Unkonventionelle Körperbilder nah am Wahn-Sinn

Die Choreografen Britta Wirthmüller und Hermann Heisig bestreiten Performance-Doppel in der Schaubühne Lindenfels

„United States“ (Fotos: Damir Zizic)

Gleich zwei junge Choreografen der Leipziger Tanz- und Performancelandschaft sind am 14.Januar 2012 mit voneinander unabhängigen Inszenierungen in der Schaubühne Lindenfels zu sehen – wer die Namen: Britta Wirthmüller und Hermann Heisig im Programmzettel liest, kann davon ausgehen, dass gewohnte Körperbilder hinterfragt, andere hingegen erzeugt werden und dies nicht nur den Akteuren auf der Bühne einiges abverlangt.

Auf den Punkt gebracht

In ihren Arbeiten schafft Britta Wirthmüller auf sehr präzise und greifbare Weise eine Auseinandersetzung mit unkonventionellen Körperbildern. Zusammen mit Petra Zanki hat sie in ihrer letzen Arbeit Vierfüßer Ebenen der Fortbewegung durcheinander gebracht – implizit stellt sich da immer die Frage nach unserem Bild von Menschlichkeit und dessen vermeintlichen Wert. (Vierfüßer)

An diesem Abend steht sie allein auf der Bühne. Mit kissing Elisabeth geht sie einen weiteren Schritt in die gewohnte Richtung, aber dieses Mal hat sie noch etwas anderes dabei: Text. Eine Geschichte als Rahmen der Performance, was inmitten des sonst oft so nonverbalen Tanzes schon beherzt verstörend anmutet. Wir werden Zeugen der Gedankenwelt eines jungen Mädchens – wie sie vor einem Hauseingang steht, ihr gegenüber einige Jungs und Männer, die sie in Augenschein genommen haben.

Die Geschichte beginnt mit der Beschreibung der Szenerie – eine ältere Frauenstimme aus dem Off begleitet den Tanz einer Performerin, die sich entschlossen hat, graden Rückens uns entgegen zu blicken: Knie durchgestreckt. Ihr Schatten als Vergrößerung ihrer selbst wie eine zweite Gestalt auf der Rückwand des Raumes.

Ihr Tanz ist ein leichtes Wanken. Bewegungsdetails, wie ein kaum merkliches Schulterzucken entwickeln sich sehr zögerlich. Ihr Mund öffnet sich minimal und schließt sich gleich wieder – streng kontrolliert. Bis sich ihre Stimme selbst erhebt und nichts mehr passieren wird als die Erzählung von: kissing Elisabeth

Britta Wirthmüller lässt uns an ein Spiel aus unsere Kindheit erinnern: „Ich packe meinen Koffer“. Mit dem Mittel der Wiederholung von Bausteinen, dem Aneinanderreihen der unterschiedlichen Aussagen schafft sie diese Geschichte, gibt ihr ein Gedächtnis und eine Verwirrung, die entsteht, je weiter sie voranschreitet.

Die Stärke dieses eindeutigen Bildes: Ein Körper – ein Satz. Auf den Punkt gebracht.

Die Ent-Leerung des Sinns

Hermann Heisig hat sich in Zusammenarbeit mit der Tänzerin und Choreografin Elpida Orfanidou in einen phantastischen Raum begeben. Kaum lässt sich die Science-Fiction-artige Landschaft beschreiben, die hier kreiert und von Lichtdesignerin Sandra Blatterer in die anmutige Atmosphäre eines braun-goldenen Schimmers gehüllt wird. Allein die Objekte auf der Bühne ergeben schon ein Bild des Nicht-Begreifbaren. Wir sehen einen Karton, zwei Stäbe, ein Gebilde, das ganz entfernt der Form eines Zeltes nahekommt und aus Fuchsfell zu bestehen scheint, zudem ein einzelner solcher Fuchsschwanz, eine goldene Isofolie, die als Wolke von der Decke hängt. Die Bewegungen der beiden kommen der Verstörung nur gerade recht, sodass die Szenerie nur umso weniger an Aussagekraft gewinnen soll. Das allein ergibt schon ein Bild des Nicht-Begreifbaren – durch die Regungen der beiden soll es umso weniger an Aussage gewinnen.

Der Ausdruck ihrer Bewegungen wandelt sich langsam – durch eine Veränderung im Winkel eines Handgelenkes oder starke Gesichtsausdrücke, die oft sprunghaft in anderem Licht erscheinen, lässt die Choreografie keinen eindeutiges Wesen erkennen. Die Wirkung der beiden Tänzer entwickelt sich zwischen grotesker Mimik, bedrohlichen Gebärden und komischer Leichtigkeit.

Besondere Hervorhebung sollte zunächst die Körperlichkeit von Elpida Orfanidou erfahren, die mit einem Facettenreichtum gekennzeichnet ist, in dem die Übergänge zwischen einzelnen Ausdrucksweisen durch die größte Genauigkeit so fließend entstehen, als wären sie dem Spiel schon immer immanent gewesen. Wie sie auf der Bühne steht, ihre Hände zu Fäusten geballt – der Blick ebenso paralysiert wie klar, finster und manisch – entwickelt sie daraus eine Choreografie, in deren Verlauf die einzelnen Körperteile bald schon als voneinander unabhängig, abgetrennt in Erscheinung treten. Mal ist es nur ein Bein, das sie anhebt und auf dem plötzlich der Fokus liegt, dann wieder erscheinen die Finger ihrer gestreckten Hand als autarke Organismen.

Die Auflösung eines runden Zusammenhangs von Körper, Geist, Raum und Zeit ist vielleicht das, was sich hier andeutet, wenn die Objekte im Raum auf einmal zur Verlängerung der Körper werden: Herman Heisig hat sich einem der Stäbe angenommen, den er vor sein Auge hält, als würden sie schon immer zusammengehören. Er verschwindet unter dem Zelt-Gebilde und scheint vollständig in den Aktionen aufzugehen, die er in diesem einen Moment vollzieht.

Die Beziehung der beiden wirkt ebenso unklar, wie alle anderen Bewegungen, die einer Interaktion voraus gegangen sind. Sie scheinen sich wahrzunehmen, dann wieder nicht, sich anzuziehen und abzustoßen, grausam und zärtlich zu einander zu sein – ob sie sich überhaupt (wieder-)erkennen sei dahin gestellt.

Wenn sie in der Schlussszene des Stückes schließlich allem Überfluss zum Trotz noch fürchterlich zu Zittern anfangen – auf den Boden hockend, aneinander sich stützend und wieder umfallend, liegt das vielleicht genau zwischen dem Wahn – Sinn, der hier ausgebrochen ist, und einer noch möglichen Interpretation der Verletzlichkeit des Körpers, die sich hier ankündigt. Ganz unversehrt verlässt hier wahrscheinlich niemand diesen Saal.

Alles wirkt in seinem Arrangement so austauschbar, dass die Perfektion dieser Zufälligkeit einen mit einer Heftigkeit trifft, die sich nach dem Applaus mitunter in einem befreienden Lachanfall verwandeln kann (diese Erfahrung trifft jedenfalls für die Autorin zu).

Es scheint, als wären ihre Körper vom Geist ganz abgelöst – nicht sicher ist, welche andere Kraft sie ihre Bewegungen ausüben lässt. Wenn Hermann Heisig schließlich krummen Rückens über die Bühne hüpft, ist wirklich jeder Interpretationsansatz unterlaufen. Die Erzeugung von Beliebigkeit wird mit einer Konsequenz über die Bühne gebracht, dass sie kaum zu fassen ist.

Was auch immer es genau mit den „Bastard-Zuständen“ auf sich hat, denen sich laut Programmheft diese Arbeit widmet, und warum man eine Auseinandersetzung mit vermeidlichen Themen wie „fehlgeschlagen“, im weitesten Sinne „miss-“geboren oder -platziert zu sein, ausgerechnet in das Setting eines futuristischen Ortes verlagern muss, bleibt fraglich.

Gelungen sind die Bilder, die hier entstanden sind. Fast scheint es, als wäre diese Choreografie eine Entwicklung, deren einzelne Etappen aus nichts anderem als sehr ausdrucksstarken Gemälden bestehen, die wir nur nicht festhalten können. Natürlich wird die Frage nach dem Sinn hier bis zu Letzt nicht aufgelöst und es bleibt eine Zumutung, zu unterstellen, dass sie zuallererst gestellt wurde.

Nicht allein, dass sich etwas so – jenseits irgendeines Anhaltspunktes oder einer fassbaren Dramaturgie der Bewertung nahezu entzieht: Wie lässt sich Derartiges überhaupt in verbale Sprache übersetzen?

Darüber lässt sich nur kapitulieren, die tänzerische Qualität der beiden Performer ergründen und loben, oder es bedingungslos an sich vorbei ziehen lassen. Und schließlich lässt sich auch darüber sehr glücklich sein, dass nichts (k-)einen Sinn haben muss.

Performance-Doppel

Kissing Elisabeth

Konzept, Text, Performance: Britta Wirthmüller

United States

Konzept, Performance: Hermann Heisig, Elpida Orfanidou

Sound, Dramaturgie: Gérald Kurdian

Premiere: 13. Januar 2012, Schaubühne Lindenfels


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