Matthew Herbert gastiert mit seiner Performance „One Pig“ im Centraltheater
Nicht viele internationale Musiker haben einen Song mit dem Titel „Leipzig“ im Repertoire. Matthew Herbert schon. Kein Wunder, dass er hier mit Begeisterung empfangen wird. Nach dem gefeierten Big-Band-Konzert vor drei Jahren erwartete die Besucher mit One Pig diesmal jedoch etwas ganz anderes: Konzeptkunst. Wohlgemerkt solche, die einen großen Theatersaal füllt. Mit seiner Ode an das Schwein versucht Herbert sich wertfrei und musikalisch mit Tierzucht und Fleischessen auseinanderzusetzten. Man könnte das Ergebnis „nerdiges Soundgefrickel“ nennen, wenn es nicht eine düster-schöne Klangcollage über das Leben und Sterben eines Schweins wäre.
Die Versuchsanordnung: Wie bringt man ein Schwein auf die Bühne? Zuerst begleitete der Brite ein Schwein aus der Grafschaft Kent ein Leben lang mit dem Aufnahmegerät – ein kurzes Leben von wenigen Monaten zugegeben. Dabei sammelte, analysierte und sampelte er die Sounds des namenlosen Versuchsobjektes. Genau diese Sammlung von Geräuschfetzen wird mit einem elektromechanischen, selbstentwickelten Instrument nun bei den Konzerten eingespielt. Der Spieler des Schweins steht dabei in einer Art Gehege, umspannt mit Seilen wie ein Boxring. Die Konstruktion ist mit einem Laptop verbunden und so werden durch ziehen und reißen an den Schnüren Schwingungen und damit Sounds generiert. Dazu kommen noch vier weitere Musiker, darunter Herbert. Die fünf Herren auf der Bühne spielen die Lebensgeschichte chronologisch mit ihren elektrischen Beats und Melodien nach. Am Anfang ist es beispielsweise still und dunkel im Saal bis das Rascheln von Stroh hörbar wird. So erforschen die Musiker nach und nach, in ihren weißen Kitteln den Klangraum Stall.
Bereits 2005 veröffentlichte Herbert mit Plat du Jour ein Album zum Thema Nahrungsmittel, also noch vor dem Boom der Tiernamen-Bands (Hipster-Kenner und „n+1“ Gründer Mark Greiff nannte bei seiner Lesung Anfang Februar in der Spinnerei: Animale Collective, Grizzly Bear und Wolf Parade) und Bestsellern zum Thema: Tiere essen oder nicht essen (u.a. Jonathan Safran Foe und Karen Duve). Doch der Abend ist keine Wohlfühlveranstaltung für Biosupermarktkunden. Für die Beatsektion beispielsweise experimentierte Herbert mit Schweineknochen als Drumsticks und Schweinehaut als Trommelbespannung. Am Ende des nichtfiktionalen Stoffes wird live Schweinefleisch gekocht. Hier trifft populär-kulturelle Kochshow auf alte Erzähltraditionen von Tieropfern und Wiedergeburt, in diesem Fall als schmackhaftes Fleisch.
So durchzieht der Duft von asiatischen Essen im letzten Drittel des Abends den Saal und nach dem der Vorhang fällt, stürzt sich die erste Reihe auf’s Essen. Im Gegensatz zur Performance der New Yorker Band The Tender Buttons, die letzten Juli eine Klang- und Geruchsshow zu Gertude Stein in der Schaubühne inszenierten, war hier das Kochen kein Lückenfüller, sondern essentieller Bestandteil. Man ist hingerissen zwischen Appetit und Abneigung. Die Künstler selbst lassen das Mahl unangetastet. Wer noch Appetit auf ein wenig „Beef“ zu One Pig hat, dem sei Matthew Herberts Website empfohlen, wo er die Vorwürfe von Peta (Deutschland) archiviert.
Matthew Herbert
One Pig Live Tour
5. Februar 2012Centraltheater
www.matthewherbert.com
“Plat du Jour”, kostenloses Albumstreaming
The Tender Buttons: Videoausschnitt der Show in der Schaubühne
„n+1“ Magazin vom amerikanischen Essayist und Herausgeber Mark Greif
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