Im Urwald der deutschen Historie

Christian Krachts „Imperium“ ist unterhaltsame Abenteuergeschichte und Geschichtsunterricht

Christian Krachts neuer Roman Imperium. Ein Roman, über den soviel geschrieben, geschrien und diskutiert wurde, dass es schwer fällt, Imperium überhaupt noch als Buch und nicht eher als mediales Phänomen zu betrachten. Der Roman erzählt die Geschichte des Träumers August Engelhardt, beschrieben als „Bartträger, Vegetarier, Nudist“. Aus der kalten Realität der deutschen Jahrhundertwende flieht er in die Südsee, um sich sein eigenes Paradies zu erschaffen. Er kauft eine Insel und will sich dort von nun an nur noch von Kokosnüssen ernähren, die für ihn die Krone der Schöpfung darstellen. Später wird August Engelhardts Robinson-Crusoe-Fantasie durch den Besuch von Bewunderern und Gleichgesinnten aus Deutschland aufgebrochen, doch es stellt sich bald heraus, dass Engelhardts Kokos-Wahn nicht, wie anfangs geplant, zur Ideologie für eine neue Sekte reicht, sondern tatsächlich einzig und allein Engelhardt selbst Spaß zu machen scheint.

Das Buch liest sich wie ein spannender Abenteuerroman, die Sprache ist bildlich, stofflich, voll von detaillierten Beschreibungen und zieht den Leser deshalb sofort in die Geschichte hinein. Ein allwissender Erzähler lässt uns teilhaben an fast einem halben Jahrhundert Weltgeschichte, und durch die kunstvolle Sprache hat man in jedem Lesemoment die passenden Bilder dazu im Kopf. Dabei ist nie ganz klar, wer da spricht, manchmal hat man es mit einem Zeitgenossen Engelhardts zu tun und manchmal hat man das Gefühl, es ist der Autor selbst.

Dieser Erzähler – wer immer er auch sein mag – führt uns durch die Geschichte, unterhält mit kleinen versteckten Anspielungen an berühmte Persönlichkeiten, seien es Thomas Mann oder Hermann Hesse, und unterbricht den Erzählfluss immer wieder mit kurzen Bemerkungen. Solch eine kleine Bemerkung ist auch die gleich zu Anfang eingeführte Parallele zwischen August Engelhart und einem anderen „späteren deutschen Romantiker und Vegetarier […] , der vielleicht besser bei seiner Staffelei geblieben wäre“. Und so wird schnell klar: Man kann Imperium einfach nur als eine unterhaltsame Abenteuergeschichte lesen. Aber dann würde man viel verpassen.

Kracht vermittelt in seinem Roman die Stimmung der damaligen Zeit; ganz nebenbei und ohne dabei belehrend oder schwermütig zu werden, erzählt er von Fanatismus, Fortschrittsglaube und eben auch aufkommendem Nationalismus und Antisemitismus. Durch diese zweite Ebene gewinnt Imperium an Tiefe, ohne dabei seinen Unterhaltungscharakter zu verlieren. Diese Vielschichtigkeit ist die große Stärke dieses Romans, ein Roman, bei dem man nach erstmaligem Lesen das Gefühl hat, noch längst nicht alle Dimensionen und Gedankengänge der Geschichte erfasst zu haben. Und trotzdem, um doch noch auf den kleinen Skandal um Imperium einzugehen: Das neue Buch von Christian Kracht ist viel, aber sicher kein Träger rechtsradikalen Gedankenguts. Es ist aber schon, und das macht es so interessant, ein Buch über deutsche Geschichte und deutsches Nationalverständnis – und deshalb durchaus kontrovers diskutierbar und umso lesenswerter.

Christian Kracht: Imperium

Kiepenheuer & Witsch Verlag

Köln 2011

256 S. – 18,99 Euro


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.