Lach- und Sachgeschichten im Zeichen der Maus

Clemens Meyers erste Sendung „Stallgespräche – Die Sendung mit der Maus oder In the Heart of Darkness“ feiert am Centraltheater einen respektablen Einstand

Clemens Meyer, links (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Als historischen Moment bezeichnete der Autor des Romans Als wir träumten diesen Abend schon bevor selbiger überhaupt richtig begonnen hatte. Man möchte Clemens Meyer wünschen, dass er damit recht behält. Nach der Inszenierung von Als wir träumten und Clemens Meyer: Der Traum von Hollywood, betritt der Schriftsteller erstmals selbst die Bühne des Leipziger Centraltheaters. Das neue Rede- und Showformat beginnt in dramaturgisch durchdachter Manier. Nachdem sich der Nebel gelichtet hat, sieht man auf einer Leinwand eine Maus eingeblendet, die an einem Käse nagt, der auf einer klassischen Mäusefalle liegt. Zu dieser Einblendung gibt eine Stimme aus dem Off (Andreas Keller) die verschiedensten Bedeutungen des Wortes Maus zum Besten. Von der Bezeichnung des Tiers reicht die Spannbreite des Wortes bis zu einem Fahrzeug der Wehrmacht, das ebenfalls den Namen „Maus“ trägt.

An einem Tisch, der auf der linken Seite der Bühne steht, sitzen Hanna Werth, Benjamin Lillie und Raimund Widra, die mit Mausohrmützen und schwarz geschminkter Nasenspitze Texte vorlesen, die sich ebenfalls mit dem Thema „Maus“ beschäftigen. Da ist die Rede von einer Danger-Mouse oder von einer Maus, die in Europa umgeht. Die Stimme aus dem Off unterbricht an manchen Stellen den Lesevortrag und erzählt ihrerseits eine Geschichte, die, wie könnte es anders sein, von einer Maus handelt, die sich mit dem Problem „Katze“ konfrontiert sieht.

Als Höhepunkt dieser Vermausung betritt der Autor und neuer Showmaster, eine Mickey-Mouse-Maske tragend, zu den Klängen des Titelliedes der Sendung mit der Maus die Bühne. Er nimmt an einem Schreibtisch Platz, der dem Tisch der drei Mäuse gegenübersteht, und beginnt im schönsten Erklärton zu berichten, um wen es sich bei den drei Nagetieren handelt: „Das ist Uwe. Der Uwe ist ein Nazi. Klingt komisch, ist aber so.“ Unter allgemeinem Gelächter, sogar Oberbürgermeister Burkhardt Jung ist unter den vergleichsweise wenigen Zuschauern, stellt sich die Mäusegruppe als die Zwickauer Terrorzelle um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos heraus. Das Würfelspiel, was sie spielen, nennt der Autor „Progromolie“.

Zu diesen Lach- und Sachgeschichten mit aktuellem Bezug beginnt der Berliner Maler Fabian Fogge ein Bild zu malen, das am Ende der Sendung ebenfalls eine Maus zeigt. Mit den kritischen Tönen des Autors, der Deutschland als das Land der Mäuse bezeichnet und fragt, wer in hundert Jahren noch Goethes Gedicht „Wanderes Nachtlied“ kennt, endet die Inszenierung und der Talk beginnt. Dieser erweist sich zu Beginn als ein Monolog allgemeiner Erschütterung des Gastgebers über die Vorgänge, die sich in der Stadt zwei Tage zuvor abgespielt haben. In ironisch-sarkastischer Weise belustigt er sich und das Publikum über die noch nicht geklärten Umstände des Amokalarm, der in der International School ausgelöst wurde. Er habe fast die Sendung absagen und die ganze Gage von 2000 Euro spenden wollen, so erschüttert sei er über die Vorfälle.

Genauso erschüttert, wie über die Vorfälle in der Könneritzstraße 47, sei er auch und vor allem über eine Maus, die sich in seiner Wohnung eingenistet hat und die er nicht in Lage sei einzufangen. Was folgt, sind die Präsentationen verschiedenster Mäusefallen und deren nicht immer zufriedenstellende Funktionsweise.

