarkt nicht erlebt. Alle rufen durcheinander, und es geht um den Preis, ja, es geht um den Preis. Jedoch nicht um den Preis für eine alte Lampe oder ein kaum gebrauchtes Sofa, es geht hier um das Vermächtnis der Väter. Wir, das Publikum, sind hier die schweigenden Richter im Kampf um die Würde der alternden Väter und den Lebensraum der Töchter. Es ist ein unterhaltsam berührender Kampf, der mir gleichermaßen Lachen und Weinen beschert, mich weich macht und in mir den Wunsch weckt, meinen Vater anzurufen.

She She Pop sind ein Performance-Kollektiv von sieben Personen, aus Berlin und Hamburg. An diesem Abend in der Schaubühne Lindenfels, im Rahmen der 21. euro-scene in Leipzig, spielen davon vier. Gemeinsam mit ihren Vätern. Gezeigt wird eine Adaptation von King Lear von William Shakespeare mit dem Titel Testament. Eine Aufrechnung des materiellen und ideologischen Vermächtnis des eigenen Vaters mit den Erwartungen desselben an ein Leben nach dem Generationswechsel.

Dafür haben Fanni Halmburger, Mieke Matzke und Ilia Papatheodorou ihre Väter auf die Bühne geholt und strafen in zwei Stunden mit viel nüchternem Witz, glitzerndem Klamauk und blauäugigem Ernst die maroden Abmachungen („Sicher, Papa, sicher pflege ich dich, wenn du alt bist, sicher kannst du bei mir einziehen.“) zwischen Generationen bittere Lügen. Johanna Freiburg spielt, doch kündigt gleich zu Beginn an, dass sie ihren Vater nicht auf die Bühne holen wird und das auch nicht tun würde. Stattdessen steckt sie in der Rolle des Mediatoren an der Flipchart: „Ich habe für euer Problem mal eine Gleichung aufgestellt.“

Was ich hervorheben möchte, ist, dass ein Liveerlebnis der Inszenierung Gold wert und nahezu unverzichtbar ist. Die Darsteller bilden einen Sog von distanzierten Humor und erfahrbarer Ehrlichkeit, dessen man sich im Publikumsraum nicht entziehen kann. So wenden sich auch die Darsteller, Töchter wie Väter, im Spiel an den Zuschauer, sehen direkt in Augen, tragen Argumente vor.

Ja, wir sind die Richter, die Töchter die Kläger, die Väter die Angeklagten. Das schmerzt und berührt beim Zusehen. Es ist geradezu magisch, wenn Ilia und Theo Papatheodorou sich in die Augen sehen und in ihre Mikrophone „Somethin’ Stupid“ singen, zart und leise. Es belustigt ungemein, zuzusehen, wie Johanna Freiburg anhand von Magneten erklärt, warum der Vater wohl kaum in die Wohnung der Tochter ziehen kann – allein die Bücherregale füllen die 150m2-Wohnung in Berlin komplett aus. King Lear bleibt obdachlos.

Vor der Vorstellung sagt eine Frau rechts von mir: „Ich habe schon so viel Theater gesehen“, und schaut ins Programm. „King Lear, wer ist das?“ Pause. „Was erwartet uns denn hier?“ Uns erwartet der König Lear in dreifacher und doch so einfacher Version. Alt, gebrechlich, und allein gelassen. Doch die Nachricht der Aufführung ist eine einfache und volle traurigschöne Hoffnung. Eine Tochter hebt das in ihren Augen schönste Zitat aus King Lear hervor. Nach der Sturmszene steht der alte gebrochene Mann vor seiner einen Tochter, die ihn aus ihrem Heim, seinem ihr vererbten Gut verstieß und Lear spricht: „so wahr ich ein Mann bin, das hier ist mein Kind, Cordelia.“ – „Das bin ich auch! Ich bin’s.“

Testament

nach She She Pop und ihre Väter, William Shakespeare

Im Rahmen der euro-scene Leipzig 2011

Mit: Johanna Freiburg, Fanni und Peter Halmburger, Mieke und Manfred Matzke, Ilia und Theo Papatheodorou

12. November 2011, Schaubühne Lindenfels


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