Hommage an Pina Bausch: Im Rahmen der Euro-Scene war auch Wim Wenders Dokumentarfilm „Pina“ zu sehen
„Ich glaube, dass einem Film ein Traum vorausgehen muss. Entweder ein regelrechter Traum, an dem man sich beim Aufwachen erinnert, oder ein Tagtraum.“ Das schrieb Wim Wenders vor 20 Jahren – in etwa zu jener Zeit als auch die Idee entstand, einen Film mit und über Pina Bausch zu machen. Die technischen Möglichkeiten aber standen diesem Traum und Wenders Anspruch, ihrem Werk gerecht zu werden, noch im Wege.
Einig waren sich die Choreografin und der Filmemacher, die eine enge Freundschaft und gegenseitige künstlerische Inspirationen verband, dass sie die Arbeiten des Wuppertaler Tanztheaters „gut aufgehoben“ wissen wollten. Keine Biografie im ursprünglichen Sinne sollte es werden, sondern ein Film über Pina Bauschs einzigartigen Blick auf ihre Tänzer.
Nichts schien für dieses Vorhaben passender als ein 3-D-Film. Doch gerade als die technischen Voraussetzungen dafür geklärt waren und das gemeinsame Projekt zum Greifen nahe war, wurde Wenders damit konfrontiert, die „Sehende“ nicht mehr bei sich zu haben. Die Dreharbeiten wären nach dem plötzlichen Tod Pina Bauschs wohl gar nicht aufgenommen worden, wären die Tänzer nicht bereit gewesen, nun ihrerseits ihren Blick auf Pina offenzulegen.
Tanz als flüchtige Kunstform in Bilder „festhalten“ zu wollen, erscheint eine Herausforderung, der Wenders erstmals mit der 3-D-Technik begegnete. Damit konnte er von der Möglichkeit Gebrauch machen, Bewegungen im Raum einzufangen und ihnen ein adäquates Medium zu bieten. Der Zuschauer wird in Pina mitten ins Geschehen – auf die Bühne – geholt, nimmt durch die Kamera teilweise den Blick der Tänzer ein, wodurch eine Nähe geschaffen wird, die im Film und im Theater normalerweise verwehrt bleibt. Außergewöhnlich lange Kameraeinstellungen und langsame Kamerafahrten intensivieren diesen Eindruck.
In seiner Herangehensweise folgt Wim Wenders dem wohl bekanntesten Ausspruch Pina Bauschs: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt.“ Indem er den Tänzern vor jedem Dreh Fragen stellt, begegnet er ihnen auf ebenso respektvolle und unaufdringliche Weise wie Pina es getan hatte. Somit schaffen sie gemeinsam Raum, ihren Gefühlen, ihrem Umgang mit dem Verlust ihrer Choreografin verbal als auch tänzerisch Ausdruck zu verleihen.
Neben den bekannten Stücken Kontakthof, Café Müller, Vollmond und Le Sacre du printemps ist es die Suche nach Antworten, die den Film mit Geschichten füllt: Durch das, was sie sagen – mehr noch durch ihre Tänze. An den Stellen, in denen Interviews eingespielt werden, wird deutlich: Die Worte sind es nicht, die hier im Vordergrund stehen. Die meisten von ihnen erinnern Pina Bausch als eher wortkarge Person, die es schaffte, mit einem Satz alles zu sagen, was nötig war. Lutz Förster beschreibt, wie sie einmal nach einer schwierigen Probe vor der Aufführung in seine Kabine kam. Mit den wenigen Worten „Mach’s schön, Lutzi. Und vergiss nicht, ich muss Angst vor dir haben“, ließ sie ihn auf die Bühne gehen und damit war klar, in welche Richtung sein Tanz gehen sollte. Es sind die kleinen Details in diesem Film, in denen seine Aussagekraft liegt. In allen Interviews wird trotz ihrer Kürze deutlich, wie sehr Pina Bausch fehlt, als Choreografin und als Mensch, die ihre Tänzer oft besser verstanden hat, als sie diese? sich selbst. Der Tanz hingegen eröffnet noch einmal einen ganz neuen Horizont für eine andere Sprache. Wenders Film schafft auf seine Art, den Choreografien zu begegnen, einen sehr persönlichen Zugang zum Vokabular dieser Künstlerin, die mit ihrer Arbeit etablierte Strukturen der Tanz- und Theaterwelt erschüttert hat.
