Man rennt und rennt und das Glück rennt hinterher

Mit „Tod eines Handlungsreisenden“ ist das Theater der Jungen Welt am Puls der Zeit

Fotos: Tom Schulze

Wer hart arbeitet, dem ist der berufliche Erfolg sicher. Mit Fleiß und Engagement wird die Karriereleiter erklommen, immer weiter aufwärts: Der amerikanische Traum. Auch Willy Loman träumt von ihm und will teilhaben am wirtschaftlichen Erfolg und dem „American Way of Live“. Doch auch nach 34 Jahren, die er als Handlungsreisender auf den Straßen von Neu England verbracht hat, ist kein Aufstieg in Sicht. Doch der Niedergang ist zum Greifen nah.

Mit dem Drama Tod eines Handlungsreisenden, vom us-amerikanischen Autor Arthur Miller, der für das Werk mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, bringt Jürgen Zielinski ein Stück über elementare und zeitlose Themen, wie das Streben nach sozialer Anerkennung und beruflichem Erfolg, auf die Bühne.

Während die Zuschauer den Saal betreten, befinden sich die Schauspieler schon auf der Bühne und machen sich bereit für die Aufführung. Die Aufnahmeleiterin (Elisabeth Fues) rennt aufgeregt von links nach rechts und prüft ob alles an seinem Platz ist. Nachdem sie alle Schauspieler unter Kontrolle gebracht hat und Günter Schoßböcks Gesangseinlage unterbinden konnte, beginnt das Stück mit nahtlosem Übergang. Schoßböck springt in den sich auf der Bühne befindlichen Wagen. Auf einer Leinwand wird gezeigt, wie er die schicken Vorstädte Neu-Englands durchquert, bis er wieder zu Hause ankommt.

Die ganze Familie ist versammelt, im noch nicht abbezahlten Haus, das eingepfercht zwischen Wohnblöcken steht. Vera Koch hat hierfür eine, von einem Lattenzaun umrahmte, waghalsige Treppenkonstruktion erdacht, die die Stimmung des Stücks perfekt einfängt.

Zwar überprüft die Aufnahmeleiterin zu Beginn, mit vorsichtigen Schritten, die Stabilität des Gerüsts, doch ein mulmiges Gefühl bleibt, wenn die Schauspieler die Treppen auf und ablaufen und sich auf die Geländer stützen. Diese Wirkung wird auf das Spiel um den Niedergang des Handlungsreisenden übertragen, welches von selbst zweifelnder Unsicherheit, aber auch halsbrecherischem Größenwahn gezeichnet ist.

Biff (Sven Reese) ist zu Besuch bei seinen Eltern Willy (Günter Schoßböck) und Linda (Babette Winter) und seinem Bruder Happy (Martin Klemm). Der Konflikt ist vorprogrammiert, denn Biff, auf den Willy früher alle seine Hoffnungen gesetzt hatte, zieht als Saisonarbeiter durchs Land. Sein Bruder Happy hat nur eine unbedeutende Stelle als Assistent und wird von seinem Vater oft nicht einmal wahrgenommen. Zwar versucht Biff, durch Zureden seiner Mutter, ein Geschäft in der Stadt auf zu bauen, doch braucht er für dieses Vorhaben Startkapital. Wie sein Vater, fällt auch Biff auf die Lügen der modernen Marktwirtschaft herein. So hat Willy nicht einmal die Möglichkeit all seine verpassten Sehnsüchte nach Glück und Wohlstand durch seine Söhne zu verwirklichen. Es bleibt ihm nur die Flucht in Tagträume, in denen Willy sein verstorbener Bruder erscheint, der als Diamantensucher in Alaska ein vermögen gemacht hatte und das Schwelgen in der Vergangenheit, als Biff noch der Star der Footballmannschaft war. Damals schien das Familienidyll perfekt. Die junge, liebende Ehefrau umsorgt ihren Mann und die Kinder wetteifern um die Anerkennung des Vaters.

Diese Wechsel von Gegenwart zu Fantasie, zu Rückblick sind bei dieser Inszenierung besonders spannend. Das liegt nicht zuletzt an der Leistung der Schauspieler, die die Lebensläufe ihrer Rollen scheinbar vollkommen verinnerlicht haben. Die Charaktere werden durch die Einblicke in die Vergangenheit immer ersichtlicher und ihre Handlungen in der Gegenwart werden durchgehend verständlicher. So unterstützt Linda Loman seit jeher ihren Mann und muss nun als Mittlerin zwischen ihm und ihren Kindern auftreten. Wohingegen Biffs Zuneigung zu seinem Vater durch einen Ereignis in der Vergangenheit einen jähes Ende nahm.

Die Spannung zwischen Größenwahn und Unsicherheit, von Zuversicht und Resignation wird von den Darstellern perfekt ausgehalten, bis es am Ende nicht mehr möglich ist und sie sich entladen muss. Immer wieder beschäftigt Willy die Frage, wie man es schafft erfolgreich zu werden. Wieso funktioniert es bei ihm nicht? Wie haben es aber sein Nachbar und dessen Sohn geschafft? Willy ist innerlich zerfressen von seinem Hader zwischen Selbstzweifel und selbstbetrügerischer Zuversicht. Man möchte auf die Bühne laufen, ihn wachrütteln und ihn aus seinen Illusionen stoßen, so überzeugend zeigt uns Günter Schoßböck den von inneren Konflikten gebeutelten Handlungsreisenden.

Nach der zwanzigminütigen Umbaupause, erscheint das Bühnenbild aus einer anderen Perspektive, nämlich so, als würde man von hinten auf die Bühne schauen. Doch für Willy birgt dies auch keine Besserung. Er scheint perspektivlos, denn die Vergangenheit holt ihn immer weiter ein, bis zu dem Tag, als Biff das Vertrauen zu ihm verliert. Der Vater-Sohn- Konflikt wird immer stärker. Das gesponnene Lügennetz kann die Realität nicht mehr von Willy fern halten.

Tod eines Handlungsreisenden

R: Jürgen Zielinski

Mit: Günther Schoßböck, Babette Winter, Sven Reese, Martin Klemm, Moritz Gabriel, Susann Krämer, Reinhart Riemann, Gösta Bornschein, Chris Lopatta, Anke Stoppa, Alicja Rosinski, Elisabeth Fues, Cynthia Friedrichs, Susann Fiedler

Premiere: 1. März 2012, Theater der Jungen Welt


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