Und fertig ist das Meisterwerk: Motorpsycho präsentiert sein episches Monster-Album „The death defying unicorn“
Motorpsycho waren schon immer etwas anders. Zum einen herausragend in Sachen Stilvielfalt: Anfangs war da eine Melange aus trockenem Metal und Schöngeist-Rock, später folgte eine Phase 60s-Pop, zwischendurch wurde mal FreeJazz mit Doom gemischt und seit Einstieg vom aktuellen Drummer Kenneth Kapstad im Jahre 2007 bewegen sich Motorpsycho vollkommen losgelöst in jazzig verklärten Sphären bombastischster Prog-Rock-Kunst. Klingt überhöht, ist aber so. Denn zum anderen waren Motorpsycho schon immer ein wenig epischer und kolossaler als andere, wie ihre Geschichte zeigt: Vier der 15 Tonträger sind Doppel-Alben, unzählige Stücke im zweistelligen Minutenbereich, kaum ein Konzert unter drei Stunden (die sich anfühlen wie anderthalb).
Was macht man, wenn man über 23 Jahre hinweg so ein Universum aufbaut? Altersmilde wäre eine Möglichkeit, Senior-Rebellion eine andere. Oder man dreht nochmal vollkommen am Rad der Musikgeschichte und lässt rund 30 Musiker ein rund 80 minütiges Album rund zwei Jahre lang schreiben, arrangieren und einem dann um die Ohren knallen. Dazu nennt man das ganze The death defying unicorn (A fanciful and fairly far-out musical fable), baut eine ähnlich verballerte Geschichte unten drunter und fertig ist ein Meisterwerk. Jene dritte der drei Möglichkeiten haben Motorpsycho wahrgenommen.
Große, epische Alben sind selten in den letzten Jahren. Vielleicht zu zeit- und aufmerksamkeitsfordernd für Mp3-Zeiten. Motorpsycho zeigen hiermit, dass Daseinsberechtigung in diesem Fall ein zu schwaches Wort ist. Das dem Tode trotzende Einhorn fängt einen mit den ersten verqueren Bläsertönen ein und zerrt einen dann erstmal rüber ins Albtraumzauberland. Der große Auftakt im Freejazz-Gewand mündet im hymnischen, von Streichern und Flöten umhergetriebene „The hollow lands“, welches mit seinen zig Wendungen und Stimmungen gleich klar macht, dass einen hier nix Gewöhnliches und leicht Verdauliches erwartet. Das anschließende, 16-minütige „Through the veil“ wird irgendwann von einem heftigen Bass-Bläser-Battle überrollt, von dessen Stakkato-Wucht es sich bis zum Ende nicht erholt. Und so ist das ganze Album endlich mal wieder ein Grund, hochtrabende wie sinnfreie Phrasen in solche Texte wie diesen hier zu packen. Denn selten war die berühmte „Achterbahn der Gefühle“ treffender als in einer Beschreibung dieses Machwerks aufgehoben.
Müsste man Referenzen in ebensolche Phrasen bündeln, dann würden hier Pink Floyd von Tool beim Abstieg in die Hölle begleitet, während sich das Mahavishnu Orchestra im Himmel besäuft und ein paar Streicher durch die Gegend prügelt. Bei „Into the gyre“ machen The Mars Volta zum Ende hin auf einmal Jazz und auf dem zweiten Teil des Albums ist manchmal sogar das Doom-Fegefeuer von „Sunn O)))“ gegenwärtig. Allein Aufwand und Ambition sind hier jede Lobhudelei wert. Wie sich die Ideen und handwerklichen Künste der drei Motorpsycho-Mitglieder, des Trondheim Jazz Orchestra, Jazz-Keyboarder Ståle Storløkken sowie einem Streichoktett verbinden, ist einfach nur beeindruckend. Vor allen Dingen funktioniert das Album als Ganzes, mit seinen Übergängen sowie den ruhigen Zwischenparts, die ein wenig Luft inmitten all der Atemberaubung lassen.
Wenn dann nach reichlich 75 Minunten – nachdem man auch den vertrackten Speed-Luftangriff namens „Mutiny!“ überlebt hat – das abschließende „Into the mystic“ einsetzt, eine Art Variation auf den Quasi-Opener „The hollow lands“, ist man schon ziemlich platt. Und was machen Motorpsycho? Nach all der Tiefe und Schwere des Vorrangegangen entdecken sie auf einmal die Leichtigkeit. Da frohlockt die Violine über dem treibenden Rhythmus, der Gesang stimmt versöhnlich und auf einmal setzen die Streicher ein, Synthies flirren umher und das Einhorn reitet der die Wolken bezwingenden Sonne entgegen. Es hat dem Tod erfolgreich getrotzt. Und Motorpsycho etwas geschaffen, was man nicht so schnell vergisst.
Veranstaltungstipp:
Wer die ohnehin göttliche Live-Performance inklusive dieses Monster-Albums einmal erleben möchte, sollte am 19. April das Conne Island besuchen. Laut Bandmitgliedern soll das Album in seiner Gesamtheit gespielt werden. Das mag übertrieben klingen, ist aber nur logisch. Und abgesehen davon würden die 85 Minuten sowieso nur die Hälfte eines Motorpsycho-Konzerts ausmachen. Es darf also wie immer Großes erwartet werden.
Motorpsycho: The death defying unicorn
Label: Stickman / Soulfoud
VÖ: 10.2.2010
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