„Für Pina“ sind hier alle Arbeiten der 33 Tänzer ihres Ensembles – in jedem wohnt noch der Geist der großen Choreografin, hat sich die besondere Art der Ästhetik in die Körper der Tänzer eingeschrieben.
So sehen wir beispielsweise eine Tänzerin, die mit sehr schlichten Mitteln ein eindrucksvolles Bild schafft: Sie befindet sich draußen auf einer Grünfläche, Stühle sind in einer Reihe aufgestellt, sie nimmt Anlauf – in einem Doppelschritt ein Fuß auf die Sitzfläche, den anderen auf die Lehne aufgestellt um durch den Schwung nach vorn zu kippen. Wenders schafft es hier, den Moment vor dem Fallen einzufangen, diese Energie spürbar werden zu lassen.
Wenn die Tänzerin danach erklärt, dass sie mit diesem Tanz „Leichtigkeit“ für Pina schaffen wollte, bekommen wir doch eine Ahnung, wer diese Frau gewesen sein könnte, die unerlässlich verstand, die Bewegungen ihrer Tänzer zu deuten.
Es ist in erster Linie die Verbundenheit des Ensembles mit ihr, die diesen Film trägt – Pina Bauschs Arbeit selbst lässt sich als „Suchen“ und „Umgang des Nicht-Findens“ charakterisieren. Essentielle Themen sind es, die sie bewegen: Immer wieder werden in ihren Stücken Motive wie Sehnsucht, Angst, Hass, Liebe verarbeitet. Ein Tanz der Humanität, der sich nicht gescheut hat, vor dem Tanzen selbst zu kapitulieren – auch im Scheitern sein Potenzial fand. Wenn im Film auch eine direkte Auseinandersetzung mit der Arbeit Pina Bauschs zu vermissen ist, ihre Themen und Arbeitsschwerpunkte nur am Rande Erwähnung finden, so lässt sich diese Tatsache in einem zweiten Blick vielleicht als Wenders Achtung deuten, sich eben diese Qualität ihrer Arbeit zu eigen zu machen. Hier ist mit Sicherheit kein Porträt entstanden, das Eindeutigkeit anbieten würde – im Gegenteil findet sich auch in Wenders Film eine Betonung des Unbewussten, Elemente von Wiederholung und Rückblenden, die keinem genauen dramaturgischen Verlauf zu folgen scheinen.
Immerzu wird deutlich, wie es schon der Untertitel verrät: Es ist „Ein Film für PINA BAUSCH von WIM WENDERS“. So ist er – ganz in der Handschrift Wenders – durchgehend mit eindringlicher und ergreifender Musik unterlegt. Den Tänzen und der Intention hätte es jedoch sicherlich geholfen, das Sehen noch deutlicher in den Fokus zu stellen: So lenkt der Soundtrack oft ab, nimmt den Bildern die Chance, schon für sich laut und eindringlich zu sein. Einzelne Szenen wirken überladen, was dadurch verstärkt wird, dass sich auch Wenders dem von ihm selbst so bezeichneten „Geisterbahneffekt“ des 3D teilweise nicht entziehen konnte. So werden beispielsweise die Fotos der Tanzpaare aus Café Müller derart herangezoomt und in Farbe getaucht, dass die Szene als reine technische Spielerei erscheint.
Im Gegensatz dazu ist eine simple Überblendung bemerkenswert: Über die für den Film gedrehten Sequenzen aus Cafe Müller werden für wenige Sekunden Archivaufnahmen gelegt, in denen die Choreografin selbst als Tänzerin zu sehen ist. Hier schafft es Wenders, das Fehlen Pina Bauschs ebenso zu zeigen wie ihre immanente Präsenz unter den Tänzern und am Wuppertaler Tanztheater. Somit ist ein zeitloses Dokument über ihr Wirken und ihren Einfluss geschaffen worden. Wenders Film kann – gerade weil er so kurz nach Pinas Tod gedreht wurde – kaum anders denn als Hommage gelesen werden: als Trauerarbeit, Denkmal und Liebeserklärung des Ensembles an ihre Choreografin.
Pina
Ein Film von Wim Wenders
Im Rahmen der Euro-Scene Leipzig 2011
Regie: Wim Wenders, Choreografien: Pina Bausch, Kamera: Hélène Louvart
Mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
10. November 2011, Passage Kinos
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