Betörende Bewegungen – Abschied vom Pas de deux

Choreograf Guilherme Botelho lässtbei der Euro-Scene in „Sideways rian“ dreizehn Tänzer gegen den Strom der Zeit anrennen

Foto: Jean-Yves Genoud, Genf

13 Tänzer kriechen, rollen, laufen, rennen, springen und krabbeln in höchster technischer Präzession gut eine Stunde unablässig von links nach rechts über die Bühne. Mit klassischem Tanz hat das nichts mehr zu tun, das ist Choreografie pur. Die Bühne fängt an zu flimmern, scheint sich selbst in den hochfrequenten Momenten in Bewegung zu setzen. Die Inszenierung ist loopartig gedacht, Entwicklungen kehren immer wieder an den Anfang zurück – wie Menschen in ihrem Leben immer wieder die gleichen Wege zurücklegen, immer wieder am gleichen Punkt landen. Die individuellen Zwänge, in denen sich jeder Mensch befindet, werden visualisiert. Niemand kann aus seinem Tradierungen ausbrechen, ganz gleich wie stark man dagegen anrennt. Oder doch? Der Strom des Anrennens, des Scheiterns und des Zurückkehrens wird manchmal zerstört, ein Tänzer stockt, versucht andere aufzuhalten, aber schnell werden solche Ausreißer wieder vom Kreislauf der Dinge mitgerissen.

Die elektronische Komposition von Fernando Corona tangiert sehr oft vertraute audiophile Bilder wie etwa die Musik von Pink Floyd, aber auch drückende Bässe grummeln über die Bühne. Schön, wie Choreografie und Musik zwei Folien bleiben, die Musik nur die Stimmung des Stückes transportiert, nicht aber versucht, selbst zu erzählen. Das ist gut und schafft spannende Situationen. Die Qualität der Musik bleibt aber insgesamt hinter den physischen Leistungen der Tänzer zurück.

Choreograf Guilherme Botelho kennt sich aus auf den Tanzbühnen. 1982 begann er seine Karriere als Tänzer im Ballett des Grand Théâtre de Genève. Seit der Gründung seiner Companie Alias 1993 erregt er mit modernen Tanzstücken in ganz Europa die Aufmerksamkeit des Publikums. Guilherme Botelho beherrscht sein Handwerk – vom klassischen Tanz kommend, hat er sich aber vom Pas de deux verabschiedet.

Sideways rain, 2010 in Genf uraufgeführt, war bereits bei allen wichtigen Theaterfestivals zu sehen. Ein grandioser Festivalschluss. Mit langanhaltendem Applaus geht die 21. Euro-Scene zu Ende.

Sideways rain

Gastspiel im Rahmen der Euro-Scene Leipzig 2011

Choreografie: Guilherme Botelho
Mit: Stéphanie Bayle, Philia Maillardet, Madeleine Piguet Raykov, Claire Marie Ricarte, Candide Sauvaux, Nefeli Skarmea, Fabio Bergamaschi, Erik Lobelius, Danilo Moroni, Julien Ramade, Amaury Reot, Adrian Rusmali, Christos Strinopoulos

13. November 2011, Centraltheater


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  1. Schade, dass hier weder auf die herausragende Leistung der Tänzer noch auf die Hintergründe des Stücks (nicht nur um den Strom des „einzelnen“ Leben ging es, sondern viel mehr noch um Evolution, der Mensch an sich) ausreichend eingegangen wird.

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