Überholte Protestkultur meets Geflügelgroßkonzern

Die Punk-Opera „Schlachthöfe“ des Spinnwerks stößt ins Horn allgemeiner Pseudokritik bestehender Verhältnisse

Fotos: R. Arnold/Centraltheater

In unseren „krisengeschüttelten“ Zeiten scheint es einer modischen Notwendigkeit zu entsprechen, sich zu empören. Es geht die Sage vom Wutbürger um, der sein Joch nicht mehr bereit sei zu tragen, es aber dennoch tut; noch im Widerstand das System bestätigend. Wenn Nietzsche in Bezug auf die Verfallssymptome des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bemerkte, dass es nicht ausreicht gegen den Verfall Krieg zu führen, dann kann man ihm nur zustimmen. Denn was als Mittel für das Heraustreten aus der Krise angenommen wird, ist nur wieder Ausdruck der Krise selbst. Diese fatale Kreisbewegung trifft auf die Punk-Opera des Spinnwerkes in gleichem Maße zu, wie es in allgemeinerer Form auf unser Jetzt übertragen werden kann. Jeder blindwütende Protest gegen die vermeintliche Übermacht einer Autorität, tradiert in letzter Konsequenz die irrtümlich angenommene Norm der Kleinheit des Individuums.

Das Ensemble des Stücks teilt sich in oben und unten, in Arm und Reich, in Ohnmacht und Macht. Die Oberen, alle tätig in der Geflügelbranche, sitzen den Großteil des Stückes, weiße Handtücher um die Lenden gelegt, in einer Sauna und handeln ihre gefiederten Güter. Einer von ihnen ist der Geflügelkönig Mauler (Alexander Friebel), der zu Beginn des Stücks von seinen Börsenfreunden die Empfehlung bekommt, die Finger vom Fleisch zu lassen, weil die Marktlage nicht günstig sei. Er will daraufhin die Anteile seiner Firma an seinen Kompagnon verkaufen und gibt vor die massenhafte Tötung der Hühner nicht mehr ertragen zu können. Sein Partner willigt in dieses Angebot ein. Allerdings will er im Gegenzug, dass Mauler den Konkurrenten der Firma bankrott gehen lässt, was dann auch passiert. Überhaupt werden alle Entscheidungen im Nebel der Sauna, in einer der Welt entrückten Sphäre getroffen, ohne nur den geringsten Bezug zur Tatsächlichkeit herzustellen. Abstrakt werden abstrakte Sachverhalte verhandelt, die Auswirkungen auf eine breite Masse haben. Die Folge von solchen infantilen Gedankenspielchen ist die Arbeitslosigkeit des Arbeiter, die nun von einem Trio (Antje Renhak, Natalia Steckel, Baris Tangobar) der Leipziger Tische e.V. mit warmem Essen versorgt werden, denn es ist Winter. Die Bühne ist mit weißem Konfetti übersät. Die winterliche Atmosphäre, im Verbund mit dem von Johnny Cash gesungenen „little drummerboy“, suggeriert die Kälte des sozialen Klimas einer auf Profit gegründeten Welt. Das Trio um Johanna (Antje Renhak), der Brechtschen Hauptfigur, die in dieser adaptierten Version nur selten in den Mittelpunkt tritt, versucht die Arbeiter aus ihrer Agonie herauszulocken, was ihnen nicht gelingt, da diese „nur“ daran denken wollen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Die größtenteils pubertär-naiven Versuche der Protagonisten, die man sich als arbeitslose Sozialpädagogen vorstellen kann, die Arbeiter gegen ihre Bosse aufzuwiegeln, wirken authentisch bis zu einem beinahe unerträglichen Grad alltäglicher Banalität. Ihre Nächstenliebe könnte messianischer nicht sein.

Die Figur des romantisch verklärten, übermotiviert agierenden Idealisten (Baris Tangobay) erzwingt ein verzehrendes Mitleid gegenüber soviel utopischer Heroik, die zum Scheitern verurteilt ist. Allerdings bemerkt dieser Heros der Leichtgläubigkeit sehr treffend, dass Arbeitslosigkeit die Chance birgt, die Welt zu verändern. Man habe endlich Zeit, sich den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen. Diese ironisch anmutende Idee ist brillant. Arbeitslosigkeit ist als solche kein Verlust mehr, sondern ein Gewinn. Mit einer solchen Argumentation sollte man bei der Agentur für Arbeit vorstellig werden.