Was wäre eine solche Show aber ohne Gesprächsgäste? Zu diesem Zweck berichte Clemens Meyer von dem eingeladenen Zoodirektor Jörg Junhold, dessen Namen er allerdings erst beim Publikum erfragen muss. Dieser habe sein angekündigtes Kommen abgesagt, weil er Simone Thomalla bei einer Privatführung durch das neue Bingobongo-Land (so witzelt Meyer über die Affinität der Leipziger allem einen lächerlichen Namen zu geben) des Leipziger Zoos führen müsse – für den Talk-Master ein Grund nicht mehr in den Zoo zu gehen.

Gäste gab es dann aber doch. Das Highlight dieses Trash-Talks war unumstritten Judy Fox. Diese Mäuseexpertin, die das Standard-Werk der Mäuseliteratur (Mäuse und Rennmäuse 2007) verfasst hat, ist über ein Handy (sie befindet sich zur Zeit der Show in Gießen) dieser Sendung zugeschaltet. In ausufernden monologischen Passagen deklamiert Judy Fox über ihre Begeisterung für die Nagetiere. Clemens Meyer muss immer wieder die sich vor Lachen krümmenden Zuschauer bändigen. Judy Fox vergleicht die Widerstandsfähigkeit der Mäuse, die wohl auch einen Atomschlag überleben könnten, mit den Leipziger Bürgern, die 1989 auf die Straße gingen.

Die nächste Gesprächspartnerin, die Biomedizinerin Caroline Möller, war in persona anwesend und unterhielt sich mit einem zunehmend die Zeit vergessenden Moderator über Grundlagenforschung an Labornagern. In fast obsessiver Manie ritt Clemens Meyer auf dem Begriff der Stammzellen herum, ohne dass ihm die souverän wirkende Wissenschaftlerin eine zufriedenstellende Antwort geben konnte. Und weil wir einmal beim Reiten sind: Bei dem angekündigten Theaterpferd handelt es sich um das real existierende Rennpferd Allgäuprincess, das anteilig dem Theater, Clemens Meyer selbst und anderen Eignern gehört. Wer will kann es von Mai bis Oktober bei den Rennen auf der Leipziger Pferderennbahn bestaunen. Der Einspieler, der das Pferd in seinem Stall vorstellt, ist akustisch eine Katastrophe. Zwischen den dort geäußerten Lallworten, kann man nur unter größter Anstrengung etwas Sinnvolles herauslauschen.

Musikalisch wurde der Abend vom Johann Strauß Chor Leipzig unter der Leitung von Eric Schober begleitet. Die ungewöhnlichen Interpretationen von Moonriver, Johann Strauß` Leichtes Blut, Schenkt man sich Rosen aus Triol und den Engelschoral aus Bunbury verleihen dem Ausstattungsstück einen Charakter, der gekonnt zwischen Varietee und Kitsch dahintänzelt.

Zum krönenden Abschluss der Premiere verfolgt der Zuschauer die Showeinlagen des Mäusezirkus von Gerald Rupert. Man sieht Mäuse über Seile laufen, durch einen brennenden Reifen „springen“ und die Todesleiter hinaufklettern. Der übermotivierte Hang des Dompteurs witzig wirken zu wollen, passt gut zum trashigen Naturell dieser „Erstausstrahlung“.

Clemens Meyer erweist sich an diesem Abend als großartiger Entertainer, der sich vor manchen dieser Branche nicht zu verstecken braucht und das vermutlich auch nicht tun würde. Er zeigt viel, schießt aber an manchen Stellen über das Ziel hinaus und verrennt sich an einigen Stellen in der Vielfalt des Themas. Das nimmt man ihm aber nicht übel, zumal es sich um einen ersten Versuch dieses Formats handelt. Seine Rechtfertigungen sind charmant und zaubern ein Schmunzeln auf die Gesichter des Publikums. Ebenso bewirkt die mitunter nicht zu kaschierende Unsicherheit des Bier und Schnaps trinkenden Moderators mitnichten einen Qualitätsverlust. Das Chaotische und Desorientierte fügt sich wunderbar in das Kolorit dieser reichen Darbietung, von deren Weiterführung (nächste Sendung im Mai) nun viel erwartet werden wird. Was mit der Ankündigung, dass im Anschluss Lieblingsmusik für alle stattfinden sollte, gemeint war, entzieht sich der Kenntnis des Autors dieses Textes. Gesucht hat dieser, fand aber keinen Anhaltspunkt. Prost und weiter so Herr Meyer!

Stallgespräche

Mit Clemens Meyer

Premiere: 2. März 2012, Centraltheater


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