Dritte Welt sucks

Baris Tangobay rüttelt mit „The real fucking Benefiz“ am Gewissen der Theatergänger

Fotos: R.Arnold/Centraltheater

Die Tür des Spinnwerks öffnet sich, und es strömt der warme, angenehme Geruch von Essen heraus, direkt in die Nasen der Zuschauer. So manch einem mag in diesem Moment vielleicht schon der Magen knurren, immerhin ist es Abendessenszeit. Mit diesem sinnlichen Eindruck beginnt im Spinnwerk das Stück The real fucking Benefiz. Eine Spendengala soll es werden, so heißt es in der Vorankündigung. Und da ein Großteil der Einnahmen der Kartenverkäufe an die gemeinnützige Organisation your siblings geht, ist jeder Besucher auch irgendwie Teil davon. Die eigentliche Gala findet allerdings auf der Bühne statt.

Ein großer Tisch, reich gedeckt und mit goldenen Christbaumkugeln geschmückt, steht auf der Bühne. Diese selbst ist an drei Seiten mit meterweise Frischhaltefolie begrenzt, so dass die „Wände“ nicht nur den Glanz der Scheinwerfer spiegeln, und alles noch pompöser wirken lassen, sondern auch einen Blick hinter die Bühne erlauben. Und da wird schnell klar, woher der anfangs erwähnte Geruch stammt: Außerhalb der Bühne ist ein Buffet aufgebaut. Ein Mann, der wohl zu einem Cateringservice gehört, bereitet dort Essen zu. Auch auf der Bühne wird gewerkelt, eine Frau im Abendkleid lässt von ihrem Butler den imaginären Weihnachtsbaum schmücken und gibt stetig Anweisungen. Begleitet wird das Ganze von beschwingter Weihnachtsmusik.

Die Rahmenhandlung des Stückes ist schnell erzählt: Eine Frau im Abendkleid, die Gräfin nämlich, hat zur Weihnachtsspendengala mit anschließendem Dinner geladen. Das Einwerfen der Schecks in die große goldene Kiste scheint dabei nur Selbstzweck zu sein, denn die Gäste überbieten sich gegenseitig und lassen sich feiern. Das ist ganz witzig gemacht, doch zwischen gelegentlichen Lachern kommt man auch um das ein oder andere Augenrollen nicht herum. Denn die „großzügigen“ Spender in ihren feinen Anzügen und Kleidern kommen mit ihrem Verhalten so klischeehaft daher, dass die Inszenierung zum oberflächlichen Finger-Zeig-Stück zu werden droht. Die bösen Wohlhabenden werden verteufelt, über einen Kamm geschoren und alle wohltätigen Handlungen und guten Taten dienen nur der Aufmerksamkeitserzeugung. So scheint es.

Die reichen Freunde sitzen mal am Tisch und essen, mal wird ausgelassen getanzt. Ihre Gespräche kreisen um Geld, Hunger und soziale Ungleichheit, und sie stellen schnell fest, dass die Afrikaner den Hunger auf ihrem Kontinent selbst verursachen. Schuld daran sind deren Unlust zu arbeiten und vor allem ihre Dummheit, mit eigenen Ressourcen umzugehen. So reden sie vor sich hin und kauen jeden Stereotyp einmal durch. Einer der weiblichen Gäste lässt sich von Butler Sam – Überraschung – ihr Adoptivkind bringen, welches sie großherzig von ihrer Reise in den Südsudan mitbrachte. Alle bewundern es einmal kurz und schnell wird es wieder zur Haushälterin Huanita gebracht. Doch egal, wie vorausschaubar die Handlung ist, die Aussagen, welche getroffen werden, sind auf den Punkt gebracht und zeigen den Missstand in der Welt deutlich. Immer wieder wird das glamouröse Fest eingefroren und einer der Darsteller tritt aus seiner Rolle heraus. Es folgen Monologe über die Ausbeutung der Dritten Welt, Ernährungsgewohnheiten und Umweltverschmutzung. Die Erkenntnisse, die daraus folgen sind nicht neu, treffen den Zuschauer aber trotzdem immer wieder. Aussagen wie „Wir müssen der Dritten Welt nicht mehr geben, sondern ihr weniger stehlen“ und „Piraterie vor den Küsten Afrikas ist kein Akt der Aggression, sondern Notwehr“ bringen es erschütternd genau auf den Punkt.

Bei all dem liegt noch immer die ganze Zeit der Geruch von frisch zubereitetem Essen in der Luft, verursacht Schuldgefühle. Nachdem mittlerweile schon eine ganze Menge des Essens in der großen roten Tonne hinter der Bühne gelandet ist (die Aussage dahinter ist klar, Essen tatsächlich wegzuwerfen jedoch äußerst fraglich), wird der nächste Gang serviert und lässt das Geschehen auf eine groteske Ebene steigen. In einer silbernen Schale liegt, aufgeweicht in Nudelsuppe, eine dunkelhäutige Babypuppe. Erst vorsichtig, dann immer exzessiver saugt eine der Darstellerinnen an der triefenden Stoffpuppe. Immer heftiger beißt sie hinein, stopft sich Nudeln in den Mund und stöhnt: „Ohhrr lecker!“ Wenn sie dann dasteht, das rote Abendkleid voller Suppe, das Haar strähnig und nass, kommt es einem vor, als hätte sich der Geruch verändert. War er vorher noch angenehm, so erinnert er von nun an Erbrochenes. Als wäre nichts gewesen, tanzen die Gräfin und ihre Gäste daraufhin wieder ausgelassen, und singen zur Melodie von „Jingle bell Rock“ den Text „Dritte Welt sucks“. Einen Spaß kann man sich ja auch mal erlauben.

Nach dem Stück folgt ausgiebiges Klatschen, natürlich. Einigen scheint es so gut gefallen zu haben, dass sie sich sogar von ihren Stühlen erheben. Doch anstatt der gewohnten Applausordnung zu folgen, ergreift einer der Darsteller noch einmal das Wort. Er sagt, die Zuschauer sollen aufhören zu klatschen. Er wirft ihnen vor, dass ja nun ihr Gewissen beruhigt sei, die Schuldigen seien gefunden (und auf der Bühne ausgestellt), alle Feindbilder bedient, so dass die eigene Verantwortung in reines Gewissen aufgelöst wird. Wir sind aus dem Spiel, immerhin sind wir ja an diesem Abend anwesend. Und genau da erwischt es den Zuschauer kalt. Die Klischeebilder, über deren plumpe, polemische Konstruktion man während der Aufführung sicherlich das eine oder andere Mal distanziert die Nase gerümpft hat, erscheinen plötzlich in einem anderen Licht. Das Stück selbst verliert seine Aussagefunktion und wird zu einem Prozess der Hinführung, zu einem bloßen Mittel. Als ginge es von Anfang an nur um diese letzte, äußert provozierende Ansprache. Und mit dieser soll dem Publikum deutlich vor Augen geführt werden: Jeder ist schuldig, doch jeder kann auch etwas ändern.

The real fucking Benefiz

R: Baris Tangobay

Premiere: 16. Dezember 2011, Spinnwerk


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