Mauler, der alles und jeden gegeneinander ausspielt, um an sein Ziel zu gelangen, ist der Mittelpunkt des bearbeiteten Stückes von Gabriela Gillert. Zusammen mit seinem mephistophelischen Erfüllungsgehilfen und zynischen Entertainer Slift (Christoph Sommerfeldt) ist er in der Lage, noch aus den aussichtslosesten Situationen den größtmöglichen Gewinn zu schlagen. Sogar die Leipziger Tische e.V. werden unterstützt. In dem Glauben, man wolle den Wohltätern wahrhaftig helfen, bröckeln die Ideale der Protestler zu Beginn noch. In einem phänomenalen Fotoshoot-Akt – das durch einen Ventilator aufgescheuchte Konfetti der Bühne fliegt wild durch den Raum, Natalia Steckel posiert lasziv mit einem Geflügelwürstchen für die Kampagne des Konzerns – werden die Absichten einer rücksichtslosen Maschinerie sichtbar, der man allerdings zu Gute halten muss, dass sie immer weiß, wie sie sich am Leben erhalten kann.

Aber der Idealist durchschaut am Ende die Machenschaften und schreit die Betrüger aus dem Saal. Es geht nur um Macht, stellt er resignierend fest. Wäre hingegen diese Erkenntnis nicht der Ausgangspunkt seiner Resignation, sondern des Aufbruchs, dann hätte das Stück einen Gewinn zu verzeichnen, der selbst bei Brecht nicht angelegt ist. Stattdessen verstricken sich der hoffnungslos Verlorene und die enttäuschte Johanna erneut in die utopischen Gefilde der Massenbewegung, ohne daran zu denken, dass der Mensch sich nicht von der Masse zum Einzelnen, sondern umgekehrt begreifen sollte. Johanna möchte Teil einer Jugendbewegung sein, die handelt. Doch was dieses Handeln sein soll, bleibt offen. Am Ende überkippt sie sich mit einer Flüssigkeit aus einem roten Kanister und hält ein Feuerzeug vor sich. Dieser märtyrerhafte Schluss ist problematisch. Durch ihr Opfer, das ihr Scheitern im möglichen, wenn auch nicht sichtbaren Feuer erhöht, bestätigt sie die vermeintliche Macht der Oberen. Ganz abgesehen davon, dass das Opfern eines Individuums für die Masse archaischer nicht sein könnte. In diesem Sinne ist der Protest pseudoreligiös. Aus eigenem Brand soll die Lehre kommen! Das Credo wurde hier dann doch allzu wörtlich genommen und bei dem Wort Lehre wurde das h durch ein e ersetzt.

Die epische Mächtigkeit des Dargebotenen ist eines der Glanzstücke dieses Abends. Neben Videoprojektionen, die das Geschehen teichoskopisch ergänzen, den Schauplatz auf die Leipziger Eisenbahnstraße verlegen, spielt die Band Take it out eine begleitende Rolle. Die kraftvollen und unter die hautgehenden Klänge dieses Rapcores lassen den Zuschauer verstehen, warum es sich um eine Punk-Opera handelt. Schade ist, dass der Text der Lieder nicht immer einwandfrei zu verstehen ist, was ihren Stellenwert im Gefüge der Darbietung leider etwas unterminiert.

Am Ende muss gefragt werden, was das Ziel des Stückes ist und wie es dieses erreicht. Beide Fragen müssen in einer nebligen Sphäre der Ungenauigkeit unbeantwortet bleiben. An manchen Stellen des Schauspiels entsteht der Eindruck, dass das Potenzial, das an einigen Stellen aufleuchtet, durch das überlange Malträtieren der Linearität der Handlung verschwendet wird. Nichtsdestotrotz kann man eine sehr engagierte Leistung der Nicht-Profis bestaunen, die für den Inhalt, den der Brechtsche Stoff liefert, nichts kann; die Regisseurin im Übrigen ebenso wenig.

Schlachthöfe

R: Gabriela Gillert

Mit: Alexander Jacob Friebel, India-Maria Nagler, Steffen Reinhardt, Antje Renhak, Patrick Schlegel, Erik Schmidt, Christoph Sommerfeldt, Natalia Steckel, Baris Tangobay, Fred Turrak, Stefan Voigt

Premiere: 23. März 2012, Spinnwerk


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