Balsam für geschundene Sozialarbeiterinnen

Stephan Thiel zeigt mit „Kaspar Häuser Meer“ im Lofft den Arbeitsalltag beim Jugendamt

Fotos: Christiane Hercher

24. Februar 2012: Nach der Aufführung findet im Rahmen der Lofft-WG ein Austausch zwischen der Theatergruppe um Regisseur Stephan Thiel und dem Publikum statt. Es wird schnell klar, dass die Aufführung nicht nur unterhaltsam sowie witzig war – das war einerseits natürlich erhofft, andererseits angekündigt – sondern auch authentisch. Dies versichern die Amtspersonen unter den Zuschauern mit großer Begeisterung: „Ich hatte das Gefühl ihr habt eine Kamera in unserem Büro installiert!“ Andere Berufsgruppen stellen interessiert Fragen und so entwickelt sich das Gespräch zu dem zweiten, diesmal informativen, Teil des Abends.

Zuvor fand ein rasantes und ebenso energiegeladenes Schauspiel statt. Die Kraft dazu kam allein aus den drei Schauspielerinnen selbst: Kaum Requisiten und die Bühne ganz in Weiß gaben eine Leinwand, welche sie ausdauern bespielten und somit ausmalten. Zwar waren sie jeweils Grau in Grau gekleidet. Auffallend waren sie trotzdem jeweils durch eine bestimmte Farbnuance: Die Unermüdliche mit den roten und die Depressive mit den gelben Strumpfhosen sowie die junge Engagierte mit der lila Bluse. Dieser ästhetische Reiz war erfrischend anzusehen und wunderbar gelungen, verband aber keine inhaltliche Aussage.

Diese lässt sich jedoch einerseits mit der kurzen Phrase „Wie es auf dem Sozialamt zugeht“ zusammenfassen oder unter der endlosen Reihe: Verwahrloste Teeküche, von Kollegen hinterlassene Aktenberge, Stress, Stressregulation und Verspotten von Stressregulation, Rückenschmerzen, Sticheleien und Vorwürfe untereinander …, summieren.

Den inhaltliche Rahmen geben immer wieder die einzelnen Fälle der Klienten: Die sozialen Randgruppen und Asozialen. Werden die blauen Flecken der Kinder oder Berichtfragmente wie „Erbrochenes muss vom Erbrecher aufgegessen werden“ erwähnt, setzt sofort eine bedrückende Stille ein – sowohl im Spiel selbst als auch gegenüber unter dem Publikum. Durch den nächsten Telefonanruf genauso schnell wieder unterbrochen, geht es sofort weiter. Eine kurze Erholung ist dem Publikum nur in den meditativen Sekunden gegönnt, wenn die Bühnenstrahler ausgehen, lautes Ticken der Uhr ertönt und ruckartig die Neonröhren im Hintergrund angehen: Morgenstimmung im Büro.

Der schwarze Humor, die markanten Rollen, die nebensächlichen Kleinspiele und das allgemeine Übereinander der Inhalte machen Spaß und lassen die neunzig Minuten ohne Pause nicht lang werden. Kern der Inszenierung – und gleichzeitig Kern meiner Kritik – ist die Sprache: Eine ununterbrochene Mischung aus Beamtenformalismus, der karikierten Klientensprache und den nicht zu Ende gesprochen Sätzen der alltäglichen Kommunikation. Im Nachhinein schienen sich alle einige, dass diese Mischung den Erfolg des Stücks ausmacht: Thiel verweist darauf, eine Zuschauerin stimmt ihm bei, weitere nicken eifrig den Kopf. Ich selbst war jedoch nicht die gesamte Zeit davon begeistert. Zwar machte dieser schnelle Wechsel von Ausdrucksformen Spaß. Denn es war eine Herausforderung an den Zuschauern, auch wenn ungleich mehr an die Schauspieler selbst. Doch wirkte eine Reihung von drei, vier Sätzen, in denen jeweils genau das letzte Wort fehlte, eben doch unnatürlich und oft einfach nur aufgesagt. Dann war es eben nicht der angestrebte natürliche Sprachgebrauch sondern dessen platte Imitation.

Das Stück thematisiert, was oft vergessen wird: Das Sozialamt wird von Menschen geführt. Wenn man dem Amt „Vernachlässigung der Vernachlässigung“, wie es zum Schluss so schön heißt, vorwirft, dann wirft man dies auch immer echten Menschen vor. Und diese Menschen leiden nicht ohne Grund unter Überarbeitung, Freecell-Sucht, Depression und Burn-Out. Diese Gründe zu zeigen war das Anliegen. Da es als Komödie angelegt ist, wird die Ernsthaftigkeit dessen stark geschmälert. Es ist aber derselbe Grund, warum man das Stück nicht nach dieser bewerten kann.

Kaspar Häuser Meer

R: Stephan Thiel

Mit: Tilla Kratochwil, Nadja Petri, Gabi Völsch

Premiere: 24. Februar 2012, Lofft


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