Wenn der Tod nicht das Ende ist

Marions Firlus lässt „Die Brüder Löwenherz“ in eine Fantasiewelt flüchten

Fotos: Frank Schletter, TdJW

Karl und Jonathan Löwe sind zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jonathan ist stark, witzig und überall beliebt. Er ist der Ältere von beiden und kümmert sich liebevoll um seinen kleinen Bruder Karl, den er scherzhaft Krümel nennt. Dieser nämlich ist krank, todkrank. Mit seinen dünnen, krummen Beinen bleibt ihm nichts anderes übrig, als sein restliches Leben im Rollstuhl und im Bett zu fristen. In ihrem Märchen Die Brüder Löwenherz thematisiert die schwedische Autorin Astrid Lindgren den Umgang mit dem Tod und der Angst vor dem Sterben. Stets war die Schwedin für ihre Tabubrüche in der Kinderliteratur bekannt und stieß auch mit dem 1973 veröffentlichten Märchen häufig auf Kritik. Marion Firlus, Regisseurin am Theater der Jungen Welt, nimmt sich nun dieses schwierige Thema vor und bringt es in Die Brüder Löwenherz auf die Bühne des Theaterhauses. Für Kinder ab acht Jahren ist das Stück konzipiert, es zeigt sich jedoch schnell, dass auch Erwachsene viel daraus mitnehmen können.

Eine große runde Scheibe ist die Bühne, auf der die Brüder ihre Geschichte erzählen und Abenteuer erleben sollen. Anfänglich ist bloß der vordere Teil dieser Scheibe zu sehen, der Rest ist mit lichtdurchlässigen Vorhängen abgehangen. Der kleine Karl, gespielt von Moritz Gabriel, sitzt in seinem Rollstuhl auf der Bühne und leitet die Geschichte ein: Er ist sehr krank, weiß, dass er bald sterben muss. Während seiner Erzählungen werden auf dem hinteren Teil der Bühne kleine Sequenzen gespielt, die das Gehörte untermalen. Da die Schauspieler durch die Vorhänge nur schemenhaft zu sehen sind, wirkt das Ganze wie eine beeindruckende 3D-Projektion auf dem Vorhang. Schon das macht auf einige der kleineren Zuschauer so großen Eindruck, dass sie ihre Begeisterung gern laut zum Ausdruck bringen. Überhaupt birgt das einfache, aber schlau konstruierte Bühnenbild so viele Überraschungen, dass jede Szene spannend ist und Neues zu bieten hat.

Das Stück wirft immer wieder die Frage auf, wie ein Kind mit dem Thema Tod umgehen kann. Die Antwort lautet wohl: mit Fantasie. So erzählt Jonathan (Martin Klemm) seinem kleinen Bruder von einem geheimnisvollen Land namens Nangijala, in welches alle Menschen nach ihrem Tod reisen. Dort, so sagt er, kann man den ganzen Tag Abenteuer erleben, am Lagerfeuer sitzen oder am Bach angeln. Als Jonathan dann unverhofft bei einem Brand ums Leben kommt, wünscht sich Karl so schnell wie möglich nach Nangijala, um seinen großen Bruder wiederzusehen. Er träumt sich, im Sterben liegend, in die abenteuerliche Welt. Und die Reise nach Nangijala ist schnell vollzogen – der hintere Bühnenteil öffnet sich, Karl kann sich aus seinem Rollstuhl erheben und wieder laufen. Hier in seiner geträumten Welt ist er stark und gesund. Und tatsächlich: Dort sitzt auch schon Jonathan angelnd am Bach des Kirchblütentals. Glücklich schließen sie sich in die Arme, Karl lernt die anderen Bewohner des Tals kennen und wird sofort als der mutige Karl Löwenherz erkannt. Die Brüder Löwenherz sind wieder vereint. Doch auch das Böse hat sich bereits in Nangijala eingefunden. Der dunkle Tengil will alle Bewohner unterdrücken. Ein Kampf scheint unvermeidbar und die Brüder müssen Mut und Stärke beweisen.

Abenteuerlich und spannend gestaltet sich die rasche Szenenabfolge in der Inszenierung. Dabei dienen einfache Mittel als Kulisse. So genügen weiße, schmale Vorhangstreifen, um einen Wald erscheinen zu lassen. Kleine Luken im Bühnenboden dienen als Erdloch, Tunnel und Versteck. Auch mit den Scheinwerfern wird viel gespielt. Einfache Lichtstreifen auf dem Boden deuten Tunnelschächte an, durch die sich die Brüder kriechend fortbewegen müssen, und mit der gezielten Setzung von Spots werden räumliche Trennungen geschaffen. Durch kurze, prägnante Szenen gelingt es, auch die jüngeren Zuschauer bei Laune zu halten, ohne den Stoff zu vereinfacht darzustellen. Die Handlung ist stets auf den Punkt gebracht, unnötige Längen werden vermieden. Und auch wenn das Stück mit 1 Stunde und 50 Minuten (eine Pause) doch recht lang ist, und die Aufmerksamkeit bei den Kindern gegen Ende hin etwas nachlässt, ist doch jede Minute so spannend, dass man gern die Zeit vergisst.

Immer wieder überwindet der junge Karl seine Angst, welche durch schwarz gekleidete Gestalten dargestellt wird, um seinen Bruder und Nangijala zu retten. Nachdem die beiden den letzten großen Kampf entscheidend beeinflusst haben, und das Land vom Besetzer Tengil befreit wurde, kann Karl dahingehen. Und dieses Mal ohne Angst, sondern mit Zuversicht. Das Spiel mit kreativen Mitteln, gepaart mit der authentischen Schauspielweise der Darsteller, macht Die Brüder Löwenherz zu einem Stück, das die aktuelle Theaterlandschaft in jeder Hinsicht bereichert. Regisseurin Firlus gelingt es, dem doch sehr ernsten Thema Tod sein Pathos zu nehmen, und kommt mit einer erfrischenden Inszenierung daher. Auch noch im Nachhinein liefert sie viel Stoff zum Nachdenken, sowohl für die Kinder, als auch für die erwachsenen Zuschauer. Und das wiederum macht Die Brüder Löwenherz zu einem ganz außergewöhnlichen Stück.

Die Brüder Löwenherz

R: Marion Firlus

Mit: Dirk Baum, Gösta Bornschein, Moritz Gabriel, Martin Klemm, Martina Krompholz, Susanne Krämer, Chris Lopatta, Reinhart Reimann

Premiere: 15. April 2012, Theater der Jungen Welt


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