Nicht auf die Inhalte kommt es an, cool muss es sein

Dies kann durchaus als programmatisch für den Abend gelten. Paula Schumann und Ricardo Endt inszenieren „Bambule. Ulrike Meinhof“ im Spinnwerk

Fotos: R.Arnold/Centraltheater

Jeder Zuschauer, der noch aufnahmefähig war, hat zumindest in den letzten fünf Minuten des Abends die Fragen gestellt bekommen, die leider in den vorangegangenen zwei Stunden komplett gefehlt haben. Der „Geist des Terrorismus“ (Jean Baudrillard) ist verschwunden, die Kamerafrau des Abends kommt – als roter Stern verkleidet – auf die Bühne und fragt: Was war denn das alles? Findet ihr es nicht falsch, dass Personen wie Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin derart überzogen dargestellt und instrumentalisiert wurden? Dass historische Fakten teilweise komplett falsch präsentiert wurden? Warum schaut ihr euch das hier überhaupt an?

Letzteres kann leider auch nach fast zweieinhalb Stunden Powertheater unter der Regie von Paula Schumann und Ricardo Endt nicht beantwortet werden. Was war also zuvor geschehen? Eine Ansammlung im Zusammenhang mit der Studentenrevolte ´68 und der RAF wichtiger Personen und Nacherzählungen bzw. kurze Darstellungen der großen Ereignisse. Das heißt genauer: Meinhof, Baader, Ensslin, Dutschke, sogar Stefan Aust und Willy Brandt wurden nicht ausgespart – bei der Darstellung wurde zwar viel ausprobiert, zu funktionierenden Karikierungen wurde sich jedoch nur selten durchgerungen (Ausnahme: Baader mit Taucherbrille und Autoreifen um den Bauch). Schah-Besuch, Springer-Stürmung, Dutschke-Attentat, Kaufhausbrand, Baader-Befreiuung. Sexszenen aus der Zeit der freien Liebe dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Beim verwendeten Textmaterial und der Umsetzung lässt sich dem Regie-Duo Schumann/Endt zumindest keine Einfallslosigkeit vorwerfen: Elf Schauspieler sind teilweise gemeinsam auf der Bühne zu sehen, an lauter Musik wird nicht gespart, die Bohrmaschine kommt zum Einsatz um die tragenden Säulen des Spinnwerks zu zerstören und vor der Pause wird selbst das Publikum mit den Masken der Occupy-Bewegung ausgestattet und zum Mittanzen aufgefordert. Drei riesige Videoleinwände zeigen abwechselnd das Geschehen auf der Bühne, Liveübertragung aus dem „Backstagebereich“ und alte Videoaufzeichnungen – beispielsweise aus Meinhofs Film Bambule.

Diese Vielfältigkeit – sowohl in der Form, noch viel mehr jedoch im Inhalt – gestaltet sich mehr und mehr zum großen Schwachpunkt des Abends. Zu viel wird angesprochen und dann doch nur oberflächlich und unkritisch behandelt, zu viele Szenen geraten zu schnell in Vergessenheit ob der Reizüberflutung, die einem begegnet. Da werden versucht, Verknüpfungen in die Gegenwart zu ziehen (Was würde Meinhof heute tun?), da geht es um soziale Ungerechtigkeit und Meinungsfreiheit, Kindererziehung, sexuelle Aufklärung, die bereits genannte Occupy-Bewegung, politische Aktivitäten – „Bedeutet politisch zu sein, Rolltreppen zu blockieren?“ –, verdeckter Rassismus und am Ende wird als Höhepunkt noch die neue RAF gegründet. Ein engerer Fokus und damit einhergehend eine tiefergehendere Auseinandersetzung wäre hilfreich gewesen.

Was bei dem Ganzen unbeantwortet bleibt: Gegen was wird eigentlich rebelliert und mit welchem Ziel? Klar wird nur, dass es „Vieles“ gibt, das man gerne ändern würde; dies war zumindest die meistgenannte Antwort bei der kurzen Zuschauerbefragung – Konkretes wird vom Publikum außer dem Vorschlag, „mehr Blumen zu pflanzen“, kaum benannt. Und anscheinend haben auch die Figuren auf der Bühne keine Antwort darauf. Wenn in einem Video davon gesprochen wird, dass es in Deutschland nicht mehr möglich sei, seine Meinungsfreiheit auszuüben, wird zu schnell vergessen, dass da auf sehr hohem Niveau gemeckert wird. „Es kommt nicht auf Inhalte an, ein Protest muss cool sein.“ Wenn die Tatsache, dass der Abend eben genau jene Einstellung widerspiegelt, selbstironisch gedacht war, kommt dies zumindest nicht zum Ausdruck oder lässt sich nur erahnen. Da hilft auch „I started a joke“ – im weiteren Text „which started the whole world crying. But I didn’t see that the joke was on me“ – von den Bee Gees nicht mehr weiter und die Infragestellung am Schluss kommt – zumindest für den überanstrengten Zuschauer – reichlich zu spät. Schade. So wird weder Position be- noch werden neue Erkenntnisse aus dem verwendeten, weitestgehend bereits bekannten Material ge-zogen.

Wofür Ulrike Meinhof Pate stehen muss, bleibt ebenfalls unklar. Wird zunächst noch suggeriert, der Abend versuche, die „Gefangenenbefreierin, Pflegetochter, Studentin, Redakteurin, Publizistin, Grenzgängerin, Attentäterin“ (Jutta Ditfurth) in all ihrer Gegensätzlichkeit zu begreifen oder sich ihr wenigstens zu nähern, muss sie dann schließlich doch nur als Ikone herhalten. Die Schauspieler_innen – deren Leistung übrigens durch die Bank weg beachtlich und erwähnenswert ist – streiten sich teilweise beinahe darum, wer denn nun den intellektuellen Kopf der RAF spielen darf: „Ich will auch mal wieder Ulrike sein.“ Das lässt sich durchaus als einfallsreiche Regie-Idee werten, ist doch auch ein weiterer Hinweis darauf, dass von der „Revolution“ geträumt wird, die eigenen Inhalte aber fehlen.

Dass mit dieser Tatsache nicht kritisch oder ironisch umgegangen wird, macht wütend. Nicht jedoch gegen die zumindest erwähnten Brennpunkte – soziale Ungerechtigkeit, Chancenungleichheit, Einkommensunterschiede –, sondern wütend gegen die gewählte Form des Theaterabends selbst. Zumindest das erreicht das Stück – man hätte mehr erwarten dürfen.

Bambule. Ulrike Meinhof

R: Paula Schumann, Ricardo Endt

Mit: Saskia Bille, Marielle Burre, Enrico Engelhardt, Johanna Franke, Susanne Gröbel, Markus Pohle, Ole Siebrecht, Patrick Schlegel, Jasmin Thesenvitz, Mareike Wöllhaf, Cyprian Zajt

Video: Friedrich Schmidt

Premiere: 13. April 2012, Spinnwerk


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