Die Premiere von Nick Caves „Mörderballaden“ in der Leipziger Oper setzt sich mit einer uralten und doch aktuellen menschlichen Tragödie auseinander. Eine starke, sinnverwöhnende Aufführung
Kaum ein Thema ist in der Kunst so beliebt wie das des Mordes. Nichts ist moralisch verwerflicher, nichts juristisch fataler, als ein Menschenleben zu beenden. Schon in der Bibel geschieht zum Anbeginn der Menschheitsgeschichte ein Brudermord. Selbst im Hort der Familie kommt es also zu dieser Tat, deren Motive vielfältig sind. Kaltblütig können sie sein, von langer Hand geplant. Im juristischen Fachjargon nennt sich das dann Heimtücke. Morde können aber auch aus anderen Motiven wie Eifersucht, Besitzsucht oder sexuellen Begierden geschehen. Der Song „Where the Wild Roses Grow“, gesungen von Kylie Minogue und geschrieben vom australischen Songwriter Nick Cave, erzählt davon. Sein Musikalbum Murder Ballades wurde nun in ein gleichnamiges Opernstück eingebettet, welches seine Premiere am vergangenen Freitagabend feierte.
Zwar ist nicht Kylie Minogue selbst, dafür aber das Leipziger Ballett in Hochform auf der Bühne vertreten. Die Tänzer bewegen sich zu Beginn langsam und konzentriert vor schaurig-schöner Anfangskulisse aus heruntergelassenen Leinwänden, auf denen die Motive eines mystischen Märchenwaldes projiziert sind. Sie schwingen die Äxte und werden hinterrücks überfallen. Die Leinwände fahren hoch, und das Bühnenbild wandelt sich stetig. So erscheinen Gitarristen, gekleidet wie Sargträger, während eine Geschichte über Lügen und Verrat erzählt wird. Nach einer sanften Ballade schlägt die Stimmung um, Männer mit nacktem Oberkörper kämpfen gegeneinander, buhlen, werden unter Bühnenplatten beerdigt.
Im Wassergraben nah an der ersten Zuschauerreihe wälzen sich die in unschuldig weißen Kostümen gekleideten Tänzerinnen, das Thema von „Wild Roses“ kommt im Spiel mit dem flüssigen Element immer wieder zur Sprache.
Hinzu kommt der überdimensionierte Revolver, den die Tänzerin richtend hin und her schwingt – ein tödliches Phallussymbol, welches den Zuschauer das Gefühl nicht loswerden lässt, dass das Thema Mord nicht in bitterernster, sondern in beschwingt-augenzwinkernder Weise angegangen wird. Ballettdirektor Mario Schröder äußert sich im Programmheft eindeutig dazu: „Mord und Totschlag werden ironisch-verkehrend gezeigt. – Ein Mörderrevue auf der Bühne, die auch zum Schmunzeln einlädt.“
In ihrer lockeren, tänzerisch perfekt choreographierten Dynamik wirken die Brutalitäten darüber hinaus beklemmend und ästhetisch zugleich. So wird auch der Ehekrieg mit schrecklichem Ende dargestellt. Mann und Frau interagieren mit einer Matratze, er wirft sie darauf, mit animalischer Härte. Ein weiteres symbolhaftes Spiel ist der Versuch einer jungen Frau, sich von einem Kubus, an den sie gekettet ist, zu befreien.
Das Ballett von Mario Schröder besteht aus höchst geschickten und trainierten Männern und Frauen, die im tobenden Zusammenspiel das Morbide an den Zuschauer herantragen. Das Bühnenbild ist in seiner Wechselhaftigkeit hoch fantasievoll. Gut auch die konzentriert kurze Länge von 90 Minuten.
Mit Mörderballaden ist dem Leipziger Opernhaus eine das Auge und das Ohr verwöhnende Aufführung über ein dunkles Thema des menschlichen Lebens gelungen, ohne in die überdrüssige Melancholie zu flüchten.
Mörderballaden
Ballett von Mario Schröder
Mit dem Ballett Leipzig zur Musik von Nick Cave
Premiere: 9. März 2012, Oper Leipzig, weitere Vorstellungen: 23. März, 5./20./29. April
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