Unmittelbar vor Weihnachten verkündet die Oper Leipzig: Chefregisseur Peter Konwitschny schmeißt zum Ende des Jahres hin
Leipzigs (Hoch-)Kultur kommt nicht zur Ruhe. Wo Kurt Masur als Gewandhauskapellmeister Anfang der 1990er Jahre das traditionsreiche Orchester erfolgreich in die Nachwendezeit führte und wo Udo Zimmermann auf der anderen Seite des Augustus-Platzes der Oper Leipzig überregionale Bedeutung verschaffte, herrscht heute ein kopfloses Durcheinander, eine schlechte Nachricht jagt die nächste.
Nach dem Qualität erhaltenden Intermezzo von Herbert Blomstedt als Gewandhauskapellmeister trat im September 2005 der damals international auftretende Riccardo Chailly in dieses traditionsreiche und bedeutende Amt, und er wurde gleichzeitig Generalmusikdirektor der Stadt Leipzig, ein Amt, das davor jahrzehntelang vakant war. Chaillys Ambitionen in Richtung Oper – das Gewandhausorchester bespielt traditionell das Gewandhaus und die Oper – verflüchtigten sich nach der miserablen von Chailly verantworteten und mit viel Aufwand erkauften Inszenierung von Verdis Ballo in Maschera in 2006. Generalmusikdirektor wollte Chailly bald nicht mehr sein.
Der Nachfolger von Udo Zimmermann, Henri Maier, trat 2001 sein Amt als Intendant an. Glück- und visionslos wurde er im Sommer 2007 beurlaubt, obwohl sein Vertrag 2006 erst bis 2011 verlängert worden war. Einen Intendant bei vollen Bezügen vier Jahre zu beurlauben – welche deutsche Großstadt kann und will sich sowas leisten? Alexander von Maravić tritt nun auf den Plan, zuerst Verwaltungsdirektor und seit dem Abgang Maiers kommissarischer Intendant. 2008 zieht er ein Kaninchen aus dem Hut: Peter Konwitschny, der zuvor die Opernhäuser in Hamburg und Graz an die Spitzen der Feuilletons geführt hat, wird Chefregisseur des Hauses. Dass Konwitschny streitbar ist und sein will, muss man eigentlich nicht betonen. Riccardo Chailly ist not amused, fühlt sich übergangen und konzentriert sich fortan ausschließlich auf das von seinem historischen Ruf zehrende Gewandhausorchester und deren Konzerte. Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt, eigentlich muss man sagen, dass die Kommunikation zwischen Gewandhaus und Oper seitdem nicht mehr stattfindet.
Mit der Spielzeit 2009/10 betritt der nächste Protagonist die Bühne, Ulf Schirmer – künstlerischer Leiter des Münchner Rundfunkorchesters und Professor an der Musikhochschule Hamburg wird Generalmusikdirektor. Bald übernimmt er auch das Amt des Intendanten, Alexander von Maravic verschwindet kommentarlos von der Bildfläche. Schon damals fragte man sich, wie sich ein jetzt fester Intendant mit der Position des Chefregisseurs Konwitschny verträgt. Die Frage beantwortet eine Pressemitteilung der Oper Leipzig vom 23. Dezember 2011: „Die Oper Leipzig gibt bekannt, dass ihr Chefregisseur Peter Konwitschny auf eigenen Wunsch überraschend zum 31.12.2011 um Vertragsauflösung gebeten hat. Diesem Wunsch wird entsprochen. Intendant Prof. Ulf Schirmer dankt Herrn Konwitschny für ein langjähriges Schaffen für die Leipziger Oper und eine Vielzahl von außergewöhnlichen und aufregenden Theaterabenden.“ Es macht sicher keinen Sinn, die Auf- und Rücktritte, die Rausschmisse numerisch zu fassen (zwischendurch hat man ja noch die erst einige Jahre amtierende Pressechefin Frau Dr. Villinger fristlos entfernt), was bestürzt, ist allein die katastrophale Tendenz dieser Politik. Personen werden geholt und verschwinden im Jahrestakt, für künstlerische Inhalte ist in diesem Karussell keine Zeit!
Das ist ja schließlich alles Geschichte, werden die Ungeduldigen sagen, der Blick nach hinten bringt doch nichts! Okay, wagen wir den Versuch, nach vorn zu schauen. Wo steht die Oper Leipzig, was sind die künstlerischen Visionen des Intendanten, wo soll die Reise hingehen? „Rückkehr zum Repertoiretheater“ und „Wiederheranführung des Leipziger Publikums an die Oper“ sind zwei von Schirmer kommunizierte Botschaften. Beide Botschaften grenzen das bisher Geleistete aus. Wenn man das Publikum wieder heranführen will, muss es ja mal weggegangen sein, und wenn man wieder auf Repertoire setzen will, muss dieses ja vorher verschwunden sein. Besonders Letzteres ist totaler Unsinn und jeder kann per Studium der Spielpläne zu dieser Erkenntnis leicht selbst kommen. Die erste Botschaft ist da noch ein Stück perfider, sie unterstellt, dass die bisher Verantwortlichen das Publikum irgendwie verprellt haben. Beide Botschaften zielen also wieder in die Vergangenheit und unser Vorsatz, in die Zukunft zu schauen, kann leider nicht aufgehen. Also schauen wir doch gezwungenermaßen wieder zurück.
Henri Maiers Amtsantritt 2001 war auch ein politischer, die Ära Zimmermann, die künstlerisch für die Politik zu viele Reibung erzeugte, sollte zu Grabe getragen werden. Henri Maier sollte das Publikum wieder an die Oper heranführen. Maier scheiterte grandios, nicht nur künstlerisch, auch in den Augen der Politik, die ihn erst protegierte und dann mit einem Fußtritt ins Abseits beförderte. Die Reflexe im Jahre 2011 scheinen die gleichen zu sein. Mit Ulf Schirmer wird ein Intendant installiert, der die Ziele verfolgen soll, die man 2001 auch Henri Maier mit ins Amt legte. Wie soll sich das mit Peter Konwitschny, dem erklärten Avantgardisten und Förderer von zeitgenössischem Musikschaffen, vertragen? Klar, Konwitschny hat gerade im Augenblick wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, das kommt zum Rücktritt hinzu, doch was zählt, ist die Tendenz, die die Leipziger (Hoch-)Kultur und Kulturpolitik einschlagen.
Gegen die schwindende Relevanz des klassischen Opern- und Konzertbetriebes versucht man seit 2001 mit historischen Modellen anzukämpfen. Große Namen werden bemüht, etwa der diesjährige aufwendige Beethoven-Zyklus des Gewandhausorchesters in diesem Jahr oder die geplante Aufführung von Wagneropern im Jubiläumsjahr 2013. Wo führt das hin und warum fragt sich niemand, ob nicht gerade diese historischen Rezepte dazu geführt haben, dass die Oper Leipzig im Dauerbeschuss der Politik steht, da die Auslastungszahlen miserabel sind? Dieser Dauerbeschuss ist in diesem Sinne nicht unberechtigt, doch sich von der Politik die Lösungen vorgeben zu lassen, ist nicht gerechtfertigt und hat im Falle Henri Maier ja schon mal in den Abgrund geführt. Geschadet hat das zuallererst der Kultur selbst und man kann dem neuen Intendanten nicht laut genug zurufen, sich vor den Verlockungen des kurzfristigen Auffrischens der Besucherzahlen durch ein paar historische Opern zu hüten. Ideen müssen her, die sich ausschließlich mit der Zukunft beschäftigen, Ideen, die der Oper Leipzig wieder ein Profil geben, um so im grenzenlosen Angebot der heutigen Zeit bestehen zu können.
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