Flucht in Richtung Paradies

Christiane Pohle inszeniert Georg Kaisers erstes Werk „Von morgens bis mitternachts“

Birgit Unterweger (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Er ist ein ganz normaler Mann, der namenlose Kassierer in der Bank. In seinem gefängnisartigen Kassenhäuschen geht er nüchtern den täglichen Finanzgeschäften nach, ohne der Anziehungskraft des Geldes zu verfallen. Eigentlich. In Georg Kaisers Von morgens bis mitternachts soll der Namenlose allerdings auf so manche Abwege geraten, Geld rauben, und schließlich seinen Tod finden. Das vor 100 Jahren zum ersten Mal aufgeführte Stück nimmt sich nun Christiane Pohle als Vorlage und inszeniert das Drama im aktuellen Kontext. Der Saal des Centraltheaters ist gut gefüllt, es ist Premiere. Und auch das Bühnenbild verspricht jede Menge Aktion. Eine Konstruktion aus Pressspanplatten bildet eine große Rampe, die einige Sitzreihen ins Publikum hineinragt. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich: Die Platten bilden ein großes Kreuz, auf dem die Schauspieler ihre Wege bestreiten. Passend dazu, könnte man meinen, gleicht die Geschichte des Kassierers einer Passion.

Von morgens bis mitternachts ist Georg Kaisers erstes Werk. Die Handlung des expressionistischen Stückes ist in verschiedene Stationen aufgeteilt, daher auch die Bezeichnung als Stationendrama. In Christiane Pohles Inszenierung durchläuft der Kassierer, eindringlich gespielt von Guido Lambrecht, nur einen Tag, eben von morgens bis mitternachts. Die Aneinanderreihung der Geschehnisse kommt dabei allerdings so wüst und unzusammenhängend daher, dass es dem Zuschauer nicht leicht gemacht wird, der Handlung zu folgen. In den über zwei Stunden Laufzeit scheint sich kein Höhepunkt zu entwickeln, auch die Figuren bleiben an einem Punkt stecken.

Zenzi Huber

Alles beginnt mit einer geheimnisvollen Frau aus Italien (Birgit Unterweger in verschiedenen Rollen), deren Finanzgeschäfte vom Bankdirektor angezweifelt werden. Darum auch verweigert er ihr die Auszahlung der geforderten 3.000 Mark. Die Frau verlässt schließlich mittellos die Bank, hinterlässt aber einen bleibenden Eindruck beim Kassierer, so dass dieser sich mit vollem Körpereinsatz und mithilfe eines Stuhls aus seiner Kabine und damit aus seinem tristen Leben befreit. Selbst geschockt von seiner Tat packt er rasch Geldbündel – 60.000 Mark – in zwei Plastiktüten und flieht. Was nun folgt sind Szenen, deren Handlungsort oft nur zu erahnen ist. Alsbald findet man sich in einem grotesken Familienszenario wieder, in dem die puppenhaft gekleidete Tochter Richard Wagners Tannenhäuser Ouvertüre auf dem Klavier klimpert. Die Gespräche über das Gespielte wiederholen sich immer wieder und drehen sich im Kreis, bis sie schließlich ihren Höhepunkt in wildem Geschrei finden. Überhaupt ist das Stück so sehr mit ermüdenden Textwiederholungen gespickt, dass das Zuhören stellenweise zur quälenden Prozedur wird.

Auf seiner Flucht trifft der Kassierer auf verschiedene Menschen und begegnet diesen aggressiv und rücksichtlos. Ob auf der Rennstrecke oder im Bordell, alles artet in ein wildes Geld-um-sich-werfen aus und Menschen schreien nach Sekt und Kaviar. Neben der Handlung des Stückes, die keinen roten Faden erkennen lässt, werden außerdem immer wieder biographische Szenen aus dem Leben Georg Kaisers eingestreut. So z.B. ein Telefonat mit dem Verleger Kiepenheuer, welches auf die ewigen Honorarverhandlungen Kaisers anspielt. Auch auf der Rückseite eines Gemäldes ist das Portrait Georg Kaisers zu sehen.

Eben erwähntes Gemälde wird in Von morgens bis mitternachts zum Objekt der Begierde. Der Sohn der geheimnisvollen Italienerin ist Kunstliebhaber und Sammler. Narzisstisch und brutal tritt er allen entgegen, die ihm etwas verweigern. So auch seiner Mutter, die das Geld für das Gemälde, aufgrund der Probleme mit der Bank, nicht aufbringen kann. Da es sich dabei um einen echten Cranach handelt, Adam und Eva im Paradies nämlich, ist diese Summe auch nicht gerade gering. Die Abrechnung mit dem Jungen, vielleicht sogar mit der Kunst an sich, lässt auch nicht lange auf sich warten: kratzt die Frau erst nur über das Gemälde, spuckt sie bald darauf, zerreißt es, popelt in der Nase und schmiert ihren Finger daraufhin am Bild ab. Zum krönenden Abschluss zieht sie auch noch ihren Slip beiseite und pinkelt auf Adam und Eva.

Nach einer Reihe teils gewaltsamer, teils grotesker Szenerien, taucht das biblische Paar schließlich Fleisch geworden auf der Bühne auf. Eine Frau, welche der Kassierer eben noch in einem Anfall von Raserei fast vergewaltigt hat, entledigt sich ihrer Sachen. Der Kassierer tut es ihr gleich. Am Ende stehen sich zwei Bilder gegenüber: der erste, reine Mensch, und der Mensch, der keine Zeit mehr hat zum Menschsein. Begleitet von ironischen Halleluja-Rufen wird über die Macht sinniert, die Geld auf uns hat. Geld verhüllt das Echte, heißt es da. Doch ein Zurück gibt es nicht mehr, so die Aussage. Adam wendet sich von seiner nackten Eva ab, geht zurück in das Kassiererhäuschen und erschießt sich. Die Rückkehr ins viel gelobte Paradies ist eben keine Option.

Von morgens bis mitternachts

R: Christiane Pohle

Mit: Mareike Beykirch, Günther Harder, Carolin Haupt, Zenzi Huber, Matthias Hummitzsch, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Birgit Unterweger

Premiere: 9. Febrauar 2012, Centraltheater



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