Der Aufstand der Alten

Utopieerweiterung: Lotte de Beer verlegt Leoš Janáčeks Alterswerk „Das schlaue Füchslein“ ins Altenheim

Fotos: Andreas Birkigt / Oper Leipzig

Das werden sich die Alten nicht gefallen lassen: Die junge Regisseurin Lotte de Beer versucht mit ihrer Sicht auf Leoš Janáčeks Alterswerk Das schlaue Füchslein die Utopie des Stückes zu erweitern. Wo Janáček bewusst das Märchenhafte von sprechenden Tieren, einer Fabelwelt, die sich mit der zynischen Welt der Erwachsenen vermischt nicht verlässt, geht de Beer weiter und thematisiert das Altwerden.

Das schlaue Füchslein ist im Originalplot ein von Menschenhand erzogenes eingesperrtes Geschöpf, das sich schließlich losreißt, um zu seinen Wurzeln, der Natur zurückzukehren. In dieser Rückkehr erlebt es die bisher nie erlebte Liebe – im Großen und Ganzen eine romantische Sicht und Verklärung von Natürlichkeit. Diese Ebene der Geschichte lebt musikalisch von einem utopischen Naturlaut, die Glücksmomente, die das Füchslein erlebt, verklären sich in einer satten Naturlyrik.

Ganz anders gibt sich die menschlich zynische Ebene des Stückes: Förster, Schulmeister und Pfarrer, drei Männer in der Mitte ihres Lebens. Ihre Sehnsüchte werden in einer alternden Senilität gezeigt. Klar, junge Mädchen stehen da ganz hoch im Kurs, die Füchsin dient im Stück als Klammer der beiden Ebenen. Der Förster hat sie als junges Tier gefangen, in Besitz genommen und nach seinem Willen geformt – leider, und hier liegt der Konflikt dieses Stückes, geht diese Geschichte nicht auf, da die Füchsin dieses Leben eben satt hat und den alternden Förster mit seinen ungelösten Sehnsüchten zurück lässt. Das ist ein subtiles Konstrukt was sich Leoš Janáček da am Ende seines (musikalischen) Lebens ausgedacht hat, da Oper von einfachen Botschaften lebt, von möglichst wenigen klaren Charakteren, ist dieser sehr artifizielle Plot für jedes Inszenierungsteam eine große Herausforderung.

Das Team in Leipzig um Lotte de Beer wagt viel: Die gesamte Oper wird ins Altersheim verlegt, die Füchsin ist eine alte Dame, die sich in ihre Kindheit zurückträumt, eine Kindheit der Natürlichkeit, des Waldes und der Tiere. De Beer fügt der Utopie des Stückes somit eine neue Ebene hinzu, die Beziehung von Füchsin und ihrem Liebhaber stellt sie dabei in den Mittelpunkt. De Beer über die Geschichte ihrer eigenen Großeltern: „Ihnen ist es über 60 Jahre lang gelungen, ihre Liebe lebendig zu halten. Von dieser Schönheit möchte ich erzählen.“ De Beer kann erzählen und zusammen mit ihrer Bühnen- und Kostümbildnerin Marouscha Levy ihre Sicht überzeugend auf die Bühne bringen. Eine sehr subjektive Sicht auf das Stück und wie immer lösen solche Versuche kontroverse Reaktionen aus. In Momenten, wo sich durch die Überschneidung des Librettos mit dem Regieansatz spontan komische Situationen ergeben, kann man viel Heiterkeit im Publikum und die umso deutlichere Ablehnung des Teils des Publikums, die mit dem heutigen Abend sehr unzufrieden sind, erleben. Da zieht sich ein sehr deutlicher Graben durch die Generationen. Entsetzen bei den Alten, dass man hier auch noch lachen kann. Wenn an Oper nicht nur das schöne Tönchen interessieren soll, sondern Oper das Leben verändern soll, wie Peter Konwitschny, einer der Mentoren von Lotte de Beer mal polemisch in einem Interview gesagt hat, liegt die junge Regisseurin mit ihrer Inszenierung richtig.

Um es aber endlich zu sagen: Diese Inszenierung geht nicht auf. Die durch Leoš Janáček in ein subtiles Gleichgewicht gebrachte Konstruktion aus Traum und Utopie, aus Zynismus und Altersweisheit wird zum Einsturz gebracht. Die Spannung zwischen der Ebene der Tiere und der Ebene der Menschen geht verloren und damit auch die Spannung zwischen den beiden musikalischen Ebenen. Leoš Janáčeks Suche nach dem musikalischen Natur-Zauber geht verloren, wenn zum Beispiel Fuchs und Füchsin ihre Hochzeit in einem Krankenhausbett liegend verbringen. Gerade diese Szene, die Hochzeit gerät in der heutigen Inszenierung in einen völlig anderen und sehr subjektiven Kontext.

Es überrascht sehr, mit welcher sängerischen Sicherheit sich die drei (Haupt)-Solisten des Abends – Eun Yee You als Füchsin, Kathrin Göring als Fuchs und Tuomas Pursio als Förster – in der Welt des Alters bewegen. Auch mimisch und tänzerisch leisten alle Sänger, der Opernchor und der Kinderchor Überzeugendes. Die Musiker auf der Bühne und im Graben folgen de Beers Regieansatz bereitwillig. Dieser Punkt rettet wohl dann auch die heutige Premiere. So überwiegen die begeisterten Äußerungen des Publikums und können die energischen Unmutsäußerungen des älteren Publikums deutlich überdecken. Das ältere Publikum ist verärgert, es nimmt der jungen de Beer einfach nicht ab, dass sie das Altwerden würdigen möchte. Die Älteren lesen es genau anders herum, das hat auch viel mit Ästhetik zu tun. Krankenbetten, stupide Altenzimmer und Rollatoren lösen ästhetisch vor allem bei älteren Menschen keine positiven Gefühle aus, vielleicht liegt es wirklich sehr am visuellen, das de Beers sehr nachvollziehbarer Ansatz nicht aufgeht. Die artifizielle Musik prallt ab an der Welt der Altersheime. Die Alten wollen sich diese Sicht auf Janáčeks nicht gefallen lassen. Das war schon fast ein Aufstand, der da heute geprobt wurde.

Leoš Janáček: Das schlaue Füchslein / Príhody lisky bystrousky

Oper in drei Akten

Text vom Komponisten, nach der Erzählung »Liska Bystrouska« von Rudolf Tesnohlıdek
Musikalische Leitung: Matthias Foremny

Inszenierung: Lotte de Beer

Choreografische Mitarbeit: Heike Hennig

Bühne, Kostüme: Marouscha Levy

Choreinstudierung: Alessandro Zuppardo

Einstudierung Kinderchor: Sophie Bauer

Dramaturgie: Christian Geltinger

Chor und Kinderchor der Oper Leipzig

Gewandhausorchester Leipzig

Premiere: 25. Februar 2012, Oper Leipzig